Das Glaubwürdigkeitsproblem der YouTube-Prominenz

Früher waren Boris Becker und Dieter Bohlen begehrte Werbefiguren, heute sind es YouTuber wie LeFloid, Simon Unge oder Dner. Damals wie heute gilt: Gegen Werbung ist nichts einzuwenden – wenn man mit offenen Karten spielt. Das fällt so manchem prominenten YouTuber aber offenbar schwer …

Ein Beispiel: Die Kampagne #wireinander der Techniker Krankenkasse. Die TK hat wie viele andere Krankenkassen ein Problem: Das Geschäft ist nicht sexy, man bietet Leistungen, die fast jeder bietet, und zwar zum Einheitspreis. Die Kunden werden immer älter und junge Menschen finden Krankenkassen ungefähr so interessant wie die Geschichten von Uropa aus dem Krieg.

Werbebotschaft an 6 Millionen Abonnenten

Auch YouTuber Julien Bam wirbt für die Kampagne der Techniker Krankenkasse
Auch YouTuber Julien Bam, 565.000 Abonnenten, wirbt für die Kampagne der Techniker Krankenkasse

Die Idee der Kampagne ist daher sehr gut: Man gewinnt prominente YouTuber als Testimonials. Sie verfügen in der jungen Zielgruppe über gigantische Reichweite und erhebliche Glaubwürdigkeit. Die Jungs und Mädels sind locker, frisch und authentisch. Folgerichtig schwärmt Franziska von Lewinski, Vorstand der mit der Kampagne beauftragten Agentur FischerAppelt: „Youtuber sind nicht nur Testimonials, sondern Persönlichkeiten mit einer lebendigen Community dazu. Und die reagiert auf die Inhalte und Aufrufe ihrer Lieblingskünstler.“

In der #wireinander Kampagne erzählen die YouTuber in Videos echte Geschichten aus dem echten Leben, wie sie mal Probleme hatten und sie wieder in den Griff bekamen, vom Sportunfall bis zur Depression. Die Botschaft: Alles wird gut, „man braucht nur etwas Mut, sich anzuvertrauen und helfen zu lassen. Mit einem Partner wie der Techniker Krankenkasse kann man seinen eigenen Weg gemeinsam gehen“. Oder mit den Worten der Agentur-Chefin: „Hoffnungsvolle Kommunikation verknüpft mit Verantwortung als Aussage und ein einfacher Zugang zu den Leistungsangeboten der werbenden Marke – das ist mit „Den eigenen Weg gemeinsam gehen“ bisher gut gelungen.“

Das läuft auf einer Microsite der TK, in Werbespots im Fernsehen – und in den YouTube-Kanälen der Testimonials. Zusammen haben sie über 6 Millionen Abonnenten, die TK-Videos wurden dort 4,5 Millionen mal angeschaut.

Und hier beginnen die Probleme.

Denn hier mixt die YouTube-Prominenz ihre eigenen Filme mit denen der Techniker Krankenkasse und anderer Sponsoren. Es ist die klassische Vermischung von redaktionellem Content und Werbung, wobei Letztere meiner Meinung nach gar nicht klar genug gekennzeichnet sein kann.

Geldverdienen und Transparenz – ein Widerspruch in sich

YouTuber Simon Unge - rechts unten für 3 Sekunden der Hinweis: "Unterstützt durch Produktplatzierung"
YouTuber Simon Unge, 986.000 Abonnenten – rechts unten für 3 Sekunden der Hinweis: „Unterstützt durch Produktplatzierung“

Die YouTuber sind natürlich Medienprofis genug, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Was sie im Rahmen der TK-Kampagne machen, gilt als „Produktplatzierung“, die etwa für TV-Sender im Rundfunkstaatsvertrag geregelt ist. So dürfen bei Privatsendern „Sendungen der leichten Unterhaltung“ von Unternehmen finanziert werden, wenn dies durch einen Hinweis kenntlich gemacht wird. Der eingeblendete Hinweis lautet üblicherweise „Unterstützt durch Produktplatzierungen“ und wird durch ein großes „P“ gekennzeichnet.

Genau so kennzeichnen auch die YouTuber ihre Beiträge zur Techniker-Kampagne und entgehen damit formal dem Vorwurf der Schleichwerbung. Aber sie gehen auch keinen Millimeter weiter, um für ihre junge Zielgruppe mehr Transparenz herzustellen. Beim Geldverdienen ist halt Schluss mit der kumpelhaften Authentizität.

Dieses Verhalten finde ich aus mindestens zwei Gründen kritikwürdig:

Methoden wie ein Medienkonzern

Erstens: Die Zielgruppe der YouTuber ist überwiegend jung und unkritisch. Das sind keine Zuschauer, sondern Fans, die ihre YouTube-Idole nicht selten vergöttern. Was Unge, Dner & Co sagen, wird für bare Münze genommen, denn die Jungs sind natürlich viel cooler und „näher dran“ als Eltern, andere Erwachsene oder gar die langweiligen klassischen Medien. Eine dreisekündige Einblendung „Unterstützt durch Produktplatzierung“ dürfte von den allermeisten Fans nicht wahrgenommen werden. Die wenigen, die es wahrnehmen, werden es nicht verstehen. „Unterstützt“ klingt irgendwie nett und knuffig, „Produktplatzierung“ – keine Ahnung, was das ist. Der Rundfunkstaatsvertrag verbietet übrigens explizit Produktplatzierungen in Kindersendungen – aus gutem Grund, da die Kids zu leicht manipulierbar sind. Nun kann man sicher streiten, ob das Programm der YouTuber aus Kindersendungen besteht, aber Kinder sind definitiv ein nennenswerter Teil des Publikums. Was das rechtlich bedeutet, weiß ich nicht. Es erhöht aber meinem Verständnis nach die Verantwortung der YouTuber.

YouTuber MrTrashpack packt die Wireinander-Kiste
YouTuber MrTrashpack, 433.000 Abonnenten, packt die Wireinander-Kiste

Zweitens: Die YouTuber inszenieren sich selbst als unkonventionell, als Anti-Establishment, als besseres Unterhaltungsprogramm im Vergleich zum lächerlich verstaubten linearen Fernsehen aus den Zeiten der Altvorderen. Und als gute Kumpels von nebenan, die ihre persönlichen Geschichten und Schicksale mit ihren Fans teilen, während im Fernsehen nur inszenierter Mainstream läuft. Wenn es um das Verschleiern von Hinweise auf Werbung und Geld von der Industrie geht, verwendet der YouTube-Kumpel von nebenan aber exakt dieselben Methoden wie der börsennotierte Medienkonzern. Geringstmögliche Transparenz: Hier unterscheidet sich der lustige MrTrashpack und der sportliche Julien Bam in nichts von RTL2.

Transparenz wäre ganz einfach

Dabei wäre die Sache ganz einfach: „Für dieses Video habe ich Geld von der Techniker Krankenkasse bekommen.“ Ein solcher Satz vom YouTuber im Video gesprochen (und nicht nur klein ein- und ausgeblendet) sowie in der Videobeschreibung vermerkt, und ich wäre zufrieden. Ausbaustufe: Ein Hinweis „Sponsored“ im Videotitel. Immerhin weist Simon Unge – als einziger – auch in der Videobeschreibung auf die „Unterstützung durch Produktplatzierung“ hin.

Hier können YouTuber von manchen Bloggern lernen, die bezahlte Beiträge als „Sponsored“ im Titel kennzeichnen, etwa Chris Kurbjuhn Im Blog Männer unter sich. Andere wie Thomas Knüwer auf Indiskretion Ehrensache weisen per Disclosure gut sichtbar am Textanfang auf eine Kooperation hin. Wieder andere wie Felix Schwenzel auf wirres.net beschäftigen sich ausführlich mit der Frage, ob und wie man Affiliate Links zum Beispiel auf Amazon-Produkte kennzeichnen sollte. Maximale Transparenz bei Wahrung der eigenen Glaubwürdigkeit. Aber bei Bloggern geht es vermutlich um deutlich weniger Geld als bei prominenten YouTubern, und die Vermehrung von Geld und Transparenz geht eher selten Hand in Hand. Als Blogger fragt man sich dann schon mal wie Felix: „warum sollte ich etwas tun, das möglicherweise das vertrauen meiner leser in mich zerstört oder trübt?“

Die Antwort des YouTubers

Doch leider besteht wenig Hoffnung auf Einsicht bei den YouTubern. Einige habe ich per Mail zu ihrer Haltung zum Thema gefragt, die meisten haben natürlich nicht geantwortet. Aber immerhin einer. Er schrieb auf meiner Frage nach einer deutlicheren Kennzeichnung:

Das habe ich nicht nur noch nie gesehen, sondern, wie gesagt, finde ich persönlich, das sollte nicht im Vordergrund eines Videos stehen, also muss ich die Tatsache da auch nicht hinrücken.

Und dann noch dieser Kommentar, der eigentlich alles sagt:

Ich habe jetzt nicht wirklich Lust, über Glaubwürdigkeit zu diskutieren.

tl;dr

Prominente YouTuber haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sie könnten ihren Fans offen sagen, dass und wie sie Geld verdienen, verzichten aber darauf. Dass sie gegenüber ihrer ziemlich jungen und wenig kritischen Zielgruppe eine besondere Verantwortung haben könnten, ist ihnen nicht bewusst oder egal oder beides.

Bildnachweis: Techniker Krankenkasse, YouTube-Kanäle von Julien Bam, Simon Unge, MrTrashpack

10 Gedanken zu “Das Glaubwürdigkeitsproblem der YouTube-Prominenz

  1. Da zeigt sich wieder, dass das Internet nicht wirklich eine neue Welt ist. Der Idealismus und die Aufbruchstimmung, die das etwas anarchische Ohne-Netz-und-doppelten-Boden-Internet der Gründerzeit zustandegebracht haben, sind mittlerweile etwas fadenscheinig geworden, und es stellt sich heraus, dass das Internet eben kein Garten Eden 2.0 ist, sondern nur ein Abbild des alten, sattsam bekannten Jammertals mit ein paar eingebauten technischen Spielereien.

    Man wollte alles anders und besser machen, freier, demokratischer, unmittelbarer und ohne die ganzen alten Zöpfe der Analogwelt, und jetzt laufen dort doch nur wieder die gleichen Figuren rum mit genau denselben Macken und Fehlern wie schon immer. Digital Natives sind nicht die besseren Menschen, sie nutzen nur andere Technologien und Kanäle.

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    • Ihre Schlussfolgerung beleuchtet aber auch nur einen (kommerziellen) Teil des Internets. Das idealistische, freie Internet existiert nach wie vor. Makers- und OpenSource-Bewegungen nehmen immer mehr an Fahrt an. Also eine gegenteilige Entwicklung als die, die Sie beschrieben haben. Ich sehe die Sache daher anders. Leider versuchen große Konzerne ihre Gewinne abzuschöpfen und attackieren gemeinsam mit den Gesetzgebern die angesprochenen Ideale. Aber noch haben sie nicht gewonnen.

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  2. „Einige habe ich per Mail zu ihrer Haltung zum Thema gefragt“ Vielleicht hättest Du sie per Email befragen sollen. Wer reagiert denn noch auf Mails, wenn es nicht gerade das Finanzamt ist?

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  3. […] Christian Buggisch hat aufgeschrieben, was Ihn an der Kennzeichnungen von Product Placements in Youtube-Videos stört und nimmt die Kampagne der Techniker Krankenkasse zum Beispiel. Ähnlich wie Blogger sollten Youtuber ihre Kooperationen klar kennzeichnen um die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden. Hierzu reiche eine kurze Einblendung aber nicht aus, Youtuber müssten vor allem durch eine deutliche Ansage im Video und den Hinweis “Sponsored” im Titel auf ihre Kooperationen aufmerksam machen. Durch ihre enorme Reichweite hätten Youtube auch eine Verantwortung ihrer – meist jugendlichen – Zielgruppe gegenüber. Ein Punkt, den auch Jan Böhmermann bereits kritisch anmerkte: […]

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  4. Jetzt wäre noch ganz interessant zu wissen, wer angeschrieben wurde und ganz besonders : Wer zurück geschrieben hat.

    Trotzdem interessant, dass sich seit dem PP-Skandal vor einem Jahr nicht viel weiter entwickelt hat

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  5. […] Schlimmer ist Problem Nummer 2, mit dem wir es zu tun haben, wenn der Leser oder Zuschauer hinters Licht geführt wird. Er glaubt immer noch daran, dass sein favorisierter Blogger, YouTuber und Instagramer aus Interesse am Thema kommuniziert und echte persönliche Empfehlungen bereithält. Dass es sich letztlich um Werbung handelt, wird nicht selten verschwiegen oder verschleiert – ich schrieb schon einmal darüber. […]

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