Medienwahlfreiheit

Die letzte Woche hat gezeigt: Das Pendant zur Pressefreiheit ist die Medienwahlfreiheit. Die eine ist wichtiger Baustein unserer Demokratie, die andere sorgt dafür, dass wir an der einen nicht verzweifeln …

Mein persönliches mediales Aha-Erlebnis in Zusammenhang mit dem Absturz der Germanwings-Maschine hatte ich bereits am Mittwoch vergangener Woche. Mittwoch Früh, rund 20 Stunden nach dem Absturz, tat ich etwas, das ich sonst nie tue: Ich schaute Frühstücksfernsehen von ARD und/oder ZDF. Die Berichterstattung war ganz ordentlich, viel wusste man ja noch nicht, daher gab es in etwa nochmal dieselben Bilder und Informationen wie am Abend zuvor.

Bis kurz vor 8 Uhr. Zur vollen Stunde gibt es Nachrichten, und die drei bis vier Minuten davor führen die beiden Frühstücksfernsehen-Moderatoren mit einer Kaffeetasse in der Hand ein nettes Gespräch, um die Zeit zu überbrücken, bis man rüber gibt nach Hamburg zu Ellen Arnold oder wem auch immer. Das gehört zum festen Ritual des Frühstücksfernsehens.

Rituale scheitern an der Wirklichkeit

Doch solche Rituale scheitern an der Wirklichkeit, wenn sie wie letzte Woche katastrophal aus dem Takt gerät, und Medien scheitern ebenfalls, wenn sie nicht in der Lage sind, solche Rituale im entscheidenden Moment zu hinterfragen und auf sie zu verzichten. Und so füllten die beiden Moderatoren die drei Plauder-Minuten vor den Nachrichten mit einem Gespräch über den Absturz, wie fassungslos sie seien und dass man sich ja gar nicht vorstellen könne, was in den Angehörigen vorgehe, und immer so weiter. Es war grotesk und absurd. Form und Inhalt wollten beim besten Willen nicht zusammenpassen. Die Schalte ins Nachrichtenstudio Punkt 8 Uhr war für alle eine Erlösung, auch für die beiden Moderatoren, denen ich leichte Zweifel am Sinn ihrer Katastrophen-Plauderei anzumerken glaubte.

Was mir in dem Moment klar wurde und im Medien-Tsunami der kommenden Tage sehr geholfen hat, ist die banale Erkenntnis: Als Konsument entscheide ich selbst darüber, welches mediale Programm ich mir bieten lasse. Und ich tue gut daran, diese Entscheidung bewusst und sehr selektiv zu treffen.

Das war in den letzten Tagen allerdings aus mindestens zwei Gründen schwer:

Katastrophen und Sehnsucht nach Informationen

Da ist zum einen das Ausmaß der Katastrophe und ihre Nähe, sowohl örtlich als auch situativ. (Beides ist absurd und menschlich zugleich: dass uns ein Absturz in Europa mehr beschäftigt als einer in Uganda und dass wir uns egozentrisch in die Lage der Betroffenen hineinversetzen und denken: „Was, wenn meine Kinder in der Maschine gewesen wären …“). Hand in Hand mit unserer Trauer kommt oft in solchen Momenten die Sehnsucht nach Informationen. Das ist nicht verwerflich, denn informieren bedeutet erklären und erklären bedeutet verstehen. Viele von uns, auch ich, wünschen sich zu verstehen, was da passiert ist, weil sie dann besser damit umgehen können.

Das erklärt die reißende Nachfrage nach Informationen, die von den Medien mit einem entsprechenden Angebot bedient wird. Auch das ist bei ruhiger Betrachtung nicht verwerflich. Ein Katastrophen-Live-Ticker auf n-tv und N24, so inhaltsleer er mangels bekannter Fakten auch sein mag, bedient unsere Sehnsucht nach Information. Eine Fernseh-Talkshow, so spekulativ sie mangels bekannter Fakten auch sein mag, tut dasselbe.

Solche medialen Angebote generell zu verurteilen, weil sie inhaltsleer und spekulativ sind, ist überzogen. Ein solches Urteil negiert das Bedürfnis vieler nach Informationen und unterstellt, dass „echte“ Trauer still und leise sein muss. Wer wie ich am 11. September 2001 bis tief in die Nacht gebannt und fassungslos vor dem Fernseher saß, weiß, dass das eine das andere nicht ausschließen muss.

Allein: Wenige Stunden nach einer solchen Katastrophe gibt es wenige belastbare Informationen, wenig Erklärung und wenig zu verstehen. Den richtigen Zeitpunkt zu finden, sich auszuklinken aus dem „Newsstream“, ist unsere Aufgabe und unsere Medienwahlfreiheit. Wir können eine Debatte über Informationsqualität fordern – oder einfach abschalten.

Geteilter Medien-Müll bleibt Müll

Den zweiten Grund hat Stefan Niggemeier in der FAS damit umschrieben, dass jeder heute Medienkritiker sei. Die sozialen Netzwerke bringen es nun mal mit sich, dass man Links postet und Informationen teilt – und zwar nicht nur die, die man lesenswert findet, sondern auch die, die man ablehnt und kritisiert. Solche Empörungs-Tweets und -Facebook-Posts sind verständlich: „Seht her, was für ein Müll, ekelhaft!“ Und sie laden zur Solidarisierung ein, ziehen viele Likes und Kommentare nach sich.

Im Ergebnis sind sie aber völlig kontraproduktiv, verschaffen sie doch jenen Medien Reichweite und Aufmerksamkeit, die wir am liebsten ein paar Wochen ins Trappisten-Kloster schicken würden, damit sie Schweigen lernen und Buße tun. Ich habe meine Filterblase in jahrelangem Feintuning so gestaltet, dass mich kein einziger BILD-Begeisterter und Franz Josef Wagner-Fan mit seinen Links behelligt. Und dennoch hagelte es letzte Woche Links auf BILD-Bullshit und Franz Josef Wagner-Wahn, weil viele sich über deren sensationsgeile Katastrophen-Hyperventilation aufregten. Aber Scheiße stinkt nach Scheiße, egal ob man den Haufen setzt oder ihn einsammelt und empört herumzeigt. (Tschuldigung.)

Gegen Medienkritik ist nicht das Geringste einzuwenden. Aber gerade in Extremsituationen, wenn sich das Medienrad immer schneller dreht, ist es eine gute Idee für uns Normalnutzer, einen Gang zurückzuschalten, uns zurückzunehmen, unserer Trauer durch Schweigen Ausdruck zu verleihen oder nur das, was wirklich teilenswert ist, zu teilen. Um die Aufarbeitung medialer Schweinereien kümmern sich zuverlässig Bildblog, Niggemeier & Co.

Medienwahlfreiheit ist anspruchsvoll

Medienwahlfreiheit: Die Aufgabe, die für einen selbst passenden Medien zu finden, ist in den letzten Jahren nicht leichter geworden. Die Medienlandschaft ist vielfältig wie nie. Die Demarkationslinie zwischen Qualität und Müll verläuft alles andere als geradlinig. Und ihr Verlauf ändert sich ständig. Wer die Zeiten der „guten alten“ Qualitätsmedien beschwört, wird durch eine missratene Katastrophen-Ausgabe der ZEIT eines besseren belehrt. Wer beschließt, die Kakophonie sozialer Medien komplett zu meiden, sperrt auch Beispiele echter Empathie und Menschlichkeit aus. Wer glaubt, dass DAX-Konzerne wie die Lufthansa nur eiskalte Kapitalisten-PR beherrschen, hat nicht erlebt, wie professionell und mitfühlend zugleich die Airline kommuniziert hat.

Nur die Menschenverachter der BILD-Zeitung haben überraschungsarm alle Erwartungen erfüllt und frei von Ethik und Moral das getan, was sie am besten können: Trauernde belästigt, Opfer bloßgestellt, Witwen geschüttelt.

tl;dr

Medienwahlfreiheit heißt: sich bewusst für und gegen Medien entscheiden. Das hilft in Krisen und überhaupt im Leben.

Bildnachweis: News via photopin (Lizenz)

4 Gedanken zu “Medienwahlfreiheit

  1. … das „Frühstücksfernsehen“ ist für mich einer der zentralen und leider täglichen Nachweise/Beweise für ein übles deutsches Mißverständnis in Sachen „Lockerheit“. Das beschriebene „Übergaberitual“ ist auch ohne Airbus einer der peinlichsten Momente deutscher Fernsehunkultur, – ich schalte jedes Mal sofort ab, wenn sich das Übergaberitual andeutet und bekomme eine Scham-Gänseheut auf dem Rücken. Wenn ich über den Job nicht in einem Hotelbett aufwache, läuft natürlich auch kein TV. Gnade!

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      • … es ist „Heile-Welt-Guten-Morgen-Kitsch“ der eigentlich die Biederkeit der Krauts karikiert, – ich warte immer drauf, dass John Cleese irgendwo hervor springt und den ganzen Stumpfsinn mit einem knappen Kommentar in Gelächter auflöst. Mit „Medienwahlfreiheit ist anspruchsvoll“ wirst Du recht haben, ich kenne zunehmend Leute, die gar nicht mehr bemerken, wie ihre Browser- und Suchmaschinen-Einstellungen ihr Sichtfeld langsam einschränken. Die Filtereinstellungen werden nicht verstanden und so verengt sich die Realität und die Schwarm-Verblödung schreitet voran … P.S. Für Verschwörungstheoretiker: Und die NSA nutzt das systematisch aus ;-)

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