Darf man zum Tod „gefällt mir“ sagen?

De mortuis nil nisi bene – über Verstorbene möge man in wohlwollender Weise reden. Das galt 2.500 Jahre vor der Erfindung des Internets. Und heute? Wie sieht der „richtige“ Umgang mit dem Tod im (Social) Web aus? Schon die Frage ist falsch gestellt …

Im Frühjahr dieses Jahres lernte ich auf einem Internet-Kongress eine junge Frau kennen. Sie war freundlich, charmant, lebenslustig und herzlich. Wir liefen uns, wie das auf Kongressen so üblich ist, ein paar Mal über den Weg und unterhielten uns. Später „befreundeten“ wir uns auf Facebook und blieben lose in Kontakt, ich habe ihre Updates gelesen, gelegentlich haben wir unsere Beiträge kommentiert. Vor einigen Wochen habe ich die Nachricht bekommen, dass sie völlig unerwartet gestorben ist.

Das war ein ziemlicher Schock. Und noch heute denke ich immer wieder an sie. Das wäre vielleicht ungewöhnlich für eine flüchtige Kongress-Bekanntschaft, aber sie war eben nicht flüchtig. Sie wurde durch Facebook verlängert und vertieft. Dank Internet und sozialer Medien haben wir uns nicht aus den Augen verloren und blieben, auch wenn das melodramatisch klingt, miteinander verbunden, umso schmerzhafter war die plötzliche und endgültige Trennung dieser Verbindung.

Leben und Sterben im Web

„Über Internet und echtes Leben“ heißt der Untertitel dieses Blogs, und jeder, der hier gelegentlich mitliest, weiß, dass das provokant und ironisch gemeint ist. Denn natürlich ist das Internet nichts Unechtes, das vom echten Leben separiert ist. Das Internet ist längst Teil des echten Lebens bzw. umgekehrt: Das Leben findet auch im Web statt. Und dasselbe gilt für den Tod.

Nur wie geht man mit ihm um? Mit dieser Frage beschäftigt sich die analoge Menschheit seit ein paartausend Jahren – die digitale hatte dafür erst wenige Jahre Zeit. Die Diskussion, wie man mit dem Tod im blutjungen Web umgehen sollte, ist also neu – und sie wird zurzeit ziemlich intensiv geführt.

„Gefällt mir“ als Beileids-Button

Der Grund dafür ist der Tod des Schauspielers Dirk Bach und die Reaktion vieler auf Facebook. Medienseiten hatten die Nachricht von seinem Tod veröffentlicht und die Leser unter anderem dazu aufgerufen, den „Gefällt mir“-Button von Facebook quasi als Kondolenz-Button zu nutzen. Das führte zu doppelter heftiger Kritik, einerseits an den Medien, die den Tod eines Menschen instrumentalisieren, um ihre Reichweite zu erhöhen*, andererseits an denjenigen, die auf den Todesfall mit dem „Gefällt mir“-Klick reagiert haben.

Nach dem Tod meiner Kongress-Bekanntschaft und Facebook-Freundin bin ich auch auf ihre Facebook-Seite gegangen, habe die dortigen Kommentare gelesen (ein paar „Gefällt mir“-Klicks gab es auch) und mitgetrauert. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, selbst einen Kommentar zu schreiben. Und ich wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, auf „Gefällt mir“ zu klicken, um meiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Ich habe – geschwiegen. Was sicher auch nicht die schlechteste Form der Reaktion war.

„Du trauerst nicht richtig!“

Das Entscheidende aber ist: Es war meine Reaktion. Wer bin ich, anderen vorzuschreiben, ob sie in ähnlicher Art und Weise reagieren sollten? Der Umgang mit dem Tod ist zweifellos eine sehr persönliche Angelegenheit, und auch im analogen Teil unseres Lebens gibt es (vor allem ritualisierte) Formen der Anteilnahme, mit denen ich nicht viel anfangen kann. Zum Beispiel das lapidar klingende „Mein Beileid“, sozusagen die analoge Variante des „Gefällt mir“-Buttons. Aber nur weil mir das etwas floskelhaft vorkommt, heißt das noch lange nicht, dass es von denjenigen, die es benutzen, floskelhaft gemeint ist. Solche Formeln haben zudem ihre Berechtigung, da sie helfen, das in Worte zu fassen, wofür uns sonst die Worte fehlen.

Was uns zum Kern des Problems bringt bzw. zu seiner einfachen Lösung: Es kommt nicht darauf an, in welcher Form jemand Trauer und Mitgefühl bekundet, weder im analogen noch im digitalen Teil des Lebens. Es kommt auf die Absicht dahinter an. Wer seine Anteilnahme in einem langen Kommentar mitteilen will, soll das tun. Wer „Gefällt mir“ drückt, um zu signalisieren „Ich denke an dich!“, soll das tun. Und wer lieber schweigen will, weil er keine Worte findet, soll auch das tun. Denn „Du trauerst nicht richtig!“ wäre doch ein ziemlich unverschämter und anmaßender Vorwurf im analogen Teil unseres Lebens. Das gleiche gilt für den digitalen. Und beide sind ja ohnehin nicht voneinander zu trennen.

Absurd, geschmacklos, pietätlos

*Noch eine Anmerkung zum Verhalten mancher Medien beim Tod von Dirk Bach. In nur einem Absatz, denn diesen Teil der Diskussion finde ich vergleichsweise unspannend. BILD und andere Medien hoffen also, durch viele „Gefällt mir“-Klicks bei der Todesmeldung Aufmerksamkeit zu erzeugen, es geht um Viralität, Sichtbarkeit und den Edgerank bei Facebook. Das ist „absurd, geschmacklos, pietätlos“, wie viele zu Recht kritisieren. Aber was, bitte, ist daran neu? Wer kann ernsthaft überrascht darüber sein, dass ein ekelhaftes Schmierblatt wie die BILD die Würde von Menschen mit Füßen tritt und aus dem Leid anderer Profit zu schlagen versucht? Ich empfehle dazu die Lektüre des Bildblogs, falls das tatsächlich jemand noch nicht kennt.

Ebenfalls lesenswert: der Beitrag von Nico Lumma, der der Ansicht ist, dass das „Gefällt mir“ eine zeitgemäße Variante des Kondolierens ist. Wer wissen möchte, was mit einer Profilseite auf Facebook nach dem Tod des Nutzers passiert, findet hier Informationen zum Gedenkzustand auf Facebook.

Bildnachweis: Paul-Georg Meister / pixelio.de

6 Gedanken zu “Darf man zum Tod „gefällt mir“ sagen?

  1. Lieber Christian, der Gedenkzustand bei Facebook ist nicht ganz unproblematisch. Vielleicht hast Du ja irgendwann Gelegenheit oder Muse, Dich damit auseinander zu setzen. Insbesondere für Angehörige scheint es doch laut Medienberichten nicht so schön zu sein, wie Facebook mit den Daten umgeht. Beste Grüße und Dank für den Beitrag.

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    • Sehe ich genauso. Der „Gedenkzustand“ scheint mir ein gutes Beispiel dafür zu sein, dass der Umgang mit dem Tod im Web zum Teil noch recht „holprig“ ist. Das soll kein Musterbeispiel sein, sondern nur ein Beispiel dafür, wie Facebook mit dem Thema umzugehen versucht …

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      • Holprig ist vor allem auch der Text von facebook: „Sobald ein Konto in den Gedenkzustand versetzt wurde, ist es vollständig gesichter und niemand kann mehr darauf zugreifen oder es ändern. „

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