Großprojekte in Erlangen und anderswo

Ich weiß nicht genau, wann wir in Deutschland aufgehört haben, mutig zu sein. Ein Meilenstein dabei war sicher Stuttgart21, jene Großbaustelle, auf der der „Wutbürger“ erfunden wurde, vielleicht ein Verwandter des „besorgten Bürgers“ unserer Tage. Seitdem stehen Großprojekte in diesem Land unter Generalverdacht. Leider …

Apple-ZentraleAnderswo sieht man das entspannter. Apple zum Beispiel baut zurzeit in Cupertino eine neue Firmenzentrale, die um die 5 Milliarden Dollar kosten wird. Das sind zwar keine öffentlichen Gelder, aber man kann sich trotzdem vorstellen, was in Deutschland angesichts so eines Projekts los wäre. Neben einer Neid-Debatte vom Feinsten würden Heerscharen von Bedenkenträgern Bedenken vortragen (Lärmschutz! Umweltschutz! Schutz vor Innovation und Veränderung!) und versuchen, den Bau zu verhindern oder wenigstens bis zum Nimmerleinstag zu verzögern.

Ein bisschen Optimismus …

Man muss nicht jedes Großprojekt per se toll finden, aber eine offen-optimistische Grundeinstellung wäre schon mal was. Ein paar Quadratkilometer Schienen-Mondlandschaft in bester Lage unter die Erde bringen, um neuen städtischen Raum zu erschließen? Wow, tolle Idee! Mal sehen, was daraus wird! Einen schönen neuen Flughafen für die Hauptstadt bauen? Na klar, auf geht’s!

Der Innovations-Skeptiker formerly known as Wutbürger hat aber allerhand dagegen. Neben diversen nachgelagerten Gründen (Juchtenkäfer!) sind das vor allem Folgende:

Erstens die Projektgröße. Das kann ja nicht gut gehen! Sowas in Deutschland – unmöglich! Wir bekommen ja nicht mal einen einfachen Flughafen pünktlich fertig. Dass komplexe Projekte grundsätzlich dazu neigen, komplizierter und aufwändiger zu werden als gedacht, davon weiß der Otto-Normalbürger nichts, weil er in seinem ganzen Leben noch keine Aufgabe mit mehr als fünf Beteiligten zu meistern geschweige denn ein kleineres Projekt zu leiten hatte. Davon muss er auch nichts wissen. Er muss nur nicht glauben, alles kopfschüttelnd („Ich hab’s ja schon immer gesagt!“) beurteilen zu können.

Sooo teuer!

Zweitens das Geld. Das ist ja alles sooo teuer. Was könnte man mit dem Geld nicht alles machen! Und außerdem wird es ja eh immer noch teurer als geplant! Ja, große Veränderungen kosten viel Geld. Das ist aber nicht schlimm, denn Geld ist bekanntlich nie weg, sondern nur anderswo. Früher, die Älteren erinnern sich, gab es mal Konjunkturprogramme, da hat man recht sinnfreie Aktionen wie etwa die Verschrottung alter Autos subventioniert, nur damit das Geld wieder schön zirkuliert. Der Apple-Neubau sollte übrigens auch „nur“ 3 Milliarden Dollar kosten – egal, die Handwerker in Cupertino und anderswo freuen sich.

Drittens die persönliche Betroffenheit. Natürlich ist kein Anwohner Fan einer mehrjährigen Großbaustelle. Aber wäre das der alleinige Maßstab, würde niemals wieder irgendetwas gebaut werden. Doch auch fehlende Betroffenheit ist ein Problem: „Und was bringt mir das?“, fragen alle Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer bei Stuttgart21 und dem Berliner Flughafen? Gar nichts. Wenn fehlende Betroffenheit bestimmter Gruppen ein K.o.-Kriterium wäre, würden wir ebenfalls nie wieder irgendetwas bauen.

Die StUB in Erlangen

stub-millionengrabLetzteres ist auch sehr schön bei dem geplanten Großprojekt zu beobachten, von dem ich eigentlich reden wollte – ich bitte mir die längere Anlauframpe zu verzeihen: bei der so genannten StUB, der Stadt-Umland-Bahn, die meine Heimatstadt Erlangen verkehrstechnisch in die Neuzeit katapultieren soll. Eine Standard-Diskussion zur StUB geht so: Wie sieht eigentlich die Trassenführung aus? – So und so. – Na, das ist ja blöd, die führt ja gar nicht an meinem Haus vorbei / zu meinem Arbeitsplatz / zu dem von mir oft frequentieren Ort X, dann brauche ich die auch nicht!

Und natürlich ist sie viel zu teuer (was könnte man mit dem Geld nicht alles machen?!) und wird bestimmt nie fertig (haha, ein Projekt dieser Größe in Deutschland!). Die Gegner der StUB reden natürlich von einem „Millionengrab“ und haben damit zumindest den Wettbewerb um die abgedroschenste Phrase gewonnen.

Jetzt gibt es jedenfalls einen Bürgerentscheid in Erlangen, ob wir uns mal was trauen oder nicht. Davor werden minutiös und detailliert Ansichten pro und contra ausgetauscht, und das ist auch gut so. Das gibt dem Bürger das Gefühl, rational auf der Basis wohl abgewogener Argumente zu entscheiden, was natürlich eine Illusion ist. Denn erstens gibt es hier wie bei allen komplexen Problemen kein Richtig und Falsch. Und zweitens dürften die allermeisten auch bei diesem Thema eine eher emotionale Entscheidung treffen, weil sie bei der ganzen Sache irgendwie ein eher gutes oder ein eher schlechtes Gefühl haben (nur geben viele das nicht zu und tun so, als würde ihr Votum auf mathematischer Berechnung basieren).

Dafür – dagegen

pro-stubEin kurioser, aber auf jeden Fall unterhaltsamer Randaspekt beim Thema StUB ist übrigens das Verhalten der Parteien. Die Erlanger Grünen etwa sind für die StUB. Das muss ihnen schwer gefallen sein, schließlich ist die StUB so was ähnliches wie Stuttgart21, nur in klein, und es wird im Laufe der Realisierung gewiss der eine oder andere Käfer sein Leben lassen. Aber es geht halt nicht um’s böse Auto, daher ist das Projekt einigermaßen ideologiekompatibel. Die Erlanger CSU ist kurioserweise gegen die StUB, obwohl es sich um ein grandioses Wirtschafts- und Infrastrukturprojekt handelt. Aber die rot-grün-gelbe Erlanger Koalition findet’s gut, also muss die CSU das logischerweise anders sehen. Der bayerische CSU-Innenminister ist hingegen – Überraschung! – für die StUB … Ich sag ja: unterhaltsam …!

Wie dem auch sei: Ich bin für die StUB. Ich sehe diesem Großprojekt zur umweltfreundlichen und zukunftsfähigen Modernisierung des Nahverkehrs mit fröhlichem Optimismus entgegen. Daher stimme ich beim Bürgerentscheid mit „Nein“ (denn die Frage lautet, ob man dafür ist, dass die StUB nicht realisiert wird – noch so ein kleiner Treppenwitz).

Und wenn ihr mich fragt, solltet ihr das auch tun.

PS: Wer sich doch der Illusion einer rationalen Entscheidung hingeben will, findet hier jede Menge Argumente.

Bildnachweis: Danny König / pixelio.de; Cupertino City Counsil

11 Gedanken zu “Großprojekte in Erlangen und anderswo

  1. Es ist m. E. nicht mangelnder Mut zur Zukunft, der die Skepsis gegenüber Großprojekten verursacht, sondern der mangelnde Mut der Politik, zu derartigen Großprojekten zu stehen. Was es braucht sind Politiker, die ein solches Projekt zu „ihrer“ Sache machen und „ihr“ Ding von der Idee bis zur Einweihung (nicht nur bis zum ersten Spatenstich) durchziehen. Schau doch die ganzen Debakel von S21 über die Elbphilharmonie bis zum Berliner Flughafen an: Niemand hat von Anfang an die politische Verantwortung übernommen. Es ging der Politik nur darum, sich abzusichern für den Fall, dass es schief geht. Dass dieser Fall dann prompt mehrfach eintrat, verwundert nicht.
    Ich alter Sack erinnere mich noch daran, welch irrwitzigen Schub München durch die 72er Spiele bekommen hat, das war plötzlich die modernste Stadt Europas mit einer sagenhaften Infrastruktur, jeder der damals München besucht hat, wollte sofort dahin ziehen oder wollte einen ähnlichen Schub für seine Heimatstadt. Das war bzw. ist Hans-Jochen Vogels Verdienst, der die Spiele von der Bewerbung bis zur Schlussfeier organisiert hat, zum Teil gegen größte Widerstände aus der eigenen Partei. Weil es ihm um das Projekt ging und weil er seine Karriere mit diesem Projekt verknüpft hatte. Vogel steht mir eigentlich politisch fern, aber für diese Konsequenz und dieses Engagement habe ich ihn immer bewundert.
    Wenn sich heute jemand fände, der ein großes Projekt ähnlich wie damals Vogel zu seiner Sache macht und es erfolgreich beendet (nochmal: beendet, nicht nur anschiebt!), die Skepsis gegenüber derartigen Projekten würde sich schlagartig verringern.

    Gefällt 2 Personen

    • Eindeutig: JEIN!
      Auch ich halte es für falsch die „Wutbürger“ für gescheiterte Großprojekte verantwortlich zu machen. Auch ich finde, dass es wichtig ist, dass jemand die Verantwortung übernimmt. Damit meine ich allerdings sowohl die Politiker als auch die an den Bauprojekten beteiligten Unternehmen.

      Als Ingenieur bin ich eher ein Technikfreund. Nur ärgert es mich, wenn Dinge auf Grundlage falscher (bzw. unvollständiger) Informationen anders laufen als ursprünglich geplant und damit anders als es den Bürgern „verkauft“ wurde. Da wundert es mich nicht, dass die Menschen das Vertrauen verlieren.

      Die Olympischen Spiele 1972 sind sicher ein Positivbeispiel, wie Großprojekte gelingen können. Ähnliches gilt für die Sommerspiele in London 2012. Das lässt sich allerdings nicht pauschalisieren – siehe Fußball-WM 2014 in Brasilien.

      Christian Buggisch und den Erlangern wünsche ich, dass viele Wähler das demokratische Mittel nutzen. Denn auch ich habe kürzlich einen Bürgerentscheid erlebt, bei dem die Initiatoren zwar die Mehrheit der Stimmen erhielten, aber ihr Ziel verfehlten. Grund: Der größte Teil der Wahlberechtigten hatte auf eine Stimmabgabe verzichtet, statt sich klar für eine Option zu entscheiden.
      Das lokale Wochenblatt hatte das Ergebnis veröffentlicht und darauf verwiesen, dass durch den Bürgerentscheid erhebliche Kosten für die Gemeinde entstanden sind. Nun sind also diejenigen die Kostentreiber, die ein demokratisches Mittel nutzen???

      So werden demokratische Strukturen untergraben. Auch die Bürger sollten daher bei solchen Aktionen Verantwortung übernehmen und sich für eine Option entscheiden. Die Bürger/Wähler hatte ich anfangs bei den Verantwortlichen noch unterschlagen ;-)

      Like

  2. Es ist nicht das viele Geld, sondern die Verlogenheit: Nein nein, das kostet praktisch gar nichts und das schadet auch niemandem – nichtmal indirekt – und liebe Leute, jetzt ist es leider zu spät, noch was zu ändern, weil das alles in irgendeinem ominösen Verfahren schon vor 10 Jahren festgezurrt ist.

    Gefällt 1 Person

  3. Ein fundiert argumentierender Kritiker hat Stuttgart 21 einmal als den größten technisch-wissenschaftlichen Betrugsfall der deutschen Industriegeschichte bezeichnet. Im Gegensatz zu anderen Großprojekten war schon der Start holprig, von der Bahn eigentlich schon zu den Akten gelegt, konnte es erst durch finanzielle Tricksereien und fadenscheinige Mischfinanzierungen wieder „zum Leben“ erweckt werden. Der Nutzen wurde beschönigt, die Risiken verschwiegen. Und das von Anfang an. „Das kann ja nicht gut gehen“ – das hat die Bahn damals selbst eigentlich selbst erkannt,doch den Projektförderern aus der Politik und Wirtschaft was das Projekt zu wichtig, um es (wie München 21 und Frankfurt 21) in der Schublade verrotten zu lassen. Dass bei S21 niemand von den ersten Überlegungen bis zur Fertigstellung „Verantwortung“ übernehmen muss, ist den Wahlperioden unserer Demokratie geschuldet, und ich glaube, die meisten Politiker sind da ganz froh drüber.

    Einer umweltfreundlichen und zukunftsfähigen Modernisierung des Nahverkehrs – und auch des Regional- und Fernverkehrs – steht der geplante Tiefbahnhof übrigens nicht nur wegen seiner geringen Kapazität im Wege, sonder auch, weil ein integraler Taktfahrplan damit nicht zu machen ist. Außerdem bindet Stuttgart 21 Mittel, die für die umweltfreundliche und zukunftsfähige Modernisierung des Schienenverkehrs an anderen Stellen dringend benötigt würde. Innovativ geht anders.

    Dass Stuttgart 21 mittlerweile von Gegnern und Befürwortern aller anderen Großprojekte als Präzedenzfall herangezogen wird, ist zwar nachvollziehbar, bei der StUB aber hoffentlich nicht gerechtfertigt.

    Gefällt 1 Person

  4. Grundsätzlich einverstanden. Jedoch:

    Dass komplexe Projekte grundsätzlich dazu neigen, komplizierter und aufwändiger zu werden als gedacht, …

    … ist zwar leider so, muss aber m.E. nicht sein, zumindest nicht in dem Ausmaß wie bei BER und sonstigen Planungsarmageddons. Habe mal in einem IT-Großprojekt mit mehreren Hundert MA, verteilt über ganz D’land, mitgearbeitet. Termin- und Budgetüberschreitung max. 10%.

    Gründe für die o.g. Projektdesaster:
    1. Zu hohe Komplexität – eine deutsche Krankheit. Komplizierter wird alles von ganz allein; wenn man schon kompliziert anfängt, ist die Komplexität irgendwann nicht mehr beherrschbar.
    2. Ungeeignetes Führungs- und Aufsichtspersonal. Was haben z.B. Politiker im BER-Aufsichtsrat verloren, die keinerlei Ahnung vom Flughafenbau haben?
    3. Bescheuerte Ausschreibungen und Verträge. I.d.R. bekommt der billigste Subunternehmer den Zuschlag. Das ist aber auch der, der überdurchschnittlich viel Pfusch abliefert und als erster ankommt mit „Sorry, wir brauchen mehr Kohle; sonst müssen wir hier alles stehen und liegen lassen“. Was ursprünglich mal als Werkvertrag mit fixer Vergütung aufgesetzt war, mutiert de facto zum Dienstvertrag: je länger, desto teurer.

    Gefällt 3 Personen

  5. Warum BER eine Katastrophe geworden ist? Gerade weil sich Politiker darum gekümmert haben. Hätten sie sich da rausgehalten, hätten Leute mit entsprechender Erfahrung eine Chance gehabt. So haben sich Verantwortliche über Experten gesetzt und jetzt ist die Anlage zu klein. Da hilft nur noch abreißen und neu bauen, aber dazu kann sich jetzt niemand mehr durchringen. So hat BER etwa den finanziellen Effekt eines geschmolzenen Atomreaktors.

    Warum S21 nichts wurde? Weil die Streckenführung total ineffizient war. Ein großer Bahnhof außerhalb der Stadt, dort wo die Strecke entlang führen müsste, und dazu eine intensive Verbindung in die Stadt, das wäre besser gewesen. Vielleicht eine neue Chance für den Transrapid?

    Und die StUB? Ich kann mir ehrlich nicht vorstellen, wie ein schienengebundenes Fahrzeug zuverlässiger, flexibler, leistungsfähiger und günstiger sein soll als Busse. Die Bahn hat ständig Weichenprobleme, keine Woche in der nicht Ausfälle der Münchner S-Bahn im Radio gemeldet werden. Ausweichen und umleiten? Unmöglich. An geänderten Bedarf anpassen und die Linienführung ändern? Sehr aufwändig und langwierig. Straßen gibt es sowieso, denn Autos und Busse werden weiterhin benötigt. Busse nutzen diese Straßen ohne große Investition mit. Bahnen benötigen eine separate Infrastruktur. Und da, wo kein Platz ist, stehen Bahnen genauso mit Bussen im Stau. Straßenbahnen haben eine begrenzte Länge, da passen in einen Gelenkbus oder einen Doppeldecker wohl ähnlich viele Personen. Bahnen sind was für Langstreckennetze mit hoher Geschwindigkeit und vielen Waggons. In Städten halte ich das für die falsche Idee. Ausnahme ist die U-Bahn: Die ist lang, fährt häufig und auch schnell, abseits von Straßen. Das funktioniert in Nürnberg gut. Aber Erlangen dürfte dafür zu klein sein.

    Großprojekte – ja gerne. Aber bitte auch solche, die etwas nutzen und nicht bereits von vornherein äußerst fragwürdig erscheinen.

    Like

Und jetzt sag deine Meinung:

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..