Mal Klartext in Sachen Blogs

Wenn Zeitungen und Blogs eines gemeinsam haben, dann Folgendes: Es steht viel Unsinn in ihnen. Jüngstes Beispiel: Michael Spehrs Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit dem Titel „Blogs am Ende“ …

In nur drei Absätzen schafft Spehr es, so viel Falsches über Blogs zu schreiben, dass es zu Recht auch heftige Reaktionen gab. Nachdem ihr diesem Link gefolgt seid und seinen Artikel schnell gelesen habt, wollen wir uns kurz mit den wesentlichen Aussagen befassen. Ich weiß, das klingt jetzt ein bisschen nach Korrektur eines Schulaufsatzes. Sei’s drum …

Was Blogger definitiv nicht sind

Spehr definiert Blogger wie folgt: „Leute, die im Internet auf ihren eigenen Seiten unentgeltlich veröffentlichten, und damit journalistische oder schriftstellerische Talente unter Beweis stellten oder auch nicht.“

Das ist eine sehr, sehr rätselhafte Definition, die mit der Realität wenig zu tun hat. „Auf ihren eigenen Seiten“? Was soll das heißen? Sind nur selbst-gehostete Blogs echte Blogs? Was ist mit Blog-Plattformen wie Tumblr oder Content-Communitys wie Medium? Ist, wer dort schreibt, kein Blogger?

Und warum „unentgeltlich“? Wo kommt das denn her? Natürlich schreiben viele Blogger unentgeltlich, aber das ist doch kein Ausschlusskriterium. Ich selbst habe schon Blogbeiträge als Gastautor gegen Honorar geschrieben. Mit diesem Kriterium würde man auch viele Corporate Blogger mal schnell wegdefinieren, denn die schreiben ja auch nicht selten in ihrer bezahlten Arbeitszeit.

Und dass jemand bloggenderweise seine „Talente unter Beweis stellen“ will, ist eine wirklich exotische und natürlich auch mit deutlicher Herablassung vorgetragene Vorstellung. Die meisten Blogger, die ich kenne und deren Blogs ich lese, stehen mitten im Leben. Das Letzte, was sie nötig haben, ist irgendjemandem irgendetwas zu beweisen.

Und wer sind dann eigentlich Blogger?

Ganz einfach: Blogger sind Menschen, die in Blogs schreiben. Und für Blogs gibt es ein paar Kennzeichen, die Stephan Goldmann sehr schön zusammengefasst hat:

  • Individualisierung der Kommunikation
  • Verlinkung und Vernetzung
  • Interaktivität aller Beteiligten
  • Aufhebung der Grenze zwischen Rezipient und Produzent und damit auch zwischen Profis und Laien

Im Gegensatz zu Spehr würde ich Blogger daher wie folgt definieren: Leute, die privat oder beruflich aus einer persönlichen Perspektive heraus über eine Vielzahl an Themen schreiben, die sie interessant finden. Dabei geht es ihnen nicht nur ums Veröffentlichen der eigenen Sicht, sondern auch um Austausch und Vernetzung, sei es mit den eigenen Lesern oder anderen Bloggern.

Damit dürfte auch klar sein, dass es den oft und gerne konstruierten Gegensatz zwischen Journalisten und Bloggern nicht gibt. Denn „Journalist“ ist eine (rechtlich nicht geschützte) Berufsbezeichnung. Journalisten arbeiten für unterschiedliche Medien. Und wenn sie, was gelegentlich wie bei Thomas Knüwer, Stefan Niggemeier oder Michael Spreng vorkommt, auch oder ausschließlich in Blogs entsprechend den oben genannten Kriterien schreiben, sind sie eben Blogger. So wie Nicht-Journalisten, die das tun. Ist doch eigentlich gar nicht schwer zu verstehen.

Sind Blogs bedeutungslos?

Spehr weiter: „Heute gibt es diese Blogs [also Blogs, die seiner merkwürdigen Definition entsprechen] zwar noch immer, sie sind jedoch bedeutungslos.“ Was meint er wohl mit „bedeutungslos“? Aber selbst diese Frage ist unsinnig, denn wer sagt denn, dass Blogger „bedeutend“ sein wollen oder müssen? Spehr erklärt nicht, welche „Bedeutung“ er meint, so wie er gar nichts erklärt, sondern nur behauptet.

Ich vermute, er meint Reichweite, aber jede Diskussion darüber ist müßig, da sich die Bedeutsamkeit von Blogs nur zwei Gruppen erschließt: den Schreibern und den Lesern. Ein Blog kann schon bedeutend sein, wenn er für den Blogger seinen Zweck erfüllt – zum Beispiel Gedanken zu sortieren und zu artikulieren. Und er kann für sehr wenige (oder sehr viele) Leser bedeutend sein. Etwas pauschal für unbedeutend zu erklären, nur weil es für einen selbst keine Bedeutung hat, ist schon ein starkes Stück.

Weg damit – endlich!

Letztes Spehr-Zitat: „Man sollte den Begriff Blogger endlich zu Grabe tragen.“ Warum „endlich“? Wer hat darauf gewartet? Spehrs Geduld mit Blogs ist offenbar zu Ende. Warum, weiß man nicht.

Und eigentlich will man es auch nicht wissen.

Ebenfalls lesenswert zum gleichen Thema: Es ist 2006 und Blogs sind Klowände von Christian Spließ.

Bildnachweis: Thomas Hawk, cc

10 Gedanken zu “Mal Klartext in Sachen Blogs

  1. Wow – bei solchem Geschreibsel eines Journalisten muss man ja froh sein, dass es noch genügend qualifizierte Blogger gibt.
    Was der liebe Mann vergessen hat zu schreiben – aber meiner Meinung nach ein wichtiger Punkt ist – Blogger sind in der Regel (Auftragsblogger von den unzähligen Produkttestblogs mal abgesehen) UNABHÄNGIG und müssen deshalb Artikel nicht mit einer vom Redakteur gewünschten Aussage zusammenlügen.
    Journalismus sieht doch in dem Bereich eher so aus, dass von Unternehmen zur Verfügung gestellte Pressemitteilungen per Paste and Copy neu zusammen gesetzt werden ohne sich überhaupt mit dem Produkt jemals befasst zu haben.
    Und zum Thema bedeutungslos – wenn dem so wäre hätte mich nicht vorletzte Woche eine Agentur angeschrieben um für Sie einen Film zu rezensieren und die auf meinem Blog zu veröffentlichen..
    Im Gegenteil: Das Internet braucht die Blogs als wahrheitssuchendes Gegengewicht zu den ganzen schöngefärbten Aussagen von Marketingabteilungen, Politikern und Journalisten mit dem Halbwissen eines Michael Spehr..

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  2. Na ja… mag sogar sein, dass es Blogger, wie Michael Spehr sie definiert, irgendwann nicht mehr geben wird. Allerdings wird es dann daran liegen, dass Spehrs statische Definition dessen, was ein Blogger ist, sich überholt haben wird und sich das Phänomen verändert hat. Das ist dann aber Spehrs eher eingeschränkte Definition dessen, was Blogging ist. Und genau die ist in diesem Beitrag ganz wunderbar auseinandergenommen worden.

    Ergänzend dazu noch dieser Gedanke, der sich von der theoretischen Ebene auf die „ganz und gar banale Wirklichkeit“ zurück begibt:

    Ich möchte aber einen Blick in die Glaskugel wagen und behaupten, dass es immer noch „Leute geben wird, die im Internet auf ihren eigenen Seiten unentgeltlich veröffentlichen, und damit journalistische oder schriftstellerische Talente unter Beweis stellen oder auch nicht“ wenn längst die letzte Printausgabe der FAS erschienen sein wird. Denn das Mitteilungsbedürfnis der Menschen wird sich dadurch nicht einschränken lassen, dass ein sauertöpfischer Kulturpessimist wie Spehr den Abgesang digitaler Eigenveröffentlichungen anstimmt. Im Gegenteil.
    Menschen wollen zu Wort kommen und sie werden sich das Recht dazu auch weiterhin nehmen. Sie werden bloggen, twittern, facebook, tumblr o.ä. dazu nutzen, ebooks schreiben und selbst veröffentlichen… weil sie es wollen und weil sie es heutzutage können ohne Abhängkeit gegenüber der Selektion durch Verleger und Redaktionsleiter und ohne den großen finanziellen Aufwand und das Risiko, ihre Texte drucken zu lassen.
    Weil sie nicht dafür bezahlt werden müssen;
    Weil sie auf keine Anzeigengeschäfte angewiesen sind, die ihnen die Seite sichert;
    Weil sie Bock drauf haben, Kochrezepte, Gedichte, Trainingspläne, Wandertouren, Satiren, Kommentare zur Weltlage, Gedanken zum Alltag, Einkaufstipps, Ratschläge zur Tierhaltung, Tagebuchnotizen… usw. zu bloggen.
    Der Horizont dessen, was Blogs ausmachen ist weit größer als journalistische oder schriftstellerische Tätigkeit, aber das sieht man natürlich nicht so weit oben im Elfenbeinturm.

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  3. Ich frage mich, warum dieser Artikel überhaupt geschrieben wurde. Langeweile? Nichts anderes in der Queue? Er hätte auch schreiben können, dass Hühner zwei Beine haben. Wäre genauso interessant gewesen.
    Da hat einer gewaltig die Entwicklung der letzten Jahre verschlafen. Ich vermute, dass die letzte Papierzeitung gedruckt wird lange bevor das Bloggen stirbt.

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