Mit Helmut Schmidt durchs Jahr: Europa

Die Briten haben sich für den Brexit entschieden und verlassen die Europäische Union. Helmut Schmidt, das darf man wohl sagen, würde im Grabe rotieren …

Denn anders als die älteren Briten, die jetzt im Gegensatz zu den jüngeren für den Brexit gestimmt haben, gehörte er als noch Älterer zur Generation derjenigen, die die „Scheiße“ des Krieges (seine Worte) noch erlebt hatten. Er sah den Nationalismus als Problem, nicht als Lösung, und er war davon überzeugt, dass Europa in einer komplexer werdenden Welt nur gemeinsam erfolgreich sein kann:

Wenn aber Europa sich als Ganzes behaupten will, dann muss es die Grenzen nationalstaatlichen Denkens überwinden und die Integration der Gemeinschaft weiter voranbringen. Nur im Rahmen der Europäischen Union sind wir den globalen Herausforderungen gewachsen, nationalistische Tendenzen dürfen nicht wieder die Oberhand gewinnen. Die Europäische Union liegt im patriotischen Interesse jedes einzelnen ihrer Mitgliedsstaaten, insbesondere Deutschlands. Und eines Tages wird es vielleicht sogar einen europäischen Patriotismus geben.

Helmut Schmidt, Was ich noch sagen wollte, München 2015, Kapitel „Europäische Patrioten: drei Franzosen“

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Bildnachweis: Bundesarchiv, B 145 Bild-F066924-0017 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0


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11 Gedanken zu “Mit Helmut Schmidt durchs Jahr: Europa

  1. Dass die Brexit-Befürworter sich nicht an die Worte eines Helmut Schmidt halten, ist ja noch irgendwie nachvollziehbar. Auch die großen Europäer der Nachkriegszeit von Schuman bis Adenauer sind ihnen wohl egal.
    Aber dass sie die Weitsicht des wohl größten britischen Politikers des 20. Jhdts., Winston Churchill, komplett ignorieren, macht fassungslos. Der hatte bereits vor 70 Jahren die „Vereinigten Staaten von Europa“, also eine weit engere Integration als in der EU, vorgeschlagen. Das Erfolgsmodell USA gibt ihm recht.
    Das ganze ist wohl eine Frage der Intelligenz:
    In Oxford haben 70,x%, in Cambridge sogar 73,x% für ‚Remain‘ gestimmt.

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  2. … das ist zwar mehr als ärgerlich, aber dann geht es eben erstmal einen Schritt zurück, bevor es dann wieder zwei voran geht. Helmut wird ja am langen Ende recht behalten, aber wir müssen zwischendurch anhalten und ein paar Grundsatzfragen neu stellen. Dafür ist der Brexit sogar wichtig, auch wenn er wirtschaftspolitisch nur Verlierer kennen wird. Für die (älteren) Engländer war es wohl ausschlaggebend, dass die Niederlassungsfreiheit der EU-Ausländer und die Zahl der Geflüchteten für ihre Insel nicht „souverän“ von London aus steuerbar war, sondern von Brüssel und/oder Berlin definiert wurde. Sie wollen ein „englisches Leben“ führen (was immer das auch ist) und fühlen sich in vielen Städten und deren Infrastruktur von der Zuwanderung bedrängt. Die Politik hat versäumt das hinreichend zu erklären, es sozialpolitisch zu unterstützen, sich dann auch noch politisch verspekuliert (Cameron) und jetzt stehen alle dumm da, außer den Rechtspopulisten, deren Hoffnungen neue Nahrung erhalten haben. Leider sind wir selbst Schuld: Merkels „Flüchtlingspolitik“ hat die Vorurteile der älteren Briten bestätigt, dass (wieder) Deutschland ihr Schicksal bestimmt, – das ist einfach völlig inakzeptabel aus deren Sicht und ein Fehler von uns, das nicht gesehen/berücksichtigt haben. Es fehlt das kulturelle und sozialpolitische Feingefühl bzw. sind die aktuellen Dramen so groß, dass darauf keine Rücksicht mehr genommen wird. Mich wundert übrigens, warum das jetzt für so viele überraschend war, – wer genauer hingeschaut hat und/oder in GB herum kommt, dem war klar, wie das ausgeht. Allein, dass wir überrascht waren, zeigt unsere Ignoranz.

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  3. Mich wundert übrigens, warum das jetzt für so viele überraschend war, – wer genauer hingeschaut hat und/oder in GB herum kommt, dem war klar, wie das ausgeht. Allein, dass wir überrascht waren, zeigt unsere Ignoranz.

    Unsere Ignoranz? Selbst die Brexit-Betreiber waren überrascht von diesem – ja doch sehr knappen – Ergebnis. Sämtliche Wettbüros haben auf Remain gesetzt. Und YouGov natürlich – wobei man bei deren Meinungsforschung eigentlich immer vom gegenteiligen Ergebnis ausgehen kann.

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    • … also, in diesen Zeiten glaube nicht mehr an Umfragen, „Meinungsforscher“ oder gar Wettbüros. Frage vier Taxifahrer und wenn drei „nein“ sagen und einer unentschieden ist, kommst Du der Ergebnis-Tendenz näher als bei anderen Verfahren …

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  4. Man könnte so viel dazu sagen, aber wie in einem anderen Blog geschrieben: man ist sprachlos. Es ist so grenzenlos dumm und wird denen wohl erst klar werden, wenn die polarisierenden Kräfte in die Verantwortung kommen und dann „beweisen“ können, dass sie es (auch) nicht können.

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  5. Positiv betrachtet könnte man sagen: Wir leben in interessanten Zeiten. Es tut sich was, es muss sich etwas tun. Gefühlt nehmen die Krisen (nicht in Nahost und sonstwo, ist man ja jahrzehntelang gewöhnt, sondern vor der Haustür) zu. Putins Russland, ein Erstarken der rechten Kräfte in ganz Europa und zuletzt auch in Deutschland, riesige Migrationsbewegungen (die der alte Helmut natürlich auch als Problem vorhergesehen hat), wirtschaftliche Gefälle, insgesamt zunehmende konservativ-reaktionäre Tendenzen, die sich nach der „guten alten Zeit“ sehen und glauben, wenn man nur die Augen zumacht und sich bei Abstimmungen saudumm verhält, würde die Globalisierung schon wieder vorbeigehen. Chancen und Risiken sind zurzeit hoch, dass sich etwas bewegt und dass „die Politik“ (also wir alle) die Zeichen der Zeit erkennt und von bloß getriebenem Reagieren zu einer gestaltenden Rolle findet, die man dann auch emotional aufladen und verkaufen kann, denn auch dieses Geschäft sollte man nicht allein den Gegnern und Populisten überlassen … Oder dass sich nichts bewegt und dass sich ein reaktionärer Nationalismus zum Schaden aller durchsetzt.

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  6. Interessant ja, und wenn diese Ereignisse endlich dazu beitragen könnten, dass die Politik – insbesondere aus Brüssel – endlich bei den Menschen ankommt und nicht nur als bürokratisches Monster wahrgenommen wird – was nicht zuletzt häufig von unseren nationalen Politikern gerne befeuert wird, um von eigenen Verfehlungen abzulenken – wäre es zumindest lehrreich.
    Cameron hat gezündelt und sich ordentlich die Finger verbrannt. Es ist keine Übertreibung zu behaupten: er ist derjenige, der die Spaltung des Vereinigten Königreichs zu verantworten hätte. Sein Agieren kann man nur als unverantwortlich bezeichnen. Es würde mich nicht wundern, wenn die Queen ihm gehörig den Kopf gewaschen hat.
    Ich wage mal wieder eine steile These: das Erstarken der Populisten ist auch und insbesondere der Unfähigkeit der Politik geschuldet, sich auf die extremen Veränderungen der Internetkommunikation einzustellen. Die Entwicklungen laufen in einer derart rasanten Geschwindigkeit, dass keiner mehr mitkommt. Die Medien – unsere vierte Gewalt – haben bis heute nicht kapiert, dass sie maßgeblich an diesen Entwicklungen bzgl. Populismus eine Mitschuld tragen. Aber auch die sozialen Netze tragen dazu bei, dass Wahrnehmungen von vermeintlichen Mehrheiten entstehen – durch permanentes Teilen und Liken und durch seltsame Ranking Algorithmen entstehen Gewichte, die völlig verschoben sind. Alle fühlen sich durch die scheinbare Notwendigkeit getrieben, Clickraten zu erzielen – und das mittlerweile in einem Ausmaß, dass man beim Lesen der Kommentare das Kotzen bekommen könnte – von wegen Counter Speech – was für ein Schwachsinn.
    Ja, man kann das alles interessant finden – ich finde es aber auch gefährlich, was die letzten Jahre passiert, und dass die Briten jetzt ausscheren möchten, stellt im Moment den Tiefpunkt dieser Entwicklungen dar.

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    • … ich kann dieser Theorie einiges abgewinnen ! Klickraten schaffen Desorientierung und politische Kampagnen können diesen Effekt instrumentalisieren. Nehme ich die „Marktführer der Klickratenindustrie“ in diesen Ansatz auf, gewinnen Google, Facebook und Co. die Wahlen. Das klingt jetzt nach Verschwörungstheorie, ist aber zumindest ein Teil der Wahrheit. Der ganze hypernervöse Politikraum ist auch verursacht von Multiplikatoren, die noch immer nicht verstehen, wie Nachrichten „generiert“ werden, aber täglich mit viel Aufwand selbst solche erzeugen und platzieren. Auch die Brexit-Berichterstattung im TV hat sich übrigens selbst getäuscht und gerne täuschen lassen. Im Zusammenhang mit den aktuellen und zukünftigen Ressourcenkämpfen sind die Pessimisten ziemlich sicher, wie das Ganze ausgeht ; -)

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  7. Überall war nach dem Votum zu lesen, die Älteren hätten gegen die Jüngeren gestimmt und ihnen somit eine Zukunft versaut, die selbst nicht mehr erleben würden. Allerdings sind nur 35% der unter 45jährigen überhaupt zur Wahl gegangen.
    Das ist das, was davon kommt.

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