Gibt es eine Blog-Krise?

Jetzt blogge ich seit gerade mal zwei Jahren und sehe mich schon mit einer Blog-Krise konfrontiert, von der viele schreiben. Angeblich hat sogar Google die Blogs nicht mehr lieb. Stimmt das?

Die Zeiten, dass Google Blogs „geliebt“ hat, seien vorbei, meinen zumindest die einen oder anderen. Als Beleg dafür dient der SISTRIX-Sichtbarkeits-Index, der darstellt, wie präsent einzelne Webangebote bei Google sind. Bei einzelnen untersuchten Blogs zeigt die Index-Kurve tatsächlich von links oben nach rechts unten, aber kann man daraus ableiten, dass Google Blogs weniger „mag“, sprich Blogs bei Google weniger gut gerankt werden als früher?

Eine Sistrix-Kurve, bei der die Welt noch in Ordnung ist
Eine Sistrix-Kurve, bei der die Welt noch in Ordnung ist

Und überhaupt, ist das nicht ein weiterer Beleg dafür, dass Blogs in der Krise sind, immer weniger genutzt, gesucht und gefunden werden, wie manche meinen?

Also … nein.

Düstere Zukunft für Blogs?

Allein die Tatsache, dass SZ-Urgestein und Online-Nichtversteher Heribert Prantl den Blogs eine düstere Zukunft prognostiziert („Kenner des Internets sagen, auch Blogs und Blogger hätten ihre beste Zeit schon hinter sich“), ist ein deutlicher Hinweis, dass das Gegenteil der Fall sein könnte. Aber Polemik und Spaß beiseite: Was ist dran an der Blog- und Google-/Blog-Krise?

Zunächst halte ich schon die Aussage, dass Google Blogs geliebt habe, für fragwürdig (aber ich bin definitiv kein SEO-Experte!). Google liebte und liebt (um im Bild zu bleiben) gut strukturierte und gut verlinkte Webseiten; Blogs waren und sind gut strukturierte und gut verlinkte Webseiten, erstens weil die Anbieter von Blog-Software eine entsprechende Technik anbieten, zweitens weil die Blogger diese Technik entsprechend nutzen. Daran dürfte sich im Großen und Ganzen wenig geändert haben.

Die Bloggisierung der Online-Medien

Was sich dagegen massiv verändert hat, ist die Online-Medien-Landschaft neben den Blogs. Noch vor wenigen Jahren gab es Interaktion, Kommentare, Vernetzung und Querverweise von Nutzern tatsächlich nur auf speziellen Seiten: in Diskussionsforen oder eben in Blogs. Inzwischen haben die meisten Verlage ihre Online-Angebote – wie etwa Spiegel online oder ZEIT online – professionalisiert oder besser gesagt: bloggisiert. Der Interaktion mit den Nutzern wird inzwischen mindestens ebenso viel Platz eingeräumt wie den redaktionellen Beiträgen.

Nachrichtenverbreitung in sozialen Netzwerken 2012, Quelle: TU Darmstadt
Nachrichtenverbreitung in sozialen Netzwerken 2012, Quelle: TU Darmstadt

Diese Öffnung hat nicht nur innerhalb der Online-Angebote stattgefunden, sondern auch darüber hinaus: Social Sharing – ursprünglich ebenfalls ein Blog-Spezifikum – ist inzwischen Standard auch bei großen Medienseiten. Die Online-Artikel der großen Medien werden im Social Web rauf und runter geteilt, geliked, geretweetet, geplusst und diskutiert. Ein Blick auf den Dienst Rivva, der täglich viel diskutierte Beiträge im Web präsentiert, genügt, um das zu bestätigen – im Moment, in dem ich das schreibe, finden sich Beiträge von t3n, ZEIT online, dem Wallstreetjournal und dem Handelsblatt an der Spitze der Rivva-Liste. Und selbst wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen das, wie auch die Grafik links zeigt.

Mit anderen Worten: Die Reichweite und Bedeutung der „reinen“ Blogs ist vielleicht geschwunden, was aber daran liegt, dass das ganze Web von den Blogs gelernt und viele ihrer Neuerungen übernommen hat – woran ich nichts Schlechtes finden kann.

Die cleveren Medien lassen bloggen

Blogger im Auftrag des Spiegel: Sascha Lobo
Blogger im Auftrag des Spiegel: Sascha Lobo

Dass vor allem die Online-Seiten großer Medienhäuser heiß diskutiert und intensiv verteilt werden, kann man beklagen – schließlich sind so kleine Blogs wie meines doch viel netter und sympathischer ;-) Das hat aber nicht nur technische Gründe, es liegt auch daran, dass die cleveren Verlagshäuser zunehmend gute, interessante, relevante und reichweitenstarke Blogger beschäftigen oder engagieren.

Paradebeispiel ist natürlich Sascha Lobo, der meiner Wahrnehmung nach immer weniger in seinem privaten Blog schreibt und immer öfter als Kolumnist auf Spiegel online tätig ist. Gleiches gilt, um beim Spiegel zu bleiben, der hier meiner Meinung nach wirklich clever und vorausschauend agiert, für Stefan Niggemeier, der zwar immer noch sehr aktiv in seinem eigenen Blog schreibt, aber nach seinem Wechsel von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum Spiegel auch dort gut beschäftigt ist.

Auch darin kann ich keine Krise der Blogs sehen. Was Lobo und Niggemeier und immer mehr andere Blogger tun ist – weiter bloggen, nur eben im Rahmen größerer und professioneller Angebote und ohne das explizit „Bloggen“ zu nennen.

Corporate Blogs – auch Unternehmen lernen dazu

Corporate Blogs
Lesenswert: Meike Leopolds Buch über Corporate Blogs

Einen Trend zum Bloggen sehe ich auch bei Unternehmen, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Meiner Wahrnehmung nach haben sich viele Unternehmen beim Thema Blogs erst zurückgehalten und die Vorzeigeprojekte und Leuchtturm-Blogs wie den Saftblog oder den Daimler-Blog beobachtet. Dann haben sich einige vorgewagt und Blogs eröffnet, aber den Aufwand unterschätzt und sich zu schnell zum Beispiel davon entmutigen lassen, dass Kommentare gerade in Corporate Blogs nicht vom Himmel fallen.

Heute begegne ich immer mehr gründlich vorbereiteten, professionell hochgezogenen und daher ernst zu nehmenden Corporate Blogs – und schließe mich also dem Eindruck von Daniel Rehn an, der schon vor einem Jahr vom „Return of the Corporate Blog“ gesprochen hat. (Zur Einführung von Corporate Blogs habe ich übrigens auch schon mal ein paar Takte geschrieben.) Und wer’s nicht glaubt, der werfe einen Blick auf die vielen Beispiele für Corporate Blogs, die Kerstin Hoffmann gesammelt oder Meike Leopold in ihrem Buch vorgestellt hat.

Soziale Netzwerke – (k)eine Alternative zu Blogs?

Sascha Lobo hat es schon im vergangenen Frühjahr auf der re:publica gefordert, Johnny Haeusler vom Spreeblick hat vor einigen Tagen nachgelegt: Sorgt dafür, dass wichtige Inhalte und die Diskussion darüber in euren eigenen Blogs ihre Heimat haben, und nicht auf den Plattformen irgendwelcher Konzerne, die diese Plattform morgen vielleicht dicht machen oder ihre AGB nach Belieben ändern. Natürlich ist Facebook beeindruckend und Twitter charmant und Google+ interessant … Aber wenn es um mehr als Zwitschern und Liken geht, spricht viel für den eigenen Blog.

Allerdings weiß ich nicht, ob die großen Social Networks wirklich eine Bedrohung für Blogs sind bzw. diese in eine Krise stürzen. Ich kenne nur wenige Blogger, die immer weniger bloggen, um immer mehr Aktivität auf Google+ oder Facebook zu verlagern. Und seien wir ehrlich: Tatsächlich hätten doch 99 Prozent der Kommunikationsschnipsel auf Facebook niemals in einem Blog stattgefunden.

Fazit

Wenn die „goldenen Zeiten der Bloggerei zum Zwecke der Google-Besucher Maximierung“ der Vergangenheit angehören, wie manche SEOler das beklagen, wäre das kein Schaden. Die goldenen Zeiten der Bloggerei zum Zwecke der Publikation und Diskussion interessanter Gedanken haben dagegen, meine und hoffe ich, gerade erst begonnen.

Bildnachweis: Thomas Hawk

10 Gedanken zu “Gibt es eine Blog-Krise?

  1. Sehe das ähnlich wie du und den SEO-Herrschaften sei gesagt, dass jede Krise, wenn dann eine da ist, irgendwann zu Ende geht. Momentan sind wirklich viele Themen-Diskussionen in sozialen Medien ausgelagert, allerdings keine ich einige Blogs, auf denen die Kommentarseiten gut gefüllt sind. Klar, das sind meist die großen oder bekannten Blogs, allerdings muss ich auch etwas dafür tun um groß und bekannt zu werden. Hier hilft wirklich nur guter und interessanter Content mit dem passenden Marketing. Als Betreiber eines Nischenblog muss man sich erst gar nicht einbilden, dass der Besucherzähler bzw. die Kommentaranzahl explodiert, nur weil ein wenig gebloggt wird. Noch schlimmer sieht es bei einem privaten Blog aus, so wie ich es betreibe. Ausnahmen bestätigen übrigens die Regel. Machbar ist jedoch alles, man muss nur etwas dafür tun. Das nennt sich dann unbezahlte oder durch Bannerwerbung schlecht bezahlte Arbeit und schon macht es vielen keinen Spaß mehr. Kurz: Blogkrise.

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  2. Für die Prantl-Passage bekommst Du meinen persönlichen Formulierungs-Award, SEHR schön!!!

    Und inhaltlich kann ich noch beitragen: Das ist jetzt natürlich nur ein Mini-Ausschnitt aus der Realität rund um Blogs, deren Bedeutung für Suchmaschinen usw., aber in meinem bierfranken-Blog konnte ich nicht erkennen, dass man tendenziell schlechter bei Google rankt als früher. Ich glaubte sogar, ohne dass ich Zahlen systematisch ausgewertet habe, eher das Gegenteil zu beobachten.

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  3. Sehr guter Beitrag! Ich denke nicht, dass das Ende der Blogs in Sicht ist. Obwohl ich bei den Top-Blogs immer wieder feststelle, dass die Kommentarspalten immer leerer werden und sich die Inhalte immer mehr ähneln.
    In dieser sogenannten Krise, steckt also die Chance für Blogger ihren Content wieder attraktiver zu gestalten.
    Man darf also gespannt sein.

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  4. wenn mal die ersten wogen unternehmerischer begehrlichkeiten und aufgeregtheit geglättet und die userInnen von g+, fb und co müde ab dem unphysiologischen tempo, der schnelligkeit, des chamäläonhaften der socialmedias gegeworden sind, werden sie sich sehr wohl an informativen und beständigen bloggs erinnern und regelmässig darauf zurückkehren.
    es werden dies kleine oasen sein, die dem gewusel und der neuronalen überforderung des menschlichen gehirns und seiner sinnesorgane, eine echte beruhigungs-und vertiefungsqualität entgegenhalten können. auch schnelle und virtuelle medien kommen nicht an die materialität und physiologie der userIn vorbei. noch braucht es uns menschen, die dem bunten treiben zuschauen und mitwirken. kann sein, dass wir es in einer unmittelbaren zukunft geschafft haben werden, dass es niemanden mehr vor dem userinterface braucht…
    solange es solche blogs wie diesen gibt, besteht eine grosse chance, dass bloggen zwar nicht das hippste aber etwas vom verlässlicherem im virtuellen space werden wird….

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  5. Nun ich denke, es man hier nicht von Krise reden kann. Als ich vor 6 Monaten meine Blogsuchmaschine [Link gelöscht weil Ziel nicht mehr existiert, Anm. Admin] ins Leben gerufen habe, verzeichne ich einen stätigen Zuwachs an Blogs. Nicht nur etablierte Blogs sondern auch neu gestartete Blogs werden indexiert, was mir persönlich den Eindruck vermittelt, dass es keine Blogkrise gibt.

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