Ägypten und das neue Medienzeitalter

Die Ägypter haben ihren greisen Diktator in die Wüste geschickt und sich friedlich zumindest die Chance auf Freiheit und Demokratie erstritten. Wer hätte damit noch vor ein paar Wochen gerechnet? Und wer hätte gedacht, dass die Ereignisse außerdem ein neues Medienzeitalter einläuten könnten …?

Medien-Bashing ist ja heutzutage Volkssport. Die einen meckern über die Tageszeitungen mit ihren rückwärtsgewandten Verlegern, die anderen lästern über die Blogger, die sich viel zu wichtig nehmen, die dritten finden Twitter total banal und belanglos, und alle miteinander prügeln natürlich aufs öffentlich-rechtliche Fernsehen ein, das viel zu viel Geld bekommt und dafür viel zu wenig Qualität produziert.

Mir geht diese Polarisierung inzwischen gründlich auf die Nerven, und ich stelle hiermit die steile These auf, dass die Ereignisse in Ägypten in beeindruckender Weise die Stärken all dieser Medien zu Tage befördert haben. Tatsächlich habe ich mich noch nie so schnell, umfassend und vielfältig über ein großes Ereignis informiert gefühlt wie in den letzten Wochen.

Kluge, witzige, spannende Tweets

Beginnen wir mit Twitter: Ich habe unzählige kluge, witzige und spannende Tweets zu Ägypten in meiner Timeline gelesen. Das wenigste davon war belanglos, was ganz einfach daran liegt, dass ich keinen Twitterern folge, die Belangloses von sich geben. (Das ist einer der Punkte, den die Twitter-ist-doch-nur-Geplapper-Nörgler einfach nicht verstehen wollen: Dass jeder selbst dafür verantwortlich ist, wie lesenswert seine Timleline ist!) Aber da war noch mehr: Durch Twitter hatte ich ein Gefühl der Unmittelbarkeit, des Dabeiseins und damit auch des Mit-Betroffenseins, das die klassischen Medien nur schwer oder gar nicht vermitteln können. Genau betrachtet war das nicht nur ein Gefühl: Wenn man einen Tweet in derselben Sekunde liest, in der er von einem Ägypter auf dem Tahrir-Platz abgeschickt wurde, ist das eine Unmittelbarkeit, die es bislang einfach nicht gab. Absolut lesenswert dazu der Artikel Wir sind alle Ägypter auf Spiegel online, in dem es u.a. heißt:

Auch Menschen, die sich sonst eher für neue Handys, für Webdesign oder Witze interessieren, sprachen und schrieben nahezu ausschließlich über das Stück Geschichte, das sich da vor ihren Augen vollzog. Sie dachten sich Mubarak-Witze aus und reichten per Retweet die erbosten Kommentare ägyptischer Twitterer weiter – Kommentare, die von den Handys der Menschen auf dem Tahrir-Platz verschickt wurden, den die internationalen Anteilnehmer vor sich im Fernsehen oder auf dem PC-Monitor sahen. Echtzeit-Geschichte in der Echokammer. Die kommunikative Verzahnung durch Netz und Live-TV erzeugt schwindelerregende Rückkoppelungsschleifen.

Livebericht im Blog, Hintergründe in der Zeitung

Ebenfalls mittendrin statt nur dabei: Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr, der vor einigen Tagen spontan nach Ägypten gefahren ist und live und subjektiv aus Kairo berichtet hat. Beiträge wie dieser hier haben mich regelrecht ans Notebook gefesselt. Wieder diese Unmittelbarkeit, diese digitale Nähe zu den Ereignissen in ein paartausend Kilometern Entfernung – großartig! Das haben, denke ich, die meisten Blog-Leser so wahrgenommen (abgesehen von ein paar Haar-in-der-Suppe-Suchern, die es in Kleinbloggersdorf natürlich immer geben muss).

Aber unmittelbar und direkt reicht nicht. Man braucht … besser gesagt: ich brauche auch Einordnung, Hintergrund, Kommentierung. Damit haben mich bestens die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung versorgt. Ich habe hervorragende Print-Artikel zum Thema gelesen, die ich persönlich auch nicht unbedingt online am Bildschirm hätte lesen wollen – auch das ist sicher subjektiv, aber hey, das ist mein Blog! ;-)

TV: Informativ und berührend

Zu guter Letzt das Fernsehen: Ja, die öffentlich-rechtlichen Sender haben zunächst die Entwicklung verschlafen, was auch zu Recht kritisiert worden ist. Aber heute hatte ich durch Zufall Gelegenheit, die Botschaft vom Mubarak-Rücktritt live in ARD und ZDF zu verfolgen. Beide hatten gerade mit ihren 17-Uhr-Nachrichtensendungen begonnen, deren Fahrplan  binnen weniger Minuten durch die Ereignisse über den Haufen geworfen wurde. Die Reaktionen der Redaktionen waren schnell und professionell, die Korrespondenten aus Kairo berichteten so gut sie konnten, per Telefon wurden weitere Stimmen aus Ägypten zugeschaltet, in verschiedenen Schalten wurde versucht, die Ereignisse einzuordnen. Ich fühlte mich angemessen informiert und durchaus auch berührt durch die Live-Bilder aus Ägypten, die mich natürlich an eine andere friedliche Revolution vor 22 Jahren erinnert haben.

Fazit: Das ist die mediale Zukunft, so möchte ich informiert werden, online wie offline.

Bildnachweis: Richard Gutjahr

3 Gedanken zu “Ägypten und das neue Medienzeitalter

  1. Die Proteste in Tunesien, die Jasminrevolte, oder der Aufstand in Ägypten waren ja nur deshalb erfolgreich, weil viele Blogger und Oppositionsgruppen sowie NGOs mitgemacht haben. In Lybien oder Bahrain muss diese Entwicklung auch erst entstehen. Ich finde es gut, wie Spiegel Online berichtet hat, dass Amnesty sehr engagiert in Lybien ist. Auch die Berichterstattung von Al Jazeera ist äußerst wichtig für diesen Umbruch. Folgenden Beitrag zur Kenntnisnahme: http://2010sdafrika.wordpress.com/2011/01/16/burgerkrieg-droht-in-tunesien-lybiens-blogger-mobilisieren-volk/.

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