Social Media: Zwischen Authentizität und Stilisierung

Der Auftritt von Unternehmen in den Sozialen Medien muss authentisch sein, kann man allenthalben hören und lesen. Stimmt auch. Nur darf man dabei nicht vergessen, dass es sich immer um eine medial vermittelte und damit stilisierte Authentizität handelt, was ja irgendwie ein Widerspruch in sich ist. Letztlich geht es also darum, das richtige Maß zwischen Authentizität und Stilisierung zu finden – und das ist gar nicht so einfach …

In den letzten Tagen habe ich einen Vortrag zum Thema „Online-Kommunikation und HR“ vorbereitet und mich dabei auch ein wenig mit dem weiten Feld der „Karriere-Videos“ beschäftigt. Fast alle größeren Unternehmen stellen ja inzwischen Interessenten und potenziellen Bewerbern solche Videos zur Verfügung, um die Firma vorzustellen und ins rechte Licht zurücken. Ob es sich bei diesen Videos im strengen Sinn um Soziale Medien handelt, sei mal dahingestellt. Aber sie sind auf jeden Fall eng in die Sozialen Kanäle eingebunden, werden im eigenen Youtube-Kanal oder auf der Facebook-Seite der Firma präsentiert und prägen damit nachhaltig den Eindruck, den man vom Social Media Engagement des Unternehmens bekommt.

Ungeschminkte Wirklichkeit? Nein danke!

Aber sind solche Videos authentisch? Streng genommen natürlich nicht – und das ist auch gut so. Das Letzte, was wir sehen wollen, ist die (im wahrsten Sinne des Wortes) ungeschminkte Wirklichkeit, das unverfälschte Original, in unserem Fall: ganz normale Mitarbeiter, die ganz normalen Tätigkeiten nachgehen, ungeschnitten und total echt. Könnte es etwas Langweiligeres geben? Das bedeutet nicht, dass wir uns Hochglanz-Werbevideos mit lauter schönen, glücklichen Menschen und gestelzten Personalmarketing-Botschaften wünschen, um einen Einblick ins Unternehmen zu bekommen.

Die Wahrheit liegt in der Mitte: Gut gemachte HR-Videos stellen die Mitarbeiter in den Mittelpunkt (und zwar echte Mitarbeiter, keine Schauspieler!) und inszenieren sie derart, dass wir gerne zusehen und zugleich einen Einblick in ihre Arbeit und ihr Arbeitsumfeld bekommen. Es geht also um eine geschickt stilisierte Authentizität, die ziemlich schwierig ist: Links und rechts von der goldenen Mitte lauern Unter- und Überstilisierung.

Das Corpus delicti: der BMW-Praktikanten-Rap

Alles zu theoretisch? Dann kommen wir doch zu einem Beispiel, dass gerade groß die Runde machte: das viel kritisierte Praktikanten-Rap-Video von BMW. Hier erst mal das Corpus delicti für alle, die es noch nicht kennen:

Das Urteil der vielen Kommentatoren zum Beispiel auf Youtube ist eindeutig und vernichtend. Beispiel:

Ich hoffe, dass eure Personal(marketing)abteilung an dem Schöpfungstag dieser Idee geschlossen im Urlaub war und die Praktikanten (+Azubis) im Restsuff des Morgengrauens gedacht haben: „Hey, Rap & deutsche Automobile der Oberklasse: DAS passt super zusammen! Lasst uns ein Video drehen!“ Mal im Ernst: Das ging wohl nach hinten los, BMW.

Aber warum kommt das (doch sehr professionell gemachte) Video eigentlich so schlecht an? Ja, die Texte sind ziemlich grottig und die Geschlechterrollen (rappende Jungs, Refrain trällernde Mädels) sind reichlich klischeehaft verteilt. Der eigentliche Grund ist aber meines Erachtens die Überstilisierung. Hat schon mal jemand einen rappenden Praktikanten durch die BMW-Werkshallen tänzeln sehen? Oder singen die jungen BMW-Mitarbeiterinnen gerne mal ein Liedchen auf dem Weg vom Schreibtisch zur Kantine? Wohl eher nicht. Hier ist nichts authentisch, alles Klischee. Der Umstand, dass „normale Menschen“ plötzlich anfangen zu singen und so tun, als wäre es das Normalste der Welt, wird nur in wenigen medialen Kontexten vom Publikum akzeptiert – lasst euch das von einem Freund der italienischen Oper gesagt sein.

Leider komplett ironiefrei …

Vor diesem Hintergrund ist es, denke ich, egal, was und wie die BMW-Praktikanten singen. Volksmusik, Operette, Jazz oder Rap – jede dieser Überstilisierungen hätte die gleichen negativen Reaktionen hervorgerufen. Singen ist immer schierig, um’s mal auf den Punkt zu bringen. Allerdings hätte es eine Möglichkeit gegeben, die Stilisierung sozusagen zu dämpfen. Das geeignete Mittel dazu ist die gute alte Ironie, die als Distanzierungssignal den spielerischen Umgang mit der Wahl des Stilmittels verdeutlicht hätte. Leider ist das BMW-Video komplett ironiefrei, will ernst genommen werden und erzielt deshalb nicht die beabsichtigte Wirkung.

Wie man’s besser, macht zeigt einmal mehr die Krones AG, Hersteller von Abfüllanlagen, die sowieso sehr vieles sehr richtig macht im Social Web. Hier ein Beispiel einer für meine Begriffe geschickt inszenierten und stilisierten Authentizität:

Der junge Mann berichtet – so scheint es – direkt und unverstellt von seiner Tätigkeit. Intro, Schnitt und Musik zeigen, dass auch hier intensiv gestaltet wurde – aber eben nicht zu Lasten der Authentizität, sondern dieselbe unterstützend.

200 Jahre alt und funktioniert noch immer: die romantische Ironie

Nochmal zum Thema Ironie: Es gibt ein wunderbares, einfaches und altbewährtes Mittel, um auch in einer konstruierten Spielsituation, wie ein Karriere-Video sie darstellt, Authentizität sicherzustellen: Man macht transparent, dass es sich eben um eine Spielsituation und nicht um die Realität handelt. Zum Beispiel indem man das Zustandekommen des Videos thematisiert, „Outtakes“ zeigt und ähnliches. Diese Vorgehensweise ist alles andere als neu – sie wurde vor über 200 Jahren u. a. von Friedrich Schlegel als „romantische Ironie“ bezeichnet, ein ästhetisches Verfahren, das die Produktion des Kunstwerks im Kunstwerk selbst reflektiert. Und ist es nicht großartig, dass die Kunsttheorie der Romanitiker auch in Sozialen Medien des 21. Jahrhunderts noch „funktioniert“?

Dass sie funktioniert, zeigt zum Beispiel das sehr schöne Karriere-Video von ThyssenKrupp, das leider nicht auf Youtube ist, aber das ihr hier findet. Aber auch auf Youtube finden sich Beispiele wie das hier von der Allianz:

PS: Meine Kritik am BMW-Video bitte nicht als Besserwisserei missverstehen. Ich bin (seit einem Praktikum in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei BMW vor einer kleinen Ewigkeit) Fan der Marke und habe größten Respekt davor, wie sich die Münchener im Social Web positioniert haben.

Ebenfalls lesenswert zum Thema: Off the record: „Steh auf: Der wahrscheinlich beste Recruiting-Spot, der je für Audi gedreht wurde“

11 Gedanken zu “Social Media: Zwischen Authentizität und Stilisierung

  1. BMW: „Wir sind individuell und nicht Kommerz“. Aus… Krones AG: „Elektoniker“ (sic!, 0:22) Aus… Das dritte Beispiel habe ich mir dann nicht mehr angetan. Riesige Etats, schlechte Reklame, schaurige Effekte.
    PS: Schöner Blog. Man merkt den „Verweyen-Schüler“, wenn ich mir diese kleine Reminiszenz erlauben darf.

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  2. … watt is denn bitte ein „Verweyen-Schüler“ ?
    Könnt Iht mir bestimmt besser sagen, als ditt Internet-Zeugs …

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  3. […] Social Media: Zwischen Authentizität und Stilisierung Können Unternehmen im Social Web eigentlich authentisch sein, wenn jede ihrer Handlungen geplant und überlegt ist und somit einem bewusst gewählten Stil entspringt, statt der Person selbst, die für die Kommunikation verantwortlich ist? Eine sehr interessante Frage, die Christian Buggisch stellt und anhand der HR-Videos von BMW, der Krones AG und ThyssenKrupp erläutert. – via @CharlesDSchmidt […]

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  4. Man kann die Einbindung von Siocial Media auch gut machen. Ich finde zum Beispiel, dass die Otto AG sehr gut Personalmarketing für ein Praktikum bei der Otto Group macht. Unter anderem haben sie ein interessantes Profil auf meinpraktikum.de: http://www.meinpraktikum.de/praktikum/otto Dort kann man sich ganz gut über ein Praktikum bei Otto informieren und zum Beispiel ein Interview mit einem Personaler lesen. Diese gestellten Agentur Videos gefallen mir dahingegen nicht, die sieht man ja immer mehr in letzter Zeit.

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