Böhmermann

Ich wollte erst nichts zum Fall Böhmermann schreiben, da ja schon alle darüber geschrieben haben. Aber dann wurde ich nach meiner Meinung gefragt und dachte: Vielleicht kann der Literaturwissenschaftler noch einen hilfreichen Aspekt beitragen, der bislang in der Debatte etwas kurz kam …

Also, für alle, die eben erst aus einem einwöchigen Schlaf aufgewacht sind: Der Komiker Jan Böhmermann hat in einem Gedicht den türkischen Präsidenten Erdogan wüst beleidigt. Das ist ihm gelungen, denn dieser ist nun sehr beleidigt und will strafrechtlich gegen den Komiker vorgehen. Angela Merkel hat etwas vorschnell verlauten lassen, dass sie das Gedicht nicht witzig findet, was man ihr insbesondere vorwirft, da man in der Flüchtlingspolitik eine gewisse Abhängigkeit Deutschlands von der Türkei unterstellt, die diese nun ausnutze, um gegen Böhmermann im Speziellen und die Meinungsfreiheit in Deutschland im Allgemeinen vorzugehen. Fertig ist die Staatsaffäre.

Meinungsfreiheit und Demokratie

Faszinierend ist zunächst, wie wenig der Durchschnitts-Deutsche über seine Rechte (und deren Grenzen) weiß. Ich habe zahllose Kommentare gelesen, die den Untergang von Meinungsfreiheit und Demokratie heraufbeschwören, wenn man „so was nicht mehr sagen dürfe“. Das ist lustig, denn der Durchschnitts-Deutsche reagiert ziemlich empfindlich, wenn er selbst beleidigt wird. „Dich zeig ich an!“, ist dann die normale Spontan-Reaktion. Und das ist sein gutes Recht, denn Beleidigungen sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wenn ich jemanden im Straßenverkehr als „Arschloch“ bezeichne, nur weil sie er nicht so toll einparken kann wie ich, muss ich damit rechnen, auf Grund von § 185 StGB angezeigt zu werden. Wenn Jan Böhmermann jemanden als „Ziegenficker“ bezeichnet, egal ob der Präsident ist oder nicht, muss er ebenfalls damit rechnen, angezeigt zu werden. Das hat nicht das Geringste mit mit dem Ende von Meinungsfreiheit und Demokratie zu tun.

Apropos Präsident: Dieser lächerliche § 103 StGB, nach dem die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter gesondert unter Strafe gestellt wird, gehört wirklich dringend abgeschafft. Ein Beleidigungs-Paragraf für alle reicht völlig. Dann könnte sich der beleidigte Erdogan ganz normal zivilrechtlich mit dem Beleidiger Böhmermann vor einem deutschen Gericht treffen, um die Sache zu klären, ohne irgendwelche diplomatischen Implikationen.

Ich persönlich bin übrigens der Meinung, dass wir mehr aushalten und nicht immer gleich die juristische Keule schwingen sollten. Die Welt geht nicht unter und meine persönliche Ehre bekommt nicht mal einen Kratzer, wenn mich jemand als „Arschloch“ bezeichnet. Ich kann das sehr gut ignorieren und hier in den Kommentaren zum Beispiel löschen. Dem könnte auch der Gesetzgeber Rechnung tragen und Beleidigungen nur in zu definierenden Ausnahmefällen justiziabel machen. Das würde zugleich die Meinungsfreiheit stärken. Kann man aber sicher auch anders sehen.

Das Gedicht – Kotext und Kontext

Was den Fall Böhmermann von einer simple „Arschloch“-Beleidigung beim Einparken unterscheidet ist etwas, was Germanisten Kotext und Kontext nennen. In den laufenden Diskussionen wird das häufig verkürzt auf die Aussage, Kunst und Satire seien doch frei und „dürften das“. Nur was genau macht Böhmermann da und wie wird aus einer Beleidigung Kunst?

Da hilft ein Blick in die Literaturgeschichte, denn Böhmermann ist zwar gut, aber nur Epigone. 1966 etwa wurde Peter Handkes Publikumsbeschimpfung uraufgeführt, in der der Autor sein Publikum beleidigt, etwa als „Fratzen“, „Glotzaugen“ und „Untermenschen“. Wer im Publikum saß, hätte sich explizit angesprochen und beleidigt fühlen und den Autor verklagen können.

Bei Handke wie bei Böhmermann ist das unsinnig. Da ist zum einen der Kotext, die sprachliche Beschaffenheit des Textes. Handkes Bühnenstück ist sprachlich artifiziell, Rhythmik und Sprechgesang weisen es als künstliches Werk, mithin als Kunstwerk aus. Böhmermanns Text ist ebenfalls artifiziell, eine völlig überzeichnete Aneinanderreihung von Klischees in Gedichtform, sozusagen Wilhelm Busch auf Schulhof-Pöbel- oder Gangsta-Rap-Niveau.

Und da ist zum anderen der Kontext, also der außersprachliche Zusammenhang des Textes. Bei Handke ist es die Theater- und Bühnensituation außerhalb des echten Lebens. Die Beschimpfer kündigen dem Publikum die Beschimpfung explizit an und begeben sich auf eine Metaebene: „Wir können den Spielraum zerstören“, also die Distanz zwischen Bühne und Publikum aufheben. Das Gleiche macht Böhmermann: Seine Metaebene ist die Demonstration dessen, was in Deutschland als „Schmähkritik“ nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Die ganze Szene ist so künstlich inszeniert (türkische Flagge, staatstragender Vortrag, Kommentare eines Dritten zum Vortrag), dass man das Ganze nur wie bei Handke als Bühnen-Inszenierung begreifen kann.

Böhmermanns Kalkül

Solidaritätsbekundungen für Böhmermann sind jetzt dennoch fehl am Platz. Ich kenne niemanden, der so geschickt mit der Öffentlichkeit spielt wie er. Das eigentlich Faszinierende ist, dass er genau die Diskussionen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, die jetzt stattfinden, kalkuliert und absichtlich provoziert hat. Um das zu wissen, muss man kein Prophet sein, er selbst kündigt genau das am Ende seiner „Schmähkritik“ an: den Protest Erdogans, die Löschung des Videos aus der Mediathek, den dadurch ausgelösten viralen Hype im Web, den Gang durch die juristischen Instanzen. Alles eingeplant. Böhmermann hat Erdogan ein Stöckchen hingehalten, und der ist genau so gesprungen, wie Böhmermann das wollte.

Fazit: Ein faszinierender Fall von medialem Agenda-Setting, formal an der Grenze zwischen justiziabler Beleidigung und künstlerischer Freiheit, inhaltlich den Finger in die Wunde deutsch-türkischer Beziehungen, insbesondere was freiheitliche Grundrechte angeht, gelegt. Respekt.

22 Gedanken zu “Böhmermann

  1. Endlich mal eine Zusammenfassung, die das Thema nicht verkürzt und trotz der Kürze richtig ausleuchtet. Ich kannte den Moderator vor dem ganzen Rummel gar nicht. Heute steht übrigens in der FAZ der komplette Text des Teils der Sendung, um die es da geht. Wenn man das gelesen hat, dann kann man sich der Meinung das Autors dieses Blogs nur anschließen.

    Gefällt 2 Personen

  2. Ich freue mich regelrecht auf die hoffentlich stattfindende Gerichtsverhandlung. Wenn meine Information stimmt (ich beziehe sie aus den Kommentaren eines Jura-Forums), dann muss der Staatsanwalt zu Prozessbeginn nämlich das bewusste Gedicht vorlesen, das muss bei Prozessen wg. Beleidigung wohl so sein. Der Staatsanwalt wird dann also haargenau das tun, was Böhmermann in seiner Sendung getan hat. Ob Erdogan dann auch den Staatsanwalt verklagt?

    Gefällt 3 Personen

  3. Ist das ein Übungsformat der Arbeitsagentur für arbeitslose Schmidt-Show Mitarbeiter(Sidekick Manuel Andrack) provided by Öffentlich-Rechtlich ? Darf Satire alles? Nun, erst mal lässt sich keine Satire erkennen. Satire enthält harte,treffende Kritik. Sinnfreie Sodomie- und Päderasten Beleidigungen diskreditieren eher den „Satiriker“ als den Adressaten. Ob der intellektuell unter die Erdoberfläche gelegte Brachial(humor) deutscher Comedians mehrheitsfähig ist, sollen die Quoten entscheiden. Oder besser, gebt Ihnen bitte keine Platform. Berechtigte Kritik an Erdogan gibt es genug, da muss man nicht unter die Gürtellinie gehen.Satire heisst auch subtil verpacken. Siehe hier https://www.facebook.com/gruenwald.freitagscomedy

    Gefällt 1 Person

    • Plumpe Beleidigungen haben für mich auch nichts mit Satire oder Humor zu tun. Gerade Satire gewinnt in meinen Augen an Durchschlagskraft, wenn sie intelligent und subtil ist. Man muss kein Freund von Herrn Erdogan sein, um diese primitive Form von „Satire“ abzulehnen.

      Like

      • „Für mich“ ist entscheidend: ob das gefällt oder nicht, ist Sache des persönlichen Geschmacks. Was erlaubt ist und was nicht, entzieht sich hingegen dem Geschmacksurteil. Ob ich persönlich Satire oder Kunst subtil oder plump finde hat absolut nichts damit zu tun, ob sie legitim und legal ist.

        Like

      • Mag sein, dass das Geschmacks- und das juristische Urteil zwei verschiedene Dinge sind. Juristisch ist es aber verbotene Schmähkritik, wie Herr Böhmermann ja selber eingeräumt hat. Es wird schwer sein, darum herumzukommen. Es einfach zu ignorieren, wie Du es offensichtlich tust, wird sich das Gericht sicher nicht leisten können.

        Like

      • Bist du Jurist? Ist dir die Kontroverse darüber, wie das juristisch zu bewerten ist, komplett entgangen? Wer ignoriert hier was?

        Du musst nicht antworten, ich denke wir haben unsere Standpunkte hinreichend klar gemacht.

        Like

  4. Danke für die erhellenden Worte. Ich frage mich auch, ohne Öl ins Feuer gießen zu wollen, ob man nicht auch den Vize Ministerpräsidenten der Türkei verklagen sollte (wenn ich verlinken darf: http://wp.me/pSl3C-k9)
    Noch was: warum bezeichnest Du Böhmermann als Komiker? Die Definition mag vielleicht zutreffen, aber dann wäre Hildebrandt auch ein Komiker – wäre Satiriker oder Zyniker (was ich nicht unbedingt als Beleidung verstehe) nicht treffender?

    Gefällt 1 Person

    • Ich hab mir tatsächlich überlegt, wie ich Böhmermann am besten bezeichnen soll und hab mich dann mit mir selbst auf Komiker geeinigt, was aber zugegebenermaßen eine Verkürzung ist und auch völlig falsche Assoziationen weckt, wenn man z. B. auch Mario Barth als Komiker sieht. Entertainer? Kritiker? Satirker? Künstler? etc. Lässt sich schwer auf einen Begriff bringen.

      Like

  5. Ist ja nicht so, als hätte ich nicht gestern erst bei FB die Notiz hinterlassen:
    „Falls Ihr jemanden sucht, der sich noch nicht in irgendeinem sozialen Netzwerk oder Blog zur Causa Böhmermann geäußert hat und das auch nicht vorhat: Hier wäre einer.“

    Fast hätten Sie mich mit Ihrem Beitrag, werter Herr Buggisch, dazu verführt, meinen Vorsatz gleich wieder aufzugeben und hier einen Kommentar abzuliefern.
    Ich konnte mich gerade noch bremsen. Und schweige. Auch hier.
    Und mache mir die Devise zu Nutze:“Wer schweigt stimmt zu.“
    Uneingeschränkt. :)

    Gefällt 1 Person

  6. Ich hab den Beitrag heute früh ziemlich flott runtergeschrieben, man muss ja schließlich zur Arbeit ;-) Was ich eigentlich noch schreiben wollte: Ich höre immer wieder, das sei nicht Böhmermann-Niveau, zu plump, zu plakativ, derb und drastisch, auch Politiker sagen, Satire müsse das dürfen, auch wenn sie diese spezielle Satire nicht sehr gelungen finden … Ich sehe das anders. Besser hätte man das nicht machen können. Das ist Satire perfekt auf den Punkt gebracht, die Derbheit als Stilmittel, die Verfremdung, die Metaebene, der inszenierte Skandal … Vordergründig vulgär, hintergründig viel subtiler als das harmlose Extra3-Lied …

    Gefällt 5 Personen

  7. Bin auch Germanist und hab von Kotext noch nie was gehört… Kot-Text? Egal. Sorry, ich kann dir nicht folgen, und zwar wegen einer Sache: Was B. gemacht hat, war strafbar (hat er selber zugegeben), auch wenn er es durch den Kontext seiner Sendung zu relativieren versuchte. Dieser Relativierungsversuch ist aber juristisch sicher belanglos. Da Deutschland ein Rechtsstaat ist, darf es für ihn keine Ausnahme geben. Also muss er bestraft werden. Und DAS hat er sicher NICHT eingeplant. Erst, wenn er dafür tapfer in den Knast geht, ziehe ich den Hut. Sonst ist er nur ein postmoderner Ironiker-Schnösel, der ein grandioses Eigentor geschossen hat.

    Like

  8. Eine Juristin im Interview in der SZ schließt sich heute meiner Meinung an ;) „Böhmermanns Verkleidung der Kritik an Erdoğan durch das offenbar bewusst ins Absurde getriebene Reimgedicht, die Einbindung in das Comedyformat seiner Sendung, seine Ankündigung, dass es sich um eine verbotene Schmähung handele, all das macht die Kritik zur Satire.“ – „Und damit zur Kunst?“ – „Ja, Satire hat künstlerischen Charakter, weil sie ohne dieses schöpferische, überhöhende, verfremdende Element nicht denkbar ist. Das ist eine ästhetische Gestaltung, und sie eröffnet ihr – über den allgemeinen Schutz der Meinungsäußerung hinaus – den besonderen Schutz der Kunstfreiheit.“

    Like

  9. jo gern sag ich die… zunächst ist nicht jede gerülpste Beleidigung Satire aber den Vorwurf der Sodomie müssen wir natürlich hinterfragen. Schließlich haben Erdogans Vorfahren die Kuh io von Anatolien bis nach Ägypten gejagt um sie zu „stechen“ … und der Hang zu Equiden hinterlässt Spuren in den Geschichtsbüchern der Antike. Oder kann mir irgend Jemand die Existenz von Zentauren erklären? Und was zum Henker ist bloß mit Pandoras Buxe los?bei öffnen ergießt sich das Übel der Welt und nicht nur ein müder Dönergeruch. das sind doch die wirklichen Probleme… Nun können wir den Böhmermann ja nicht einfach der Bastonade oder der Kleinasiatischen Justiz ausliefern sondern müssen ihn nach westlichen Maßstäben aburteilen….ich schlage vor ihn Katzen streicheln zu lassen… die Löwinnen Im Circus Maximus zu Beispiel… und schlagen von Frauen geht gar nicht. auch wenn man für Millionen € Frauenhäuser baut ist die Sitte sie hineinzuprügeln abzulehnen… Kinder schon eher. nur mann muss nur vorher fragen “ willst Du eine Ohrfeige oder machst du freiwillig deine Hausaufgaben?“ …manche antworten dann “ ja ich will“…und wenn selbst der Stellvertreter Christi auf Erden die Prügelstrafe befürwortet warum dann nicht auch für Böhmermann…. was würde Heinz Erhardt zu Böhmermanns Gedicht sagen? zumal sich Gedicht mit Gericht reimt… Was ich allerdings vermisse ist eine Stellungnahme des Zentralrats der Juden… Wo doch jeder weiß, dass eine herabwürdigung einer Person in Verbindung mit einer etnischen Bevölkerungsgruppe der Anfang von Volksverhetzung und Progrom sind..Bald brennen nicht nur Asylantenheime sondern auch Dönerspiesse..,.

    Like

Und jetzt sag deine Meinung:

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..