Amazon und die Corporate Social Responsibility

Während sich die Wogen im „Fall Amazon“ langsam wieder glätten, halten wir fest: Das Ganze hat auch sein Gutes, denn Unternehmer, Marketing- und Personalverantwortliche können einiges daraus lernen …

Kaum war Amazon vor einigen Wochen wegen der Behandlung von Leih-Arbeitnehmern in die Kritik geraten, machte das böse S-Wort die Runde: ein Shitstorm! Und natürlich dauerte es gefühlt nur Minuten, bis erste Experten sich zur Frage äußerten, welche Relevanz nun dieser Shitstorm habe (keine!) und wie nachhaltig er sich auf den Umsatz von Amazon auswirken werden (gar nicht!).

Doch wer auf ein Reputations-Problem wie bei Amazon lediglich mit einer Shitstorm-Analyse reagiert, springt zu kurz (inzwischen fordern manche sogar, das S-Wort gar nicht mehr zu benutzen, was auch einen gewissen Charme hat). Zum Glück hat Christian Henne ausführlich dargestellt, warum so kurze Sprünge nicht hilfreich sind. Ich möchte gerne noch einen Schritt weiter gehen und sage: Der Fall Amazon ist ein 1A-Paradebeispiel dafür, welche Relevanz inzwischen das Thema Corporate Social Responsibility hat, wie stark die Reputation eines Unternehmens davon abhängt und was das für die Unternehmenskommunikation bedeutet.

Corporate Social Responsibility – was ist das denn?

Der Gedanke, dass Unternehmer gesellschaftliche Verantwortung tragen, ist uralt. Aristoteles etwa erwartete schon vor über 2.000 Jahren von ihnen, sich „mehr auf die Tugend der Menschen als auf die Anhäufung von Besitztümern“ zu konzentrieren. Heute steht Corporate Social Responsibility (CSR) für eine Einstellung von Unternehmen und – wichtiger noch in unserem Kontext – für eine Erwartungshaltung gegenüber Unternehmen: im Rahmen des unternehmerischen Handelns verantwortungsvoll mit Mensch und Umwelt umzugehen, und zwar über eine reine Einhaltung gesetzlicher Vorgaben hinaus.

Wenn wir ganz kurz und hypothetisch davon ausgehen, dass nicht alle Menschen und also auch nicht alle Unternehmer gut sind und nur Gutes tun wollen, dass also manchen die „Tugend der Menschen“ einigermaßen wurscht ist, die „Anhäufung von Besitztümern“ hingegen nicht – dann stellt sich die Frage: Wozu so eine Unternehmensethik? Was bringt’s? Die Antwort lautet ganz einfach: Erfolg. Oder genauer gesagt: Ökonomen sehen die Akzeptanz eines Unternehmens in der Gesellschaft als wichtige Voraussetzung für den langfristigen unternehmerischen Erfolg – und einen Verlust dieser Akzeptanz als Bedrohung desselben.

Akzeptanzverlust bei Amazon

Dabei springt man nicht nur zu kurz, wenn man diesen Akzeptanz-Verlust mit dem Zählen von Facebook-Fans widerlegen zu können glaubt, sondern auch, wenn man allzu simple Gleichungen aufmacht wie „verantwortungsloses Handeln = weniger Umsatz und Gewinn“. Und daher ist es auch albern, den Fall Amazon abzutun mit Äußerungen wie „Und, machen die jetzt weniger Umsatz als vorher? Nein! Siehste!“

Enttäuscht ein Unternehmen die gesellschaftlichen Erwartungen an die Corporate Social Responsibility, führt das in der Regel nicht zu kurzfristigen monetären Auswirkungen, sondern beeinflusst mittel- bis langfristig „weiche“ Erfolgsfaktoren bzw. intangible assets wie Reputation, Vertrauen, Mitarbeitermotivation und Kundenzufriedenheit. Genau das lässt sich in Reinform am Fall Amazon beobachten, der geradezu lehrbuchmäßig das illustriert, was Nick Lin-Hi, Professor für Corporate Social Responsibility in Mannheim, als eine der Triebkräfte für CSR definiert:

Diverse unternehmerische Skandale haben zur zunehmenden Erosion des gesellschaftlichen Vertrauens in Unternehmen und deren Aktivitäten beigetragen. Insbesondere die Gewinnorientierung von Unternehmen wird kritisch gesehen und oft als Ursache für gesellschaftlich unerwünschte Effekte der unternehmerischen Wertschöpfung erachtet. (…) Infolgedessen entwickeln sich auch Fragestellungen zu ökologischen und sozialen Standards der Wertschöpfung sowie den Grenzen der Gewinnorientierung.

Wenn die Fragestellung zum Entrüstungssturm wird

Fragestellungen, die sich entwickeln … Das klingt harmlos, ist es aber nicht, wenn sich die Fragestellung zu einem medialen Entrüstungssturm entwickelt. Solche Eskalationen sind nicht neu und sie kamen natürlich nicht mit Social Media in die Welt. Aber sie haben durch die Veränderung der Kommunikationslandschaft in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung und Durchschlagskraft gewonnen: durch das Zusammenspiel klassischer und neuer Medien, durch alte Reichweite und neue Kommunikationsgeschwindigkeit, durch professionelle Berichterstattung gepaart mit User Generated Content, durch journalistische Arbeit in Kombination mit tsunamiartigen Erregungswellen im Social Web.

Den Fall Amazon finde ich vor diesem Hintergrund aus mehreren Gründen interessant:

1. Es handelt sich um ein klassisches CSR-Problem: Amazon hat sich bei der Behandlung seiner Leih-Arbeitnehmer (vermutlich) im Rahmen der Gesetze bewegt, aber das genügt nicht. Es gibt offenbar in breiten Schichten der Gesellschaft den Wunsch, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter gut behandeln – in den gängigen CSR-Modellen wird das als ethische oder philanthropische Verantwortung des Unternehmers bezeichnet.

Bruch zwischen Marke und Arbeitgeber-Marke

2. Dabei hilft es wenig, dass Amazon eigentlich ein gutes Image als modernes, innovatives und vor allem kundenfreundliches Unternehmen hat. Anders gesagt: Der Erfolgsfaktor „Kundenzufriedenheit“ half nicht dabei, das CSR-Problem „Mitarbeiterzufriedenheit“ zu neutralisieren, im Gegenteil: Sehr schnell wurde die Frage laut, ob die von Amazon erreichte Kundenzufriedenheit nicht erst durch einen verantwortungslosen Umgang mit den Mitarbeitern zu erreichen war. Glückliche Kunden durch Ausbeutung der Mitarbeiter, vereinfacht gesagt. Oder für Marketing-Fuzzis: Es gibt einen erkennbaren Bruch zwischen Marke und Arbeitgeber-Marke; die Defizite im Bereich der Arbeitgeber-Marke Amazon beschädigen die Glaubwürdigkeit der Marke Amazon.

3. Amazon steht am Anfang eines Reputations- und CSR-Problems. Der Lack hat sozusagen erste Kratzer bekommen. Das ist aber keine Entwarnung („Alles nur halb so schlimm“), denn ab sofort steht die Corporate Social Responsibility von Amazon unter Beobachtung. Amazon hat es selbst in der Hand, durch glaubwürdiges verantwortliches unternehmerisches Handeln die Reputation und Akzeptanz allmählich wieder herzustellen – oder sie bei weiteren Verstößen gegen die gesellschaftlichen Erwartungen nachhaltig zu beschädigen. Wohin das führen kann, konnte man etwa bei Schlecker beobachten, dessen Weg in die Insolvenz von massiven CSR-Problemen begleitet wurde. Vom Reputationsproblem zum Akzeptanzproblem zum Kundenschwund zur Pleite sozusagen.

Reputationsrisiko und Kommunikation bei Amazon

4. Dass Amazon (Deutschland) am Anfang eines solchen Problem steht und offenbar keine Erfahrung mit dem Management von Reputationsrisiken hat, erklärt auch den unglaublich dilettantischen Umgang des Unternehmens mit der Krise. Wie die drei Affen versuchte man nichts zu sehen, zu hören und zu sprechen, in der Hoffnung, das Problem würde sich in Luft auflösen. Tat es aber nicht, weshalb Amazon-Chef Kleber nach einigen Tagen dann doch noch vor eine Kamera gestellt wurde, um die Krise schönzureden (ein gleichermaßen laienhafter wie unempathisch-rechthaberischer Auftritt, der jedem Kommunikations-Profi Tränen in die Augen getrieben hat).

Ich bin gespannt, ob Amazon nun in Reaktion auf die Reputations-Krise Prozesse und Strukturen (wie etwa eine Content-Plattform zur Kommunikation und Distribution eigener Inhalte und Botschaften) aufbaut, nachdem man das proaktiv versäumt hat.

Was bedeutet das für die Unternehmenskommunikation?

Erstens muss das Thema Corporate Social Responsibility bedacht, durchdacht und im Unternehmen verankert werden. Dabei ist es eine gute Idee, die CSR nicht isoliert zu betrachten, sondern in Einklang mit Marke und Arbeitgeber-Marke.

Zweitens muss im Rahmen der CSR-Etablierung und idealerweise im Rahmen eines Markenprojekts der Weg vom Ist zum Soll eingeschlagen werden. Nobody’s perfect, das gilt nicht nur in Billy Wilders Some like it hot, sondern auch für alle Unternehmen. Der Weg endet auch nie, allein schon weil sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kontinuierlich ändern.

Drittens braucht es Kommunikationsstrategie, -infrastruktur und -maßnahmen, und zwar nicht erst, wenn eine Krise da ist. Das ist mit Zeit, Geld und Aufwand verbunden und folgt im Kern der guten, alten PR-Maxime „Tue Gutes und rede darüber“, wobei der Teufel im Detail steckt (Was reden? Wo reden? Wie reden? Wann reden? Mit wem reden?).

Fazit

Der „Fall Amazon“ ist eine lehrbuchmäßige Corporate Social Responsibility-Krise mit einigen interessanten Besonderheiten und vor allem einer Relevanz und Dynamik, die dem sehr effektiven Zusammenspiel von alten und neuen Medien und der sehr ineffektiven Unternehmenskommunikation von Amazon geschuldet sind. Für Unternehmensvertreter ein guter Fall, um mal darüber nachzudenken, wie sie selbst agieren und reagiert hätten.

Bildnachweis: Gerd Altmann / pixelio.de

8 Gedanken zu “Amazon und die Corporate Social Responsibility

  1. Ich stimme Dir zu: „Dabei ist es eine gute Idee, die CSR nicht isoliert zu betrachten, sondern in Einklang mit Marke und Arbeitgeber-Marke.“

    Allerdings halte ich es für eine noch bessere Idee sich dann auch gleich von der Idee der „Arbeitgeber-Marke“ zu verabschieden. Ich halte allein schon die begriffliche Trennung zwischen „(Kunden-)Marke“ (intern im Marketing aufgehängt) und „Arbeitgeber-Marke“ (im HR-Bereich angesiedelt) für ziemlich kurz gedacht. Dann braucht man nämlich bald auch eine „Lieferanten-Marke“ (Einkauf), eine „Partner-Marke“ (z.B. in der Entwicklung) und so weiter. Das alles sind interne Strukturen, die nach außen getragen werden und im schlechtesten Fall alle ihre eigene Marke bauen wollen.

    Sehr überspitzt erzähle ich so als Agentur zukünftig meinen Kunden sie bekommen bei uns alles sofort (auch wenn es „ausnahmsweise“ mal kurzfristig ist), günstig, auf höchstem Niveau, natürlich fehlerlos und unser Zahlungsziel ist 3 Monate (klasse „Kunden-Marke“). Meinen Mitarbeitern und potentiellen Kandidaten erzähle ich, sie bekommen n super Gehalt, spannende Projekte aber nie mit Stress verbunden, Feierabend um fünf und tolle Aufstiegschancen (jetzt hab ich auch ne super „Arbeitgeber-Marke“). Partnern erzähle ich, wir zahlen sofort, habe konkrete unmissverständliche Briefings, keinen Zeitdruck und so weiter. Und natürlich ham ma Green-IT, sponsern den örtlichen Gesangsverein und pflanzen jeden Tag drei Bäume… ich glaub Du weißt worauf ich raus will: Das funktioniert nicht.

    Meine Meinung dazu ist: Es gibt nur EINE Marke (mal Unilever und Co. ausgenommen). Und die Tendenz vieler Unternehmen, jetzt eine „Arbeitgeber-Marke“ auf zu bauen halte ich für strukturell falsch.

    Manche mögen sagen: Das ist nur ein Begriff, natürlich ist alles eine Marke. Aber Hand aufs Herz: Im HR-Bereich schlägt es für die „Arbeitgeber-Marke“ und im Marketing primär für die „Kunden-Marke“. Wenn man jetzt anfängt den Kindern Namen zu geben ist das nicht nur ein Projektname. Es ist eine Tendenz, die m.E. dazu führen wird, dass die Marke eben nicht homogen und verständlich wahrgenommen wird – sondern genau das Gegenteil. Und um den Werbersprech zu verwenden: Es zahlt alles auf die Marke ein.

    Und genau wie bei CSR geht es nicht um Alibi-Maßnahmen. Es geht darum, dass hinter einer Marke bereichsübergreifend eine gewisse Ethik/Philosophie stehen muss. Und wenn es die gibt [sic!] und man dann nicht amazontalkabout-mäßigen-PR-Harakiri begeht braucht man glaube ich gar nicht mehr so viel darüber reden, sondern es reicht die Leistung (wenn sie stimmt). Ich weiß, als Merketing-Fuzzi darf man das eigentlich nicht sagen.
    Ein Unternehmen und somit auch eine Marke muss m.E. kommunizieren wie und warum sie dieses oder jenes bietet/tut oder eben nicht bietet/tut – dann wird sie auf dem Markt als Marke verständlich wahrgenommen und (hoffentlich) langfristig erfolgreich sein.

    Kurzum: Ich habe irgendwie den Eindruck der Begriff „Arbeitgeber-Marke“ wurde von Agenturen erfunden, die größere HR-Kampagnen verkaufen wollten…

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  2. Nachdem ich mich seit vielen Jahren mit dem Thema Arbeitgebermarke beschäftige reizt mich eine Antwort.
    Ja, es gibt nur eine Marke und ja, Agenturen nutzen die Arbeitgeber-Marke um Geld zu verdienen.
    Dass das in manchen Fällen nicht genug aufeinander einzahlt, liegt m.M.n. an der nicht funktionierenden Kooperation zwischen Marketing und HR.
    Die Kraft der Marke kommt immer von innen. Dabei hat aber ‚innen‘ (Mitarbeiter und besonders die Führungskräfte) eine andere ‚Beziehung‘ zur Marke und mit dem Arbeinehmerverhältnis und dessen Versprechen noch einen Teil, den die Kunden nicht teilen.
    Daher ist eine andere Ansprache der Markenversprechen (z.B. durch eine Arbeitgeber-Marke) sinnvoll und zielführend. Sofern die Passung zum Unternehmenversprechen gegeben ist (vgl.
    https://www.datev-karriereblog.de/2012/11/22/und-was-in-aller-welt-hat-fuhrung-mit-marke-zu-tun/).
    Fehlt diese Passung und das hat Christian gut rausgearbeitet, dann entsteht eine dauerhafte Risiko der Reputation des Unternehmens.
    Wer sich die kununu Bewertungen der Arbeitgeber so anschaut und dann mit den Hochglanz Versprechen vergleicht, bekommt ein Gefühl für diese Risiken.
    „Ein Unternehmen und somit auch eine Marke muss m.E. kommunizieren wie und warum sie dieses oder jenes bietet/tut oder eben nicht bietet/tut – dann wird sie auf dem Markt als Marke verständlich wahrgenommen und (hoffentlich) langfristig erfolgreich sein.“
    Das sehe ich ebenso. Aber das Versprechen ‚Zukunft gestalten. Gemeinsam‘ löst bei unseren Kunden andere Bilder aus, als bei unseren Mitarbeitern. Und deshalb differenzieren wir auch in der Kommunikation (vgl. http://www.raum-zum-gestalten.de).
    Und das Versprechen den Kunden gegenüber muss langfristig auch zu den Versprechen passen, die wir den Mitarbeiter vermitteln. Dann wird ein Schuh draus!

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