WirNachbarn – das Netzwerk für Nebenan

Noch ein soziales Netzwerk? Muss das sein? Gibt es nicht schon genug davon? Mit Philipp Götting, einem der Gründer des Berliner Startups WirNachbarn, habe ich mich unterhalten und ihn unter anderem gefragt, ob Nachbarn Netzwerke brauchen und ob er sich als Konkurrent zu Facebook sieht …

Philipp, wie seid ihr auf die Idee für WirNachbarn gekommen?

Alles fing damit an, dass mir ein Freund ein Buch empfahl, Bowling Alone, von einem amerikanischen Soziologen. Er beschreibt, dass wir heute einen immer geringeren Teil unserer Freizeit mit anderen Menschen verbringen. Das hat enorme Auswirkungen auf Gesellschaft und Staat, aber auch auf die Entwicklung des Individuums. Wir bekommen weniger Feedback, erleben weniger Gemeinschaft. Etwa zeitgleich habe ich von Nachbarschaftsnetzwerken in Asien und den USA gelesen, die es schaffen, Nachbarschaften wieder zu beleben und den im Buch beschriebenen Trend umzukehren. Die Idee fand ich gut und habe dann begonnen an einem Konzept zu arbeiten für eine Plattform, die es Nachbarn ermöglichen soll, sich besser auszutauschen und zu unterstützen. Ich fing alleine an und habe später zwei Mitstreiter gefunden. Im Sommer 2013 haben wir das Startup WirNachbarn gegründet. Seit Oktober ist die Betaversion online, seit Januar gibt es auch Apps für iOS und Android.

Keine Konkurrenz zu Facebook

Aber letztlich ist das doch nur ein weiteres Netzwerk neben dem großen Facebook und vielen kleinen wie Ello, die sich eh nicht durchsetzen werden. Oder?

Philipp GoettingIch glaube, es gibt drei soziale Kreise, in denen wir uns bewegen: den Kreis unseres beruflichen Umfelds, unseren Kreis von Freunden und Bekannten und schließlich den Kreis von Menschen, die direkt um uns herum wohnen. Ich brauche ein Nachbarschaftsnetzwerk, um überhaupt erst mal zu wissen, wer um mich herum wohnt. Ich kenne meine Nachbarn ja nicht alle automatisch. Gerade bei einem Nachbarschafts-Netzwerk ist für mich wichtig, dass ich auf echte Nachbarn treffe, nicht auf Fake-Accounts. Außerdem ist wichtig, dass meine Privatsphäre geschützt ist, die Server in Deutschland sind und das deutsche Datenschutzrecht gilt.

Das heißt, ihr wollt gar keine Konkurrenz zu Facebook sein, sondern eine Ergänzung, weil ihr einen anderen Bedarf abdeckt?

Ja, absolut. Wir sind komplementär zu Facebook & Co, ein Angebot für Nachbarn und Nachbarschaften, um hier Kommunikation und Austausch zu vereinfachen.

Datenschutz als Standortvorteil

Wie stellt ihr sicher, dass Menschen im Netzwerk keine Fakes sind, sondern echte Menschen, die auch jeweils zu einer speziellen Nachbarschaft gehören?

Momentan haben wir drei Überprüfungs-Methoden: Man kann sich eine Postkarte mit einem Code zuschicken lassen, man kann wie bei Airbnb seinen Ausweis hochladen und man kann sich telefonisch zur Überprüfung anrufen lassen.

Der letzte prominente deutsche Versuch eines Social Networks, die VZ-Netzwerke, ist grandios gescheitert. Seitens VZ hieß es damals immer wieder, es sei ein Standortnachteil, dass man sich an die strengen deutschen Datenschutzauflagen halten müsse, während andere Anbieter viel freier agieren könnten. Wie siehst du das?

Philipp Goetting von WirNachbarnFür uns ist es ein Vorteil, weil es Vertrauen schafft – und wir haben uns ja bewusst dafür entschieden, ein deutsches Startup zu gründen. Ich glaube, StudiVZ ist eher daran gescheitert, dass der Eigentümer Holtzbrinck das Projekt nach dem Kauf nicht mehr weiterentwickeln wollte, sondern lediglich versucht hat, möglichst viel Werbung auf der Plattform einzustellen. Außerdem glaube ich, dass ein Netzwerk für Studenten global aufgestellt sein muss. Ich habe das selbst hautnah miterlebt, als ich zu einem Auslandssemester in Australien war – spätestens in so einer Situation verlässt du StudiVZ und wechselst zu Facebook. Aber für Nachbarn zum Beispiel in Berlin ist es nicht relevant, sich mit einer Nachbarschaftsgruppe in New York zu vernetzen. Daher leiden wir nicht unter dem globalen Netzwerkeffekt, der StudiVZ ruiniert hat und an dem wohl auch XING zugrunde gehen wird.

Schwerpunkt Berlin

Wo funktioniert denn so ein Nachbarschaftsnetzwerk besonders gut? In Großstädten wie Berlin? Oder auch in kleineren Städten?

Ich glaube, das kann überall funktionieren. Allerdings konzentrieren wir uns als kleines Startup momentan darauf, in Berlin Fuß zu fassen und das Netzwerk hier zu erproben und weiterzuentwickeln. Wir hatten aber gerade diese Woche auch eine Anfrage irgendwo vom platten Land, wo jemand auf der Suche nach einem Instrument ist, mit dem er Bekannte aus der Dorfgemeinschaft vernetzen kann. WirNachbarn ist nützlich für alle.

Seid ihr zufrieden mit der Entwicklung eures Netzwerks?

Philipp Goetting im GespraechJa, wir wachsen langsam und stetig. Du musst bedenken, dass wir nur drei Gründer und zwei Praktikanten sind, da muss man einen Schritt nach dem anderen machen. Außerdem ist das ja nicht wie bei Teenagern, die irgendwas extrem cool finden, was sich dann in der Schule explosionsartig verbreitet, was dann aber auch schnell wieder vorbei ist, wenn der nächste Trend kommt. Nachbarschaftsnetzwerke bauen sich doch sehr viel langsamer auf, dafür sind sie aber auch viel nachhaltiger.

Werbung für die Zielgruppe um die Ecke

Und wie sieht euer Geschäftsmodell aus, wie wollt ihr Geld verdienen? Mitgliedsbeiträge wie XING oder Werbung wie Facebook?

Wir haben die Optionen abgewogen und uns für Werbung entschieden, weil wir glauben, dass das auch für die Mitglieder das Beste ist. Durch den starken regionalen Bezug kann Werbung echten Mehrwert bieten. Wenn die Pizzeria, der Metzger oder der Friseurladen um die Ecke auf besondere Angebote hinweisen können, erreichen sie genau ihre Zielgruppe in fünf Minuten Laufentfernung zum Laden. Für die Nachbarn bedeutet es, wirklich interessante Informationen aus ihrer Umgebung zu bekommen.

Zu guter Letzt: Ist das nicht ein idealisiertes Nachbarschaftsbild, auf das ihr aufbaut? Nachbarschaft bedeutet doch häufig auch Streit um den Maschendrahtzaun bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Was bedeutet das für euer Netzwerk?

Ich glaube, wenn Leute sich wirklich kennen lernen, gehen sie anders miteinander um als anonyme Nachbarn, die zwar nebeneinander wohnen, aber noch nie miteinander gesprochen haben. Aber klar ist, wo immer viele Menschen zusammen kommen, lassen sich Konflikte nicht vermeiden. Wir sehen aber hier in Berlin: Wenn Nachbarn anfangen sich auszutauschen, entstehen viele tolle Interaktionen. Die Leute beginnen, sich gegenseitig zu helfen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über das amerikanische Nachbarschaftsnetzwerk Nextdoor ist übrigens in der New York Times gerade ein interessanter Artikel erschienen.

9 Gedanken zu “WirNachbarn – das Netzwerk für Nebenan

  1. Die Leute aufzufordern den Personalausweis einzuscannen und an „WirNachbarn“ hochzuladen ist die Aufforderung zu einer Ordnungswidrigkeit (die übrigens auch airbnb begeht), vermutlich wird auch selbst eine begangen, wenn die Eingänge von Leuten, die das gemacht haben, aus den E-Mailpostfächern nicht gelöscht werden. Würde ich daher mit meinem nicht machen und als Anbieter diese Aufforderung unbedingt lassen.
    Angerufen werden als alternative „Echtheitsprüfung“ kann man nur, wenn man für alle sichtbar seine Nummer einträgt – was vielleicht nicht jeder will. Und eine Postkarte habe ich als Neumitglied gar nicht erst erhalten trotz echter Adressangaben. Daher wurde ich aus dem neuen Netzwerk wieder entfernt, weil meine Daten nicht überprüft werden konnten. So ging es mehreren aus meiner bereits offline aktiven Nachbarschaft, die das gern genutzt hätten.

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  2. Genau wie bei AirBnB und anderen Portalen ist das Hochladen von ausweisenden Dokumenten zur Echtheits-Überprüfung völlig in Ordnung sofern diese nach der Überprüfung wieder gelöscht werden. Das sichert WirNachbarn zu. WirNachbarn unterliegt Deutschen Datenschutzstandards.

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  3. Hier zur Kenntnis, wie sich das mit dem EInscannen von Ausweisen verhält: https://www.datenschutz-praxis.de/fachartikel/15221/

    Und zum Thema Löschen der Mails, in denen Gutgläubige euch möglicherweise eingescannte Personalausweise zugeschickt haben: WirNachbarn nutzt ja Outlook.com als E-Mail-Dienst, wenn auch mit eigener Domain. Wir alle kennen den Anbieter von Outlook.com, und der muss sich nicht an Deutsche Datenschutzstandards halten.

    Man kann immer nur so gut sein, wie die Dienste, die man nutzt. Das Versprechen, sich an Deutsche Datenschutzstandards zu halten und Dienste zu nutzen, die sich daran ganz klar nicht halten müssen – konkret hierfür gar einen amerikanischen Dienstleister herzunehmen – ist ein hohles Versprechen.

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  4. Das Thema Datenschutz ist für uns ein sehr wichtiges. Ebenso die Sicherstellung, dass wir nur echte Nachbarn mit echten Namen auf unserer Seite haben. Das stärkt das Vertrauen in der Nachbarschaft und erhöht die Qualität des Austausches ungemein.

    Deshalb bieten wir drei verschiedene Verfahren zur Überprüfung der Identität der Nachbarn. Eines davon beinhaltet das Vorzeigen von Dokumenten zur Ausweisung der Identität.

    Das von uns gewählte Verfahren ist strukturell anders als in dem zitierten Artikel. U.a. ist bei uns – anders als im Artikel geschilderten Fall – keinen Pflicht zur Scannung geben. Einer von vielen Unterschieden. Wir – wie andere namenhafte Anbieter auch – sehen unser Verfahren im Einklang mit dem Personalausweisgesetzt. Im Interesse der Nutzer stellen wir eine Identifikation aller Nachbarn sicher.

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  5. Dieser Anspruch der Authentizität der Nachbarschaft ist tatsächlich nahezu ein Alleinstellungsmerkmal, von daher Hut ab, auch für den damit verbundenen Aufwand den ihr betreiben müsst! Nur das „Hochladen“ von Ausweiskopien, so stehts im Interview, würde ich nicht anbieten. Physisch vorzeigen, ggf. via Skype o.ä., wär wieder was anderes.
    Die Möglichkeiten des neuen Personalausweises zu nutzen hinsichtlich seiner eID-Funktion zum Auslesen der Echtdaten für das erstmalige Identifizieren wäre vielleicht noch eine gute vierte Option. Das machen ohnehin viel zu wenig Anbieter, dabei ist der genau dafür da. Hier könnte WirNachbarn aktuell noch das erste „(Local) Social Network“ sein, Aufmerksamkeit wär da gewiss. Da ihr diesen zurecht hohen Anspruch an Datenschutz habt, solltet ihr euch auch nicht angreifbar machen mit Aussagen wie „Daten nur auf Deutschen Servern, Deutscher Datenschutz“, was vermutlich nur zutrifft, wenn man nicht per E-Mail mit euch korrespondiert. Dann stimmt es „garantiert“ nicht.

    Ansonsten viel Erfolg weiterhin. Da meine E-Mail-Adresse durch die nicht erfolgte Authentisierung meiner Person quasi „verbraucht“ ist und ich mich damit auch nicht neu anmelden kann, bzw. ich nicht alles neu machen will, bleib ich erstmal außen vor, bin aber gespannt, was es noch zu hören geben wird! Vielleicht schraubt ja irgendwann mein Vermieter ein Display in den Hausflur über die Briefkästen mit aktuellen Infos, Kleinanzeigen, Sonstigem, aus „WirNachbarn“ ;)

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  6. Hi, die Anregung mit der eID-Funktion nehmen wir auf! Es wird wohl leider noch etwas dauern, bis sich das durchsetzt, aber es ist auf jeden Fall eine gute Sache.

    Übrigens, wenn Du uns schreibst, dann lösche ich Deine Email-Adresse mit der Du offensichtlich irgendwo im Anmeldeprozess hängst.

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