Jetzt mal Klartext: Facebook, Edgerank und das liebe Geld

Viel los bei Facebook in letzter Zeit. Manche Neuerung verwirrt und nicht jede erfreut die Nutzer. Um ein bisschen Klarheit zu bekommen, habe ich mich mit Philipp Roth von allfacebook.de auf einen Kaffee in München getroffen. Philipp ist, wenn ihr mich fragt, einer der besten Facebook-Kenner in Deutschland – und hier sind seine Antworten auf meine Fragen …

In letzter Zeit gab es ja viele Diskussionen um den Edgerank. Wie ist deine Meinung zu diesem Facebook-Algorithmus?

Laut Facebook ist der Edgerank dazu da, dass der Nutzer nur relevante Inhalte zu sehen bekommt. Ich persönlich sehe das zwiespältig, denn einerseits regelt der Edgerank, dass wir in unseren Streams nicht völlig zugemüllt und die Nutzer bei Hunderten Meldungen pro Tag nicht überfordert werden. Andererseits habe ich als Nutzer relativ wenige Eingriffsmöglichkeiten. Es gibt keinen Schieberegler, mit dem ich bestimmen könnte: Ich würde gerne von dem und dem Nutzer so und so viel sehen. Facebook macht’s halt automatisch.

Um das nochmal ganz klar zu sagen: Es gibt also keine Möglichkeit, sich die Neuigkeiten ungefiltert anzeigen zu lassen. Egal was ich mache und wie ich sortiere: Der Edgerank greift jedes Mal zu. Korrekt?

Genau. Über die Listen „Enge Freunde“ und „Bekannte“ kann ich immerhin die Neuigkeiten beeinflussen, weil Facebook dann weiß, dass ich von den „Engen Freunden“ mehr und von den „Bekannten“ weniger sehen will. Wenn ich aber eine persönliche Liste anlege, hat die überhaupt keine Auswirkungen auf die Neuigkeiten. Und auch in diesen Listen wird mir nicht alles angezeigt, selbst in der Liste „Enge Freunde“ nicht, und auch nicht im neuen Seiten-Feed. Das ist einfach so, egal wie man die Streams beeinflusst, wirklich vollständig sind diese nie. Neben den Listen gibt es natürlich noch die Möglichkeit bei einzelnen Freunden genau zu sagen, ob man mehr oder weniger von ihm im Newsfeed sehen will. Das ist eigentlich richtig gut und funktioniert auch, aber ein wirkliches Gefühl von Kontrolle sieht anders aus.

Bei der Reichweite gibt es einen klaren Trend nach unten

Die Reichweite von Seiten auf Facebook ist stark gesunken, das konnte ich auch bei den von mir betreuten Seiten feststellen. Manche schreiben aber, die Sichtbarkeit von Seiten sei gar nicht gesunken, das sei ein Märchen. Wie siehst du das?

Na ja, wenn man sich anschaut, wie viele Nutzer von Facebook zum Beispiel auf unser Blog kommen, hat sich eigentlich kaum etwas geändert. Die reine Reichweite, also die Zahl der Nutzer, die den Post gesehen haben, hat allerdings schon abgenommen, da gibt es ja nach Statistik einen klaren Trend nach unten. Das bedeutet: Das Ergebnis bleibt das gleiche, weil der Post offenbar vor allem denjenigen Nutzern nicht mehr angezeigt wird, die sowieso nicht geklickt oder interagiert haben.

Das würde bedeuten, dass der Edgerank-Filter von Facebook richtig justiert wurde, weil nur denjenigen ein Post vorenthalten wird, die ohnehin nicht interagiert haben …

Die Frage ist, was man unter „richtig“ versteht. Ein Klick oder eine Interaktion ist ja nicht das einzige Kriterium, als Seitenbetreiber möchte ich ja auch Menschen erreichen, die meinen Post vielleicht nur sehen, aber nicht klicken. Aber hier braucht jeder seine eigenen KPIs. Für die meisten Unternehmen geht es auf Facebook hoffentlich nicht nur um Reichweite, sondern um Kommunikation, und genau an dieser Stelle hat sich ja nichts geändert, was bedeutet, dass in Teilen schon richtig justiert wurde. Die große Kritik an Facebook finde ich deshalb in großen Teilen ungerechtfertigt.

Nutzer können bezahlte kaum von unbezahlten Posts unterscheiden

Facebook muss Geld verdienen und bietet Privatpersonen und Seitenbetreibern Sponsored Posts, mit denen man seine Reichweite erhöhen kann. Wie bewertest du das?

Aus Unternehmenssicht ist das der Hammer, es gibt keinen besseren Werbeplatz! Auf dem Desktop, auf dem iPad, auf dem Smartphone in den Newsstream der Nutzer zu kommen, das garantiert natürlich Aufmerksamkeit. Für den Nutzer finde ich das schwierig, denn unsere Aufmerksamkeit ist natürlich begrenzt. Die Frage ist, wie viel Aufmerksamkeit wir Anzeigen widmen müssen und wie viel Aufmerksamkeit noch für unbezahlte Beiträge übrig bleibt.

Und es gibt ja schon erste Tests durch Facebook, Anzeigen auch ohne soziale Komponente auszuliefern. Dann bekomme ich als Nutzer nicht einmal mehr das angezeigt, was meinen Freunden gefallen hat, sondern einfach irgendetwas. Sieht nicht so aus wie ein klassischer Werbebanner, fühlt sich aber so an. Aus Sicht des Seitenbetreibers gesagt: Ich kann Nutzer vielleicht bald komplett frei targeten, ohne dass es irgendeinen Bezug zu einem Freund geben muss. Für Facebook ist das Ganze eine Cash-Cow, die Nutzer klicken wir verrückt auf Sponsored Posts, wahrscheinlich weil viele sie gar nicht von normalen Posts unterscheiden können.

Die Reise geht in Richtung Kommerzialisierung

Hat sich die Strategie von Facebook nach dem Börsengang verändert, geht es jetzt mehr denn je um Monetarisierung?

Natürlich geht es um Monetarisierung, aber mich nervt es etwas, dass alles immer am Börsengang festgemacht wird. Klar muss Facebook jetzt Geld verdienen, um die Erwartungen seiner Aktionäre zu erfüllen, aber schon vor dem Börsengang hat man klar gesehen, dass die Reise in Richtung Kommerzialisierung geht. Ein Beispiel: Es gibt ja nach wie vor ständig Neuerungen auf Facebook, aber ich habe den Eindruck, dass Facebook seine Innovationskraft zunehmend in kommerzielle Features steckt.

Als Privatnutzer und Unternehmen muss man das schlucken. Als Unternehmen wäre es aber auch ein bisschen naiv zu glauben, dass einem Facebook diese riesige Reichweite auf Dauer einfach schenken würde. Das wäre ja, als würde ich zu Burda gehen und sagen: Die Anzeige passt doch ganz gut in euer Magazin, druckt die mal bitte kostenlos ab. Und hier ist auch noch ein schönes Gewinnspiel, mit dem wir die Adressen eurer Leser sammeln …

Der Konkurrenzkampf auf Facebook nimmt zu

Vor dem Hintergrund ist es doch nahe liegend anzunehmen, dass der Edgerank die Reichweite unbezahlter Posts einschränkt, damit mehr Platz und Aufmerksamkeit für bezahlte Posts entsteht, oder?

Klar, das ist ein Hebel von Facebook. Wenn man die natürliche Reichweite von Seiten runterschraubt, müssen die Seitenbetreiber mehr Anzeigen schalten, um sichtbar zu sein. Und wenn immer mehr Unternehmen für ihre Posts Geld zahlen wird der Stream umstrittener, der Platz wird weniger und Reichweite teurer. Dafür kann man aber nicht nur den Edgerank verantwortlich machen, der Konkurrenzkampf zwischen den Inhalten auf Facebook wird einfach größer, egal ob von Freunden oder Unternehmen.

Aber ist es für Seitenbetreiber nicht ärgerlich, erst über bezahlte Ads neue Fans zu gewinnen, mit denen man aber gar nicht viel anfangen kann, da sie die Beiträge eines Unternehmens dank Edgerank gar nicht angezeigt bekommen? Ich muss dann nochmal zahlen, um sicherzustellen, dass meine Fans meine Beiträge auch wirklich sehen …

Dass man doppelt dafür zahlt, den Nutzer erst zu haben und dann auch zu erreichen, das ist natürlich suboptimal für Unternehmen. Allerdings gibt es ja nach wie vor Nutzer, die man kostenlos erreicht. Und wenn man mehr will, muss man halt mehr ausgeben. Letztlich ändert das alles, wenn du mich fragst, nichts an der Attraktivität von Facebook: Du hast kostenlos eine große Reichweite, die du gegen Geld noch steigern kannst.

Unternehmen müssen aber auch endlich verstehen, dass man auf Facebook Geld in die Content-Strategie stecken muss und nicht in lustige Gewinnspiele und Apps! Mit gutem Inhalt steigt die kostenlose organische Reichweite ebenso wie die organischen Fans, und genau das sind doch die, die man erreichen will. Wer sich durch Gewinnspiele und Kampagnen Fans „kauft“ wird am Ende dafür doppelt zahlen, da man am später noch ein Werbebudget braucht, um diese wieder zu erreichen.

Wer Facebook ablösen will, muss etwas wirklich Neues bieten

Google+ macht das anders und hat gerade bekannt gegeben, auch 2013 keine Werbung zu schalten. Kann Google damit Facebook-Nutzer abwerben?

Na ja, ich zweifle ein bisschen am oft propagierten Mainstream-Erfolg von Google+. Ich zweifle aber auch daran, dass Facebook für alle Zeiten der Platzhirsch bleibt. Aber wenn jemand Facebook ablösen will, muss er schon etwas Neues bieten. Es kann kein Facebook ohne Werbung oder Facebook ohne Filter oder Facebook mit Datenschutz sein, das reicht einfach nicht, es muss etwas wirklich Neues sein. Wenn wir zum Beispiel zurückblicken und MySpace mit dem frühen Facebook vergleichen, war der Unterschied schon massiv, jedenfalls um Welten größer als zwischen Facebook, Google+, Diaspora und wie sie alle heißen, die ja letztlich alle nach dem gleichen Prinzip arbeiten.

Das heißt, Facebook würde gut dran tun, künftig die Augen nach bedrohlichen Innovationen offen zu halten und sie schnellstens zu integrieren oder zu kaufen …

Ja, und das machen sie ja heute schon sehr konsequent. Sie sind ziemlich fix darin, den User mit Innovationen vor den Kopf zu stoßen. Den Mumm muss man auch erst mal haben, gegen den Protest von Millionen Nutzern zum Beispiel die Timeline einfach einzuführen, egal ob uns das gefällt oder nicht. Facebook hat keine Angst vor Innovationen und auch nicht vor Fehlern, die man dabei machen könnte. Denn der größere Fehler wäre, nichts zu tun. Dann bestünde die Gefahr, dass es irgendwann einen Gap zu einem neuen innovativen Anbieter gibt wie damals zwischen Facebook und MySpace.

Daher kann es auch gut sein, dass sich Facebook in fünf Jahren komplett neu erfunden hat und ganz anders aussehen wird als wir uns das heute vorstellen. Und wer weiß, was bis dahin aus Edgerank und Sponsored Posts und so weiter geworden ist. Facebook muss allerdings wie gesagt darauf achten, dass die Innovationen nicht nur aus dem Antrieb heraus entstehen, Geld zu verdienen. Nur kommerzielle Features bringen den Nutzer nicht weiter.

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14 Gedanken zu “Jetzt mal Klartext: Facebook, Edgerank und das liebe Geld

  1. Philipp, Christian, habt vielen Dank für das Interview. So verständlich und doch umfassend hat es schon lange keiner mehr erklärt.

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  2. Schön geschrieben. Was mir immer wieder fehlt, ist, dass Facebook zwei Ziele damit verfolgt. a) Gewinnabschöpfung bei Unternehmen (Klar), aber auch b) der Versuch, die Interaktionsraten der Nutzer zu erhöhen (Like deine Kumpels und Du siehst, was sie tun). Ich bin selber „Wenignutzer“ von Facebook. Mir ist es jetzt zweimal passiert (1), dass private Fotos (nur für den Bekanntenkreis) promoted werden sollten. Dieses tat ich natürlich nicht… und schon wurde ich abgestraft, keiner der üblichen Verdächtigen sah die Fotos. Ich sehe das gemischt an, meine Zuneigung zu Facebook steigt nicht gerade.

    lG
    Stephan

    (1) http://linkedinsiders.wordpress.com/2012/10/22/die-wahrung-des-web-2-0-ist-aufmerksamkeit-von-facebook-und-atsch-rank/

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  3. […] Facebook. Wie ist das denn jetzt mit dem Edgerank und der Reichweite? Die Jungs und Mädels von Allfacebook kennen sich aus und wurden deshalb auch von Christian Buggisch befragt. Sehr deutliches Interview, das mit einigen der aktuellen Mythen rund um Facebook aufräumt. […]

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  4. […] Beim Opt-in-Formular gibt der am Inhalt interessierte Besucher seine Kontaktdaten ein, verbunden mit der Einwilligung, Hinweise zu weiteren themenrelevanten Angeboten des Unternehmens zu erhalten. Bei einer Facebook-Seite bewirkt der Klick auf den Like-Button, dass die Beiträge des Seitenbetreibers im Newsfeed eines Facebook-Nutzers auftauchen. Zumindest theoretisch, denn dank der Filtermechanismen von Facebook schaffen es mittlerweile immer weniger Beiträge von Facebook-Seiten in die Newsfeeds ihrer Fans. Aber das ist ein anderes Thema. […]

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  5. […] Facebook macht alles falsch: Es nervt seine Nutzer wöchentlich mit neuen Features, was links war ist plötzlich rechts, eine Chronik wird eingeführt, obwohl keiner sie will, jetzt wird der Home-Screen von Smartphones gekapert … Die Wahrheit ist: Facebook macht damit alles richtig. Egal wie genervt wir von den ständigen Veränderungen und Aktualisierungen sein mögen: Das ist Innovation! Facebook ruht nie, denn Stillstand ist Rückschritt, und während du still stehst, bewegen sich deine Konkurrenten weit und hängen dich irgendwann ab. Philipp Roth von allfacebook.de hat das vor einer Weile im Interview schön auf den Punkt gebracht: […]

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  6. […] Facebook macht alles falsch: Es nervt seine Nutzer wöchentlich mit neuen Features, was links war ist plötzlich rechts, eine Chronik wird eingeführt, obwohl keiner sie will, jetzt wird der Home-Screen von Smartphones gekapert … Die Wahrheit ist: Facebook macht damit alles richtig. Egal wie genervt wir von den ständigen Veränderungen und Aktualisierungen sein mögen: Das ist Innovation! Facebook ruht nie, denn Stillstand ist Rückschritt, und während du still stehst, bewegen sich deine Konkurrenten weiter und hängen dich irgendwann ab. Philipp Roth von allfacebook.de hat das vor einer Weile im Interview schön auf den Punkt gebracht: […]

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  7. Stark geschriebener und interessanter Artikel!
    Zu dem Thema Edge Rank kann ich noch eine schöne Seite liefern: http://www.facebookedgerank.de
    Da wird noch einmal in aller Tiefe erklärt wie sich der Facebook Edge Rank genau zusammen setzt! Zudem ist die Seite auf Deutsch, wovon es zu diesem speziellen Thema ja leider nicht all zu viele gibt…

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  8. […] Beim Opt-in-Formular gibt der am Inhalt interessierte Besucher seine Kontaktdaten ein, verbunden mit der Einwilligung, Hinweise zu weiteren themenrelevanten Angeboten des Unternehmens zu erhalten. Bei einer Facebook-Seite bewirkt der Klick auf den Like-Button, dass die Beiträge des Seitenbetreibers im Newsfeed eines Facebook-Nutzers auftauchen. Zumindest theoretisch, denn dank der Filtermechanismen von Facebook schaffen es mittlerweile immer weniger Beiträge von Facebook-Seiten in die Newsfeeds ihrer Fans. Aber das ist ein anderes Thema. […]

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