Menschen, die in Flugzeugen stehen

Ich muss hier eine neue Reihe aufmachen und nenne sie „Rätsel der Menschheit“. Eines dieser Rätsel, das mich seit Jahren beschäftigt: das Verhalten von Menschen in Flugzeugen …

Ihr kennt das: Man fliegt mit Air Berlin oder Lufthansa Germanwings Eurowings WasWeißIchWieDieJetztHeißen durch Deutschland: Start, Sicherheits-Blabla, Getränk, Snack („süß oder salzig“), Tische hochklappen, Landung, fertig.

Den Sicherheitsgurt öffnen und schließen …

Einzige Neuerung der letzten Jahre: Man muss seine elektronischen Geräte nicht mehr ganz ausschalten, sondern darf sie jetzt im Flugmodus auch während Start und Landung benutzen. Das ist erfreulich, vor allem bei meinem Kindle.

Kuriose Randnotiz: Neulich amüsierte eine Stewardess ihr Publikum mit der Durchsage: „Bitte nutzen Sie die elektronischen Geräte nicht während der Sicherheitsunterweisung.“ Also nix Kindle lesen, sondern schön aufpassen! Kein Witz! „Ich zeige Ihnen jetzt, wie sich der Sicherheitsgurt öffnen und schließen lässt.“ Und Sie passen gefälligst auf, auch wenn Sie das schon fünfhundertmal gehört haben, sonst verstehen Sie’s ja nicht! Oder wo sich die Notausgänge befinden („zwei im vorderen, zwei im hinteren Teil des Flugzeugs“, die, nebenbei bemerkt, „deutlich mit dem Wort Exit gekennzeichnet“ sind!). Übrigens hat mir in meinem ganzen Leben noch nie jemand gezeigt, wie sich der Sicherheitsgurt im Auto öffnen und schließen lässt. Aber ich schweife ab.

Sie stehen. Nur warum?

Jedenfalls kommt der rätselhafte Moment dann, wenn das Flugzeug gelandet ist und „seine endgültige Parkposition erreicht“ hat. Denn genau in diesem Moment springt mindestens die Hälfte der Passagiere auf, zieht hektisch das Gepäck aus den Ablagen – um dann die gut zehn Minuten im engen Flugzeug-Gang zu stehen, die es nun mal braucht, bis das Flugzeug ordentlich geparkt, die Checkliste durchgegangen, die Handbremse angezogen, die Tür geöffnet und all das getan ist, was zu tun ist.

Sie stehen im Flugzeug und warten. Nur warum? Kein Mensch steht heutzutage freiwillig auf engem Raum und wartet. Schon mal erlebt, dass im Bus alle im Gang stehen und die Sitzplätze frei bleiben? Während der Bus im Stau steht? Eben.

Ich habe im Laufe der Jahre mehrere Theorien entwickelt, warum sie stehen, statt entspannt und sitzend zu warten, bis man aussteigen kann.

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Oklahoma Land RunTheorie 1: Früher, so zu Zeiten Charles Lindbergs, gab es mal eine Regel: Wer sich nach der Landung als Erster das Handgepäck schnappt, dem gehört es. So ähnlich wie beim Oklahoma Land Run 1889, als die Schnellsten ein Stück Land im Westen der USA bekamen und besiedeln durften, während die Langsamen leer ausgingen. So was brennt sich ja tief in die DNA ein, und einmal genetisch verankert, dauert es einfach ein paar Jahrtausende, bis die Evolution das menschliche Verhalten wieder an die Wirklichkeit angepasst hat. Denn die Regel gibt es (glaube ich) nicht mehr.

Theorie 2: Es handelt sich um Standing Ovations. Das alberne Ritual, nach der Landung zu klatschen, wurde ja weitgehend abgeschafft. Zu Recht. Schließlich ist ein Pilot kein Zirkusdompteur, der einen störrischen Elefanten dazu gebracht hat, auf einem Einrad zu balancieren. Er hat nur ein Flugzeug gelandet. Aber auch hier greift die hartnäckige Verankerung einstiger Rituale in der menschlichen DNA. Er klatscht nicht mehr, der Mensch, aber er steht auf, um zu zeigen, wie dankbar er dem Piloten dafür ist, dass er seinen Job gemacht hat. Das tut er auch gerne zehn Minuten lang. Schließlich wurde ein Flugzeug gelandet. Respekt, mein lieber Herr Gesangsverein!

Es muss ein Ruck durchs Flugzeug gehen!

Theorie 3: Alle, die aufstehen, haben Rückenschmerzen.

Theorie 4, und die scheint mir nach Jahren des Beobachtens und Abwägens die schlüssigste zu sein: Menschen, die nach der Landung aufspringen und im Gang des Flugzeugs stehen, glauben, dadurch die Wirklichkeit zu verändern. Sprich: dass es schneller geht. So ist er, der Mensch, ein Schöpfer, ein homo faber, ein Nachkomme des Prometheus. Er hat sich die Erde untertan gemacht, die Sixtinische Kapelle ausgemalt, ist zum Mond geflogen, hat aus Raider Twix gemacht und Fertig-Salat-Dressing in Tüten erfunden. Da wird er doch wohl in der Lage sein, die Stewardess dazu zu bringen, das verdammte Flugzeug schneller zu öffnen! Durch Willenskraft! Und die mächtige symbolische Geste des (Auf-)Stehens! Es ist wie ein kollektiver Ruck, der zwar nicht durch Deutschland, aber immerhin durchs Flugzeug geht, hat das der alte Roman Herzog nicht immer gefordert?

Allein … Nach Jahren des Forschens und Grübelns und Prüfens muss ich euch sagen, ihr stehenden Flugzeug-Menschen: Es funktioniert nicht. Es geht nicht schneller, wenn ihr wie bestellt und nicht abgeholt im Gang rumsteht. Studien der Uni Wuppertal beweisen: Es dauert immer gleich lang. Harte Sache, ich weiß. Aber ihr könnt sitzen bleiben.

Sonst noch Theorien? Irgendwer?

19 Gedanken zu “Menschen, die in Flugzeugen stehen

  1. Vielleicht ist es auch nur eine Art stumpfsinniger Herdentrieb: Zwei, drei stehen auf, weil sie unbedingt schnell raus und unbedingt am Anfang der Gepäckausgabe stehen wollen. Weil sie einfach unbedingt die ersten sein wollen und müssen. – Und die anderen tun es Ihnen nach; je mehr es tun desto mehr tun es. Am Schluss stehen die meisten. Denn was fast alle tun, kann ja nicht falsch sein.
    Habe ich mal am Flughafen Hamburg ähnlich erlebt: Beim Check-In gab es zwei offene Economy-Schalter für den Flug. Vor einem eine riesige Schlange, vor dem anderen kein Mensch. Als ich zum freien ging und dann auch prompt bedient wurde, gab ja keinen Grund warum nicht, protestierten einige aus der Schlange lauthals. Als ob es eine Schande sei, sein Gehirn auf individuelle Rationalität zu schalten. Die Frau an meinem Schalter zuckte nur mit den Schultern.

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  2. Unwissenheit: nicht alle fliegen regelmäßig. Man denkt es geht schneller, als es dann tatsächlich der Fall ist. Aber wenn man dann schon mal steht, ist mit jeder verstrichenen Minute die Hürde höher, sich wieder zu setzen – weil man dann ja unter Umständen doch gleich wieder aufstehen müsste. :-)

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  3. Theorie 5: Der Sitzabstand in der Holzklasse ist so gering, dass man ab einer Körpergröße von 185 cm lieber freiwillig auf engem Raum steht und wartet, anstatt sich nur eine Minute länger in diese herrlich ergonomisch geformten Sitze zu pressen und sich an den Knien Druckstellen von der Rückenlehne des Vordermanns holt. ;)

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  4. Theorie 6 (nur zutreffend bei Vorfeldposition): Wer als erster steht ist früher raus und im Bus – und kann dann da wieder sitzen. Denn wer länger sitzt, steht im Bus.

    Theorie 7: Wer früher raus ist, bekommt das einzige Taxi, das noch vor dem Flughafengebäude steht…

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  5. Ich bin Anhänger von Theorie 4 :-)
    Aber ehrlich, wenn ich längere Strecken fliege bin ich einfach froh, dass ich aufstehen darf. Im Flugzeug bekomme ich immer dicke Füße, warum auch immer und bin einfach nur froh dass ich stehen kann. Deshalb stehe ich dann oft bei meinem Sitz, der Gang ist dann ja meist schon voll :-) um den Kreislauf wieder anzuregen….

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    • Ziemlich sicher ist es Theorie 7.

      Dolgender Gedanke

      Wen in meiner Reihe der Platz im Gang frei bleibt, dann könnte der Typ hinter mir der bereits im Gang steht ja zwei Schritte nach vorne machen und vor mir aussteigen….

      Wenn gar niemand aufsteht, könnte der Kerl sogar ganz als Erster aussteigen.

      Das ist entgegen der Regel und muss dringend verhindert werden.

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  6. Die haben alle Angst, der hintere Flugzeugteil fliegt weiter. Deswegen stehen sie alle schnell auf, um vorne rauszukommen :)

    Ist aber in Zügen genauso. Auf der Fahrt von Mainz nach Frankfurt /Flughafen setzen sich die Menschen schon gar nicht mehr hin (20 Min. Fahrt), fahre ich nach HH, stehen sie ab Altona. Ich bleibe betont(!) sitzen, was meint, ich versuche dabei, möglichst verständnislos zu gucken. Dennoch kribbelt es mich jedesmal :D

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  7. … ich vermute, dass es einigen auch ganz wichtig ist „Bereitschaft“ anzuzeigen: Ich habe etwas vor, werde erwartet, bin nicht zum Spaß hier, schalte schnell mein Telefon wieder ein, stehe auf, sortiere mich und bin mit meinen Gedanken schon am Einsatzort. Das Ganze natürlich im Unbewußt-Modus. Ingesamt bin ich auch für ein Nebeneinander der verschiedenen Theorien, die sich dann miteinander hoch schaukeln und eine Gruppenzwang auslösen, dem sich nur die Erfahrenen/Reflektierten widersetzen können …

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  8. Es ist noch kein Passagier vor seinem Flugzeug angekommen.

    und um etwas zu gestehen: Auch ich gehöre zu denen, die immer sofort aufspringen und sich ihr Handgepäck zu schnappen(damit niemand anderes es versehentlich runterwirft/rauszerrt/mit Gewalt wegschiebt, um an sein eigenes zu kommen). ABER DANN: Setze ich mich wieder hin und gucke belustigt denen zu, die im Gang stehen und schau schonmal, ob das WLAN bis hierher reicht.

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  9. Ein wahrer und guter Post. Ich bin mal wieder vor kurzem geflogen. Diesmal saß ich am Gang, und hatte sogar einen freien Platz neben mir. Nach der Landung(wir hatten ca. 20 min verspätung) drängelte sich der Mann am Fenster rücksichtslos in den Gang(es gibt viele Möglichkeiten, über jemanden zu steigen, aber seinen Fuß auf meine Laptoptasche(mit Laptop), welche auf meinem Schoß lag, zu stellen und zu versuchen, diese als Trittfläche zu benutzen ist keine!), da er sehr schnell raus musste, da er ansonsten seinen Zug verpasste(wer bucht einen Zug mit weniger als 20 min Puffer nach einem Flug?). Und im Gang stand er dann ca. 10 min blöd herum. Nach Passkontrolle(ohne Schlange) kamen wir am Gepäckband an, wo er ebenfalls wartete. Die Koffer waren natürlich noch nicht da. Unsere Koffer waren eine der letzten, genauso wie seiner. Als wir hinausliefen, sahen wir, wie der Bus zum Bahnhof vor seiner Nase abfuhr(fährt alle 15 min.). Ich glaube, er hat seinen Zug verpasst. Und ich hätte ja auch fast Mitleid mit ihm, wenn er nicht unfassbar arrogant, rücksichtslos und frech gewesen wäre. Und er hat mir (unter 18) eine Ohrfeige verpasst, da ich ihm erklärt hatte, dass es nichts bring, im Gang zu stehen und er sich ruhig noch einmal setzen kann. Meinen Anbrüller und den folgenden Streit hat dann das gesamte Flugzeug mitbekommen.

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