Rache und Tyrannenmord: der Fall bin Laden

Als ich gestern Früh im Radio hörte, dass Osama bin Laden tot ist, war meine erste Reaktion: Zufriedenheit und Erleichterung. Ähnlich erging es wohl unserer Bundeskanzlerin, was inzwischen im Web zu einer feurigen Diskussion geführt hat: Darf man froh sein über die Tötung eines Menschen? Ich glaube: ja, man darf …

Zumindest darf und sollte man den Fall etwas differenzierter betrachten, als das gestern in zahlreichen empörten Tweets und Blog-Beiträgen geschehen ist.

Was war geschehen? Vor allem zweierlei führte gestern wohl zu Irritationen beim deutschen Zuschauer und Nachrichtenleser: Erstens die offen gezeigte Freude der Amerikaner über den Tod ihres „Staatsfeinds Nummer 1.“ Und zweitens die Aussage von Angela Merkel: „Ich bin froh, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten.“

Demokratie in Gefahr?

Dieser Satz führte dazu, dass nicht wenige Beobachter gleich die gesamte Demokratie bedroht sahen: „Die Top-Nachricht des heutigen Tages und viele Reaktionen darauf stehen deshalb nicht für einen Triumph der westlichen Demokratien, sondern eher für ihren Niedergang“, heißt es etwa bei Thomas Stadler, und Udo Vetter meint:

Wenn Frau Merkel also unverhohlene Freude über die gezielte Tötung eines Menschen äußert, relativiert sie ohne Not verfassungsrechtliche Eckpositionen wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Heute tut sie das für Terroristen und Massenmörder. Morgen macht sie es vielleicht für Serienkiller, übermorgen für Sexualstraftäter.

Diese Deutung geht mir dann doch ein paar Schritte zu weit. Zunächst ist es natürlich verführerisch, den „schießwütigen Amis“ zu unterstellen, sie hätten bin Laden schlicht liquidiert (vermutlich hatten sie das vor, so naiv bin ich auch nicht …). Blauäugig wäre es aber auch zu glauben, der gute Mann hätte sich widerstandslos festnehmen lassen. Gehen wir also davon aus, dass er, wie es ja auch in offiziellen Verlautbarungen heißt, bei einem Schusswechsel getötet wurde. Das kommt vor und ist nicht wirklich bedauerlich.

Ein Tod mit Folgen

Darüber hinaus freut sich unsere Bundeskanzlerin ebenso wie ich weniger darüber, dass Blut vergossen und Menschen getötet wurden, sondern darüber, was das in der Konsequenz bedeutet: „Ich glaube“, so sagte sie weiter in ihrer Pressekonferenz, „dass es vor allen Dingen für die Menschen in Amerika, aber auch für uns in Deutschland eine Nachricht ist, dass einer der Köpfe des internationalen Terrorismus, der so viele Menschen schon das Leben gekostet hat, gefasst bzw. getötet wurde und damit auch nicht mehr weiter tätig sein kann.“

Doch, darüber kann man froh sein, dass er nun keine Massenmorde mehr planen oder unterstützen kann; auch als Demokrat, selbst als Christ. Übrigens freue ich mich auch über den Klartext, den unsere Politiker in diesem Fall ausnahmsweise mal sprechen. Sonst jammern immer alle über die diplomatischen Verklausulierungen im Sinne von „Wir begrüßen es, dass dieses Problem einer Lösung zugeführt wurde …“

Bin Laden und der Tyrannenmord

Was aber, wenn bin Laden tatsächlich exekutiert wurde, ohne Chance auf einen „fairen Prozess“, denn für ihn müsse doch die Unschuldsvermutung gelten wie für alle anderen auch? Das stimmt, und solche rechtsstaatlichen Prinzipien sollte man nicht leichtfertig opfern nach dem Motto „Bei diesem Psychopathen drücken wir mal ein Auge zu …“ Und dennoch wird seit Jahrtausenden die Möglichkeit und Legitimität des Tyrannenmords diskutiert.

Dabei brauchen wir gar nicht zurückgehen zu alten Philosophen oder zu Schillers Wilhelm Tell. Sehr anschaulich stellt Heiko Kuschel in einem Blogbeitrag (mit dessen Schlussfolgerung ich allerdings nicht übereinstimme) dar, wie der Theologe Dietrich Bonhoefer mit sich rang, ob man Hitler töten dürfe, und zu folgendem Ergebnis kam:

Nach langem Überlegen, vielen Diskussionen und mit allen damit verbundenen Zweifeln kam er zu dem Schluss: Als Christ darf ich nicht nur, ich muss. Aus der Nächstenliebe heraus erwächst einem Christen die Pflicht, diesen Menschen, der so unsägliches Leid über die Welt gebracht hat, zu töten, um dem Ganzen ein Ende zu machen. Und dennoch: Es bleibt Schuld. Schuld, die Dietrich Bonhoeffer bereit gewesen wäre, auf sich zu nehmen. Ein Mord bleibt ein Mord, so seine Überzeugung. Und trotzdem muss er getan werden, denn nichts zu tun, wäre die noch weitaus größere Schuld.

Gerechtigkeit und Rache

Was aber ist mit den jubelnden Amerikanern? Was ist von dieser Begeisterung angesichts des Todes ihres Widersachers zu halten? Man jubelt offenbar, weil man es als gerecht empfindet, dass bin Laden nun tot ist – „justice has been done“, sagte Präsident Obama in seiner Ansprache. Ich würde sagen: Hier wurde nicht nur ein Gerechtigkeits-, sondern auch ein Rache-Empfinden befriedigt.

„In diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht“, singt Sarastro in Mozarts Zauberflöte, und manche Kommentatoren tun nun so, als wäre die mitteleuropäische Demokratie eine solche Halle. Rache? Pfui Teufel, sowas kennen und wollen wir hier nicht. Sie ist zweifellos kein ehrenwertes Motiv, aber eine sehr, sehr starke Antriebskraft, weltweit, von Kindesbeinen an. Und machen wir uns nichts vor: Jeder ist zur Rache fähig, es kommt nur auf die Umstände und die persönliche Betroffenheit an. Und die allermeisten von uns dürften in bestimmten Situationen Verständnis aufbringen für dieses uralte Motiv.

Möglicherweise ist also die Betroffenheit bei uns nicht groß genug, um nachvollziehen zu können, warum viele Amerikaner sich über den Tod bin Ladens freuen und das auch noch auf den Straßen zeigen. Ich glaube, das hat wenig mit amerikanischer Wildwest-Mentalität zu tun, wie man gelegentlich lesen konnte, und viel mit dem Trauma von 9/11. Der Tod so vieler Menschen im Herzen Amerikas schrie buchstäblich nach Rache. Das muss man nicht gut finden, aber so zu tun als seien das rückständige, ja geradezu mittelalterliche Emotionen, die im ach so fortschrittlichen Europa undenkbar seien, ist scheinheilig. Die Erleichterung vieler Amerikaner über den Tod dessen, der dafür verantwortlich ist, zeigt nur, dass „Katharsis“ nicht nur ein Konstrukt der Dramentheorie, sondern auch im echten Leben verankert ist.

Bildnachweis: www.fbi.gov

18 Gedanken zu “Rache und Tyrannenmord: der Fall bin Laden

  1. … ich sehe das anders: Das Feiern der Amis (im Stil eines Super-Bowl-Sieges) zeigt nicht nur ihre tief verinnerlichte Wild-West-Mentalität und ihr ignorantes Unverständnis gegenüber politischen und kulturellen Zusammenhängen, sondern auch, dass sie nicht verstehen, dass genau dieser Jubel wieder Menschenleben kosten wird. Die USA werden in 50 Jahren keine große Rolle mehr spielen und das ist auch gut so …

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      • … ich halte den „Tyrannenmord“ grundsätzlich für legitim (in nicht-juristischer Betrachtung).

        Was aber nicht geht und weiter Hass säht ist die „Super-Bowl-Freude“ der Tyrannenmörder. Mein Weltkriegsopa hat mir immer ungefragt geraten „siege, aber triumphiere nicht!“. Und ditt paßt hier wieder bestens …

        Was eigentlich auch nicht geht (und da bin ich bei Helmut Schmidt jestern bei Beckmann) sind völkerrechtswidrige Kommandounternehmen zum Tyrannenmord.

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  2. danke.
    Nach all den scheinheiligen empörten Kommentaren auf anderen Seiten sprichst du mir aus der Seele.
    Es gibt einen Punkt, an dem das nicht-handeln eben auch verantwortungslos wird. Neben tatsächlich vielen zweifelhaften Aktionen Amerikas in diesem „Krieg gegen den Terror“ ist diese Aktion sicherlich als eine der sinnvollsten und wichtigeren zu sehen. Auch wenn sie leider 10 Jahre zu spät kam.

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  3. Ein – wie ich finde – guter Beitrag. Bitte gestatten Sie mir dennoch ein paar Kritikpunkte:

    1.) Ich habe selbst auch den Beitrag von Heiko Kuschel gelesen, halte aber die Diskussion um die Legitimation des „Tyrannenmordes“ für nicht einschlägig. Bin Laden mag aus der Sicht der USA ein Feind gewesen sein, ihn als Tyrann der USA zu bezeichnen, würde indes seine Gewaltherrschaft über die USA voraussetzen. Ich halte das für eine sehr extensive Auslegung des Tyrannenbegriffs.

    2.) Ich bin mit Jurist und vermutlich deshalb mit Thomas Stadler und Udo Vetter insoweit einer Meinung, als Menschenrechte aus deutscher Sicht nicht dispositiv sein dürfen. Zu ihnen zählen das Recht auf Leben und die Justizgrundrechte, also das Recht auf einen gesetzlichen Richter und auf rechtliches Gehör. Es zählt zu den Errungenschaften zivilisierter Staaten, diese Rechte ausnahmslos zu achten. Nicht zum Schutz Bin Ladens, um insoweit einem Fehlverständnis vorzubeugen, sondern zum Schutz des Rechtsstaats. Denn Staaten, die – wie Sie schreiben – Menschen „schlicht liquidieren“, sind keine Rechts-, sondern Unrechtsstaaten.

    3.) Die unverhohlene Freude über den Tod eines Menschen ist mir als Mensch nicht nachvollziehbar, als Christ verabscheuenswürdig und als Jurist halte ich sie überdies für gefährlich: § 140 Nr. 2 unseres Strafgesetzbuches (StGB) sieht vor, dass sich derjenige strafbar macht, der in einer Weise, die den öffentlichen Frieden zu stören geeignet ist, bestimmte Straftaten öffentlich billigt. Mord und Totschlag zählen neben anderen Delikten zu diesen Straftaten. Diese Straftaten sind in § 126 Abs. 1 StGB erwähnt, auf die § 140 StGB Bezug nimmt. Wer also, wie Frau Merkel, seiner Freude über die Tötung eines Menschen so unverhohlen zum Ausdruck bringt, muss sich schon sehr sicher sein, dass diese Tötung sich nicht später als Straftat erweist, denn andernfalls könnte Frau Merkel durch diese Äußerung den objektiven Tatbestand einer Straftat erfüllt haben. Das zeigt, dass unsere Rechtsordnung es grundsätzlich nicht billigt, die erfolgte Tötung eines Menschen als „Erfolg“ zu preisen.

    4.) Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin durchaus der Auffassung, dass die Tötung eines Menschen gerechtfertigt oder entschuldbar sein kann. Das mag vorliegend womöglich sogar der Fall sein. Ich habe hieran meine Zweifel, aber ich weiß es nicht. Ich störe mich allerdings daran, dass die Tötung eines Menschen öffentlich begrüßt und als Erfolg gefeiert wird – und das durch unsere Bundeskanzlerin, die einen Eid auf die Verfassung geschworen und sich zur Achtung von Recht und Gesetz verpflichtet hat.

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    • Danke!
      Ihr differenzierter Kommentar greift viele wichtige Gesichtspunkte in einer unaufgeregten und doch engagierten Weise auf. Ein klarer Standpunkt, der die über lange Jahre errungenen Grundsätze des Rechtsstaats verteidigt, eben nicht der Beliebigkeit anheim gibt, nur weil der Getötete von der Mehrheit im Westen als Feind angesehen wird. Rechtsstaatlichkeit beweist sich gerade dann, wenn es schwer fällt. In diesem Fall hat „der Westen“ leider versagt.
      Danke für Ihren Beitrag.

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  4. Ich bin froh, wenn Menschen, wie hier, nach so einem Ereignis die Kommentarspalten füllen, mit Nachdenklichem; und nicht die Straßen und Plätze, mit Getöse und gereckter Faust.
    Aber das ist der klassische Dilemma-Diskurs: Ich persönlich möchte die Grundüberzeugung „Du sollst nicht töten“ auch nicht zur Disposition stellen.
    Wäre ich aber der amerikanische Präsident und hätte die Möglichkeit, einen jahrelang gesuchten Massenmörder zu … „ergreifen“, wenn auch mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, ihn – oder andere – dabei zu töten … was würde ich tun? Immer die entscheidende Frage: sind Grundüberzeugungen situativ „verhandelbar“? Oder sollte ich mich einmal, für’s Leben, entscheiden und muss/kann dann „einfach“ nur konsequent handeln? Ich fürchte, darauf bekommt man erst eine Antwort, wenn man in genau so einer Situation steckt. Hier aber wenigstens einer, der ein bisschen mehr weiß über „Der Kopfschuss und das Völkerrecht“:

    http://bit.ly/iOeDcY

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  5. Man kann durchaus froh sein, das „er“ jetzt keine Anschläge mehr planen kann.

    Aber ich kann nie darüber froh sein, das Menschen sterben. Dabei ist es egal, ob es ein Angehöriger, ein Soldat, ein Zivilist, ein Verbrecher ist.

    Denn wenn wir bei einem Menschen froh sind, das er tot ist, wann sind wir dann wieder froh? Wenn ein Verbrecher tot ist? Teilen wir auf in Menschen, bei deren Tod wir uns freuen und Menschen, deren Tod wir bedauern?

    Wer ist es denn „Wert“, das wir Ihn bedauern? Wer ist es denn „Wert“, das wir uns freuen?

    Nicht, das wir uns falsch verstehen: Wenn sich jemand mit Waffengewalt der Verhaftung widersetzt, dann kann und wird es vorkommen, das jemand getötet wird.

    Aber froh darüber sein? Niemals.

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  6. Es scheinen mir sehr europäische, wenn nicht gar spezifisch deutsche Züge zu sein, die sich in den Kommentaren zum aktuellen Blog-Beitrag widerspiegeln und die mir etwas Verdruss bereiten. Ich möchte es darum einmal bewusst in der „Wir-Formulierung“ versuchen: „Wir“ gefallen uns gar zu sehr in der Rolle des moralisch überlegenen Welt-Betrachters, der dem Tun der Amerikaner vorzugsweise mit Einwänden und Bedenken, wenn nicht gar offenen Ressentiments begegnet, dabei aber niemals selbst ein tragfähiges Gegenkonzept auf die Beine stellt, geschweige denn selbst zu beherzter Aktion findet. Diese Haltung empfinde ich als gleichermaßen anmaßend wie provinziell. Ersteres, weil sie aus der Warte des nicht wirklich Betroffenen über diejenigen urteilt, die auf allen Konfliktschauplätzen der Welt (und seit 9/11 auch im eigenen Land) seit jeher den größten Blutzoll entrichten, letzeres, weil darin die unsäglich naive Vorstellung durchscheint, dass mit Sitzblockade, Friedensliedern und gutem Zureden die Probleme der Welt schon „irgendwie“ zu lösen wären. Glaubt jemand ernstlich, ein Hitler, Stalin, Pol Pot, Saddam, bin Laden … hätte sich je durch etwas anderes beeindrucken lassen, wäre je durch etwas anderes zu stoppen gewesen als durch schiere Gewalt? Eine Wohltat für diesen Planeten, dass es ein Land gibt, das sich nicht scheut, die Polizistenrolle zu übernehmen und Diktatoren & Verbrecher unschädlich macht, während alle anderen außer endlosem Palaver nichts zuwege bringen. Schon vergessen, dass z.B. das Morden auf dem Balkan erst mit der Intervention der Amerikaner sein Ende gefunden hat? Europa hatte hier wieder einmal nur debattiert – und völlig versagt!

    Wir leisten uns den Luxus eines moralischen Rigorismus, der, konsequent zuende gedacht, zur Selbstlähmung führen und in völlige Handlungsunfähigkeit münden würde – und wir können das nur deshalb tun, weil wir keiner vergleichbaren Bedrohung ausgesetzt sind. Sich selbst gewissermaßen „in Quarantäne nehmen“ und andere belehren, was sie zu tun und zu lassen haben, kann aber nur, wer in einer sicheren Komfortzone lebt und selbst nicht unter Feuer steht. Wären bei Anschlägen nicht in den USA, sondern in Deutschland tausende gestorben und wüssten wir, es würden weitere Landsleute sterben, wenn wir untätig blieben – ich bin sicher: Das kollektive Urteil über die Liquidierung des Drahtziehers durch eine Spezialeinheit fiele anders aus als bei den meisten Kommentatoren zu lesen – Völkerrecht hin oder her, und auch das fünfte Gebot wäre plötzlich keine unüberwindliche Hürde mehr.

    Ich gebe zu, die grob-vulgäre Jubelei am Ground Zero stieß auch mir übel auf, weil sie ein unwürdiges Schauspiel bot und mich ein wenig an den Krakeel und das Gegeifere der rauschebärtigen, plebejischen Massen in Nahost erinnert, die bei jeder Gelegenheit amerikanische Fahnen anzünden, um dann mit ihren Adiletten auf ihnen herumzutrampeln. Für mich war das, was in New York zu sehen war, ein Ausbruch patriotischen Gefühls in ihrer schrillsten Spielart, unangemessen und peinlich, aber mehr eben auch nicht. Das bejubelte Faktum jedenfalls erfüllt mich mit Erleichterung und Zuversicht, zeigt es doch dass der Westen handlungsfähig ist und dass nicht ungeschoren davonkommt, wer mit kaltem Zynismus über das Leben tausender Unschuldiger verfügt, so wie bin Laden es getan hat.

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    • … also, wenn ich „Blutzoll“ lese, wird mir ganz anders.

      Es gibt bei Deiner „Tyrannenliste“ einen gewichtigen Unterschied: Sadam und die Taliban wurde von den USA selbst aufgerüstet (gegen den Iran bzw. die Sowjetunion), instrumentalisiert und schließlich fallen gelassen, als der Wind sich drehte. Kein Historiker bestreitet ernsthaft eine Mitschuld der USA an der Entstehung wahnsinniger Glaubenskrieger. In den betreffenden Ländern Vorderasiens sind weit mehr Menschen durch diese verantwortungslose Interessenpolitik der USA gestorben, als an 9/11 – nur kamen die in unseren Nachrichten schlicht nicht vor …

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      • … ach so, – noch niemand hat es in seiner historischen Konsequenz besser zusammen gefaßt als Volker Pispers:

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      • Das sehe ich auch wie Torsten. Außerdem denke ich, man kann hier durchaus differenzieren.

        Das eine ist, dass es nicht gelungen ist, bin Laden dingfest zu machen und er beim Feuerwechsel gestorben ist. Der Tyrann ist tot und das beruhigt mich innerlich. Im Stillen bin ich froh, dass er kein Unheil mehr anrichten kann. Auch wenn klar ist, dass bei den Taliban einfach der nächste in der Rangfolge nachrückt, was vermutlich schon vor 9 Jahren passiert ist. So dass der Tod von bin Laden eher symbolischen Charakter hat.

        Das andere ist dabei in lauten Jubel auszubrechen oder sich offen über die Tötung (also den Akt, nicht das Ergebnis) zu freuen. Das hat nichts mit Selbstlähmung zu tun. Das ist meiner Meinung nach moralisch verwerflich. Mich hat der Jubel der Amerikaner angeekelt.

        Zwischen dem moralischen Rigorismus und der völlige Handlungsunfähigkeit sind zu viele Zwischenstufen und – meiner Meinung nach – gibt es da keine zwingende kausale Verbindung.

        Das bischen Differenzierung und Moral können wir uns sicher leisten, auch als Deutsche.

        Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass die USA einer der Staaten ist, die am weistesten davon entfernt sind, eine Polizistenrolle übernehmen. Wenn man sich den Grad der Einmischung, die Anzahl der Aktionen, die Art und Durchführung der Aktionen und Eingriffe in fremden Ländern und Konflikten, die vielen missratenen Aktionen bei denen mittlerweile tausende von Zivilisten ums Leben gekommen sind und die spätere Hilflosigkeit und das Machtvakuum der Länder, in denen kriegerisch eingetriffen worden ist, ansieht, kann man nicht mehr von Polizeiarbeit reden. Dazu noch die offensichtliche Motivation, sich ein Maximum an Öl zu sichern, mit einem Krieg das Volk zu einen und so auch den nächsten Wahlkampf zu unterstützen uvm.

        Mit drängt sich spontan das Bild eines aggressiven Parasiten auf.

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  7. Danke für die zahlreichen Kommentare! Es gäbe noch einiges zu schreiben, aber ich hatte einen furchtbar langen Tag und fasse mich daher kurz …

    Ich glaube nicht, dass radikaler Gewaltverzicht und Pazifismus eine Lösung ist. Sobald ich aber grundsätzlich Gewalt zur Lösung von Problemen zulasse, beginnen die Probleme der Abgrenzung: Wie, wann, wer, wo, mit welcher Legitimierung und so weiter. Genau um diese Grenzziehung kreisen die meisten Kommentare, und ich bin mir sicher, dass sich niemand von uns seiner Sache sicher sein kann.

    Zwei Dinge, die mich an der ganzen Diskussion irritieren (weniger hier im Blog, mehr im großen weiten Web), möchte ich nochmal hervorheben:

    Zum einen wundere ich mich, warum wir ausgerechnet am Fall eines Massenmörders Fragen der Menschenrechte diskutieren. Gibt es keine besseren Gelegenheiten? Das ganze Jahr über fänden sich sicher reichlich diskutierenswerte Fälle, aber wir warten, bis Osama bin Laden das Zeitliche segnet, um an seinem Beispiel dann Unschuldsvermutung, Rechtstaatlichkeit & Co. herbeizubeschwören. Ich fürchte, das ist die alte Täter-Opfer-Geschichte: der Aufschrei, der bei der Tötung dieses Täters durchs Web tönt, scheint mir viel lauter zu sein als die Klagen, die seine Taten hervorgerufen haben. Unser Mitgefühl und ein Großteil unserer Aufmerksamkeit sollte aber den Opfern gelten – und dieses rechte Maß scheint mir im Fall bin Laden verloren gegangen zu sein.

    Zum anderen bewundere ich den Humanismus, der aus manchen Stellungnahmen herauszulesen ist – wage aber auch leise Zweifel zu äußern. Der Verlust jedes Lebens ist bedauernswert? Leben ist also immer besser als Tod? Das funktioniert spätestens dann nicht, wenn der Wert des Lebens von den Beteiligten unterschiedlich eingeschätzt wird. Warum sollte ich einem Selbstmordattentäter, der ohne zu zögern einen Zug mit Pendlern in Madrid in die Luft sprengt, den gleichen Respekt entgegenbringen wie seinen Opfern? Warum sollte ich es nicht gut finden, wenn er vor seiner Tat mit Gewalt gestoppt werden kann? Warum sollte ich darüber nicht froh sein? Nein, ich nehme mir die Freiheit, über den Tod mancher Menschen betrübter zu sein als über den anderer. Ich glaube, dass es Unmenschen gab und gibt, auf die die Welt gut verzichten kann. Und ich denke auch und immer noch, dass man ihr Ableben begrüßen darf – nicht unbedingt mit Häme oder Jubel, aber mit Genugtuung.

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    • Ich hätte da noch schnell zwei nächtliche Erklärungsversuche:

      Ad 1.) Früher hat derjenige, der sich im Recht wähnte, denjenigen, von dem er annahm, er habe ihm Unrecht angetan, bestraft. Dieses System hat sich nicht bewährt. Eine der Errungenschaften unserer Zivilisation ist die Übertragung der Strafgewalt auf den Staat. Der Staat stellt Regeln auf und garantiert die Rechte der Beteiligten, die im Gegenzug auf ihre eigene Verteidigung verzichten. Der Staat übernimmt damit ihren Schutz. Diese Schutz- und Garantiefunktion kann der Staat aber nur bieten, wenn er sich selbst rechtmäßig verhält. Deshalb ist staatliches Unrecht auch so gefährlich: Es gefährdet das Vertrauen in den Rechtsstaat und begünstigt damit eine zivilisatorische Rückentwicklung, die wir uns vermutlich nicht wünschen.

      Ad 2.) Es hat nichts mit Humanismus zu tun, Menschenrechte zu achten. Im Gegenteil: Die Probleme rund um die Einhaltung von Menschenrechten entstehen erst mit einer moralischen Aufladung der „Humanitas“, also mit dem Versuch, die Menschen von Unmenschen zu unterscheiden, denn – Sie werden mir insoweit zustimmen – die Auffassungen hierzu gehen vielfach weit auseinander, und gerade wir Deutschen haben mit solcherlei Differenzierungsversuchen historisch gesehen schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb sind Menschenrechte kategorisch. Sie dulden keine Relativierung und keine Ausnahme. Sie gelten für alle Menschen, die insofern vor einer willkürlichen Einschränkung ihrer Menschenrechte geschützt werden. Der Preis für diese individuelle Sicherheit ist, dass wir uns manchmal schon sehr anstrengen müssen, wenn es gilt, den Tätern besonders abscheulicher Gewaltverbrechen diese Rechte zu gewähren. Das ist aber kein Problem der Menschenrechte an sich, sondern das Produkt einer moralisch aufgeladenen Humanitas, die davon ausgeht, eine bestimmte Tat sei „unmenschlich“, so dass der Täter seinerseits seine Menschenrechte verwirkt habe. Eine Diskussion hierüber sollten wir nicht zulassen.

      Ich schätze die Qualität des Meinungsaustausches hier auf Ihrem Blog, die trotz unterschiedlicher Meinungen zu einem brisanten Thema äußerst rücksichtsvoll und sachlich erfolgt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ein großes Kompliment und mein Dank dafür an Sie und alle Kommentatoren.

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  8. Christian,

    Danke für diesen Beitrag. Ich selber habe über den selben Punkt hier (in den USA) auch mit verschiedenen Leuten diskutiert. Es findet sich dazu auch etliches lesenswerte im Spiegel. Es gäbe viel zu sagen, aber auch ich bin nun müde und habe nicht mehr viel Energie — also stichpunktartig:

    Genugtuung ja, Jubel nein. Ich verstehe den Jubel nicht und finde ihn unangebracht. Obama war in seiner Rede, in der er den Tod bekanntgegeben hat, auch sehr ernst und gesetzt, keinesfalls gelöst und flippig. Das war der Situation angemessen. Die Superbowl-Stimmung auf dem Times Square oder vor dem Weißen Haus war peinlich, nicht anders kann man das bezeichnen.

    Das Wort „Unschuldsvermutung“ ist bei Bin Laden, mit Verlaub, völlig unangebracht. Der Mann hat in unzähligen Videos seine Schuld öffentlich bekannt. Er sieht das halt anders als wir, aber das ist sein Problem.

    Eine Demokratie darf sich verteidigen, notfalls (!) durch töten derer die sie aggressiv bekämpfen. Wo da genau die Demarkationslinie liegt ist sicherlich eine diffizile Frage, die beliebig lange diskutiert werden kann, aber Bin Laden stand klarerweise auf der anderen Seite.

    Weder das Konzept „Rache“ noch das des „Tyrannenmordes“ müssen hier ins Spiel gebracht werden. Es gibt Motive jenseits von Rache die man zu dieser Aktion ins Feld führen kann, und ob Bin Laden irgendjemanden in seinem eigenen Einflussbereich tyrannisiert kann völlig außer acht gelassen werden.

    Rechtsstaatliche Prinzipien sind immer ein guter Ausgangspunkt, aber ich wage zu bezweifeln, dass die Damen und Herren die unser StGB geschrieben haben den Fall eines Terroristen wie Bin Laden berücksichtigt haben. Der Mann stand aus eigener Entscheidung so weit jenseits dessen was unser Recht als rechtmäßig erklärt, dass es schon etwas skurril ist, ihn wie einen gewöhnlichen Kriminellen zu behandeln und zu erwarten, dass unsere Gesetzesbücher problemlos so weit extrapoliert werden können.

    Überspitzter: Die USA haben einen „Krieg gegen den Terror“ ausgerufen, womit ich immer gewisse Probleme hatte, denn dies hat weitreichende politische und rechtliche Konsequenzen mit denen ich nicht immer einverstanden war. Fakt ist aber auch dass Bin Laden eine Armee ausgebildet hat und seine Krieger zum Töten in die Welt (und eben auch in die USA) geschickt hat. For all intents and purposes hat er damit dem Land den Krieg erklärt, er war halt bloß nicht Regierungschef irgendeines Landes. Ich frage mich, wo im Völkerrecht der Umgang mit tödlichen Privatarmeen geregelt ist.

    Grüße,

    Markus

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  9. Guten Morgen!

    Auch ich gehöre zu denjenigen, die den Jubel auf den Straßen für unangemessen halten. Wäre die Aktion direkt nach 9/11 passiert, hätte ich das noch eher verstanden, da Wut, Verzweiflung und Angst da am größten waren, aber 10 Jahre später? Auch ein direkt Betroffener (Angehörige verloren, selbst knapp davon gekommen…) muss sich bemühen, um 10 Jahre lang dieses Gefühl zu konservieren. Und ich lehne mich so weit aus dem Fenster zu behaupten, dass es diese Menschen wahrscheinlich eher nicht waren, die auf den Straßen tanzten. Die saßen eher still daheim, vielleicht mit einem Gefühl der Genugtuung, vielleicht mit einem Gefühl, nun endlich einen Strich ziehen zu können. Und – so schlimm das ist – für sie kann man sich freuen. Hätte man Bin Laden gefasst und durch einen jahrelangen Prozess geschleift, hätte man ihr Leiden nur vergrößert. Diese Menschen können nun vielleicht wirklich abschließen.

    Der öffentliche Tanz ist eher Ausdruck einer kollektiven und sorgsam gepflegten Ideologie, die sich eben leider in nichts von den bekannten Fahnenverbrennungen unterscheidet. Deswegen bin ich auch nicht bei denjenigen, die sagen, es wäre Balsam auf die Seele des Gerechten. Es ist kein Ausdruck von Befriedigung, sondern die Feier anlässlich eines Sieges. Und da geht es viel mehr um Hass, Wut, Ideologie, das Gefühl der Übermacht, die Euphorie des Siegers.

    Ich halte es nicht für angemessen, sich über den Tod eines Menschen zu freuen, über das Ende einer Bedrohung hingegen sehr wohl. Obwohl uns allen klar sein muss, dass genau dieser „Sieg“ uns noch bitter aufstoßen kann. Gerade die Siegesfeiern können diejenigen provozieren, die sich jetzt als Verlierer fühlen, nun ihrerseits wieder zurückzuschlagen.

    Der Kampf gegen den Terrorismus führt dazu, dass wir Stück für Stück das verraten, das wir eigentlich verteidigen wollen. Wir begeben uns immer mehr auf das Niveau der Terroristen. Freiheit wird eingeschränkt, Menschen überwacht, Menschenrechte außer Kraft gesetzt und Hinrichtung ohne Verurteilung wird zum feiernswerten Ereignis. Was also lässt uns glauben, immer noch die Guten zu sein?

    Viele Grüße
    Rita

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  10. die amerikaner handeln nach dem motto:wilst du nicht mein bruder sein,schlag ich dir den schädel ein.

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    • Günter,

      nein, damit hat das gar nix zu tun. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ kommt der Amerikanischen alttestamentlich geprägten Mentalität sehr viel näher. Bin Laden war jemand, dessen erklärtes Ziel es war, möglichst viele Amerikaner umzubringen. Es ist nicht besonders schwer, gute Gründe dafür zu finden, so einem Menschen ein bisschen was von der eigenen Medizin zu füttern.

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