Tesla: Märchenstunde im Bayerischen Rundfunk

Am Computermagazin des Bayerischen Rundfunks habe ich mich in diesem Blog schon öfter abgearbeitet. Die Redakteure des Magazins mögen keine Innovationen, schon gar nicht wenn Sie aus den USA kommen. Und so entstehen märchenhafte Beiträge wie der aktuelle über Tesla …

„Selbsternannter Innovationsführer“, sei Tesla, so beginnt der Beitrag* süffisant, und damit ist der Ton der Sendung festgelegt. Dass Tesla das Thema Elektromobilität wie kein zweiter Autohersteller vorantreibt, bleibt unerwähnt. Dass Tesla als Quasi-Startup den milliardenschweren etablierten Autokonzernen gewaltig auf die Nerven geht, ist offenbar nicht der Rede wert. Dass Tesla-Autos und Tesla als Marke unglaublich begehrt sind und es innerhalb eines Tages über 300.000 Vorbestellungen des neuen Model 3 gab – all das spielt keine Rolle.

Schlechte Laune wegen Tesla

Im Computermagazin hat man vielmehr schlechte Laune wegen des tödlichen Unfalls eines Tesla-Fahrers, der sich zu sehr auf den Autopiloten verlassen hatte. Tesla gehe „weder ehrlich noch verantwortungsvoll“ mit dieser Situation um, meint der BR-Redakteur, denn man suggeriere den Käufern, dass Teslas ganz alleine fahren könnten. Die Experten seien empört, meint ein zweiter Redakteur (man interviewt sich gegenseitig zu dem Thema), weil immer von „autonomen Systemen“ die Rede sei, dabei ginge es doch nur um „Fahrerassistenzsysteme“.

Tesla FahrerassistenzDas ist zweifellos richtig, nur trifft die BR-Schelte die falschen. Im Handbuch zum Tesla Model S sind sämtliche Funktionen, von denen die Rede ist, unter was aufgelistet? Genau: „Fahrassistenz“.

Tesla müsse sich jedenfalls die Frage gefallen lassen, „ob der im Marketing versprochene Autopilot nicht vollkommen irreführend ist“. Na gut, werfen wir einen Blick auf die Versprechungen des Tesla-Marketing:

„Dank dem Autopilot System kann das Model S mehr als nur die Spur halten. Ein kurzes Antippen des Blinkerhebels genügt, um den Spurwechsel vollautomatisch durchführen zu können. Auch die Geschwindigkeit wird vollkommen autonom geregelt, denn die verkehrsadaptive Tempomatik passt sich dem Verkehrsfluss perfekt an. Die digitale Verbundsteuerung von Motor, Bremsen und Lenkung hält das Fahrzeug in der vorgesehenen Spur und hilft gleichzeitig, Front- und Seitenkollisionen zu vermeiden. Das Model S erkennt sogar passende Parklücken für Sie und parkt vollkommen autonom ein.“

Marketing-Geklingel

Klingt alles sehr schön, und genau das ist auch, wenn mich meine Erfahrung nicht täuscht, der Job des Marketing: Alles sehr schön klingen zu lassen. Mal sehen, ob das bei anderen Autoherstellern weniger schön klingt …

„Eines ist sicher: Ihre Fahrt im BMW 4er Coupé. Unsere Fahrerassistenzsysteme unterstützen Sie innovativ und clever und setzen Maßstäbe in Sachen Sicherheit und Komfort.“ (BMW)

„Die Fähigkeiten der Sicherheits- und Assistenzsysteme nehmen zu. Die nächste E-Klasse analysiert komplexe Verkehrssituationen und kann frühzeitig auf Gefahrenpotenziale im Straßenverkehr reagieren.“ (Mercedes)

„Schon heute machen die Fahrerassistenzsysteme von Audi das Fahren entspannter und souveräner.“ (Audi)

Marketing-Geklingel all überall … Was auch sonst. Der Audi-Fahrer darf sich entspannen und Mercedes-Autos analysieren sogar komplexe Situationen und tun damit weit mehr als Spur halten, Tempo regulieren und einparken, was Tesla verspricht.

Der Videobeweis

Trotzdem: Im Gegensatz zu allen anderen Autoherstellern spielt Tesla nach Ansicht der BR-Redakteure „ein Spiel auf Leben und Tod“, weil es dem ahnungslosen Kunden suggeriert, die Autos würden ganz alleine fahren können. Ein weiterer Beweis dafür: „Wunderschön bestaunen kann man das in entsprechenden YouTube-Videos, da sieht man nämlich Fahrer, die die Hand vom Steuer nehmen oder sogar auf der Rückbank sitzen.“

Wie bitte? Solche Videos veröffentlicht Tesla? Nein, natürlich nicht. Es gibt Menschen, die sich beim Tesla-Fahren filmen und vorführen, wie die Fahrerassistenzsysteme funktionieren. Kann man gut finden, kann man schlecht finden, entzieht sich aber in jedem Fall dem Einfluss der Tesla-Kommunikation. Genau so gut könnte man BMW und VW vorwerfen, dass sich die Käufer ihrer Autos bei idiotischen und saugefährlichen Straßenrennen filmen.

Aber egal, Tesla ist böse, kein Wunder, handelt es sich doch um eine amerikanische Firma, meint der BR-Redakteur: „Tesla setzt offensichtlich auf eine Strategie, die in US-Unternehmen weit verbreitet ist: Es suggeriert, die Speerspitze der Technologie zu sein, wählt vollmundige Marketing-Begriffe, löst die aber bei genauem Hinsehen nicht ein.“

Einfach mal genauer hinsehen

Hätte der Bayerische Rundfunk mal genau hingesehen, wäre ihm aufgefallen, dass es neben Werbung noch weitere Informationsquellen für Tesla-Käufer und -Nutzer gibt – das gute alte Handbuch etwa. Ich persönlich lese immer das Handbuch, wenn ich mir ein neues Auto kaufe, denn ohne Handbuch findet man die Hälfte der Funktionen nicht, die irgendwelche Ingenieure hinter irgendwelchen Schaltern und Menüs versteckt haben. Das ging mir jüngst beim vergleichsweise simplen Opel Zafira so, und ich vermute das gilt für den High-Tech-Tesla mit neuer Antriebstechnologie erst recht.

Und was lesen wir da, welche vollmundigen Versprechen vom selbstfahrenden Auto finden sich dort, wie wird der Kunde in falscher Sicherheit gewogen?

Tesla-Warnungen

(Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt.)

Über Märchenstunden im Bayerischen Rundfunk habe ich übrigens schon zweimal geschrieben: Da ging es um das Thema Quantified Self und um Instagram.

*Ausgabe vom 10.07.2016, ab 00:44, im Web oder direkt die mp3

 

12 Gedanken zu “Tesla: Märchenstunde im Bayerischen Rundfunk

  1. Wer liest wirklich Handbücher? Frage 100 zufällig auf der Straße ausgewählte Bürger, ob sie sich von ihrem „neuen“ Fahrzeug das Handbuch durchgelesen haben.

    Ja, Tesla ist kein Innovationsführer in vielen Bereichen, außer einem. Der einzige Bereich, in dem sie Innovationsführer sind, ist, wie man möglichst billig auf Basis von Standard-Zellen, genau genommen den 16850 von Panasonic, einen Akku baut. Dieser Akku ist im wesentlichen nach Kosten optimiert, aber nicht nach Leistung/Gewicht und auch nicht nach Leistung/Volumen.

    In den anderen Bereichen ist Tesla kein Innovationsführer. Das CAN-basierende Embedded Netrzwerk ist auf einem ähnlichen Niveau wie das von Fiat-Chrysler. Da empfehle ich mal die Car-Hacking-Talks von den letzten Jahren auf der BlackHat.

    Der Autopilot ist im wesentlichen Technik von MobilEye, wie sie seit Jahren in BMW und Volvo verbaut ist. Der Unterschied ist, dass Tesla wesentlich weniger Sensoren verbaut hat als BMW und Volvo, aber dafür mehr erlaubt. Tesla hat nur ein einfaches Radar auf Höhe des Kennzeichens verbaut. BMW und Volvo haben extra Radar und einfache Lidar-Scanner im Rückspiegel verbaut, um die Objekterkennung zu verbessern. Die Schwächen von Kamerabasierten Lösungen sind seit Jahren bekannt. Aber Tesla wollte hier wohl einfach nur Geld sparen auf Kosten der Nutzer.
    BMW und Volvo haben auch eine Handerkennung verbaut, ähnlich wie alle anderen OEM. Sobald die Hand nicht am Lenkrad ist, werden alle Assistenzsysteme nach einer Warnung von ca. 30s abgeschalten und die Geschwindigkeit sofort reduziert. Tesla hingegen, hatte eine solche Erkennung überhaupt nicht integriert. Erst nachdem waghalsige Youtube-Videos erschienen, wurde sie halbherzig nachgeschoben. Sie ist nur halbherzig, weil es nur eine Warnung gibt und die Abschaltung erst nach mehreren Minuten erfolgt. Als Innovation würde ich das nicht werten, sondern als Unvernunft.

    Tesla ist nichts anderes als der BigBlock, wie die Amis halt schon immer waren. Technologieführerschaft ist aber etwas anderes.

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    • Das wären doch Sachen, die in die Sendung gehört hätten. Wenn das alles so stimmt (kann ich nicht beurteilen und mag ich jetzt nicht nachrecherchieren, klingt aber zumindest plausibel), wäre das wie für ein kritisches Magazin gemacht.

      Das hätten die Radiobayern herausfinden und bringen sollen, dann hätte man sie zurecht für guten kritischen und investigativen Journalismus gelobt. So weiß der Hörer hinterher eher weniger als mehr. Dafür braucht man aber keinen teuren öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das schafft der Boulevard aus eigener Kraft…

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  2. Meiner Meinung nach verschenkst du für einen Kleinkrieg mit dem Computermagazin das Riesenthema „Pseudofortschritt“, besonders in Bezug auf das Thema „selbstfahrende Autos“. Das ist doch das eigentliche Riesenthema: Wieviel an Fremdsteuerung und Datensammelwut durch Algorithmus-Ingenieure wollen wir uns eigentlich noch bieten lassen? Wieviel komplett unreflektierten Pseudofortschritt, der niemandem wirklich etwas bringt und die realen Probleme dieses beginnenden Jahrhunderts souverän ignoriert?

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      • Naja, wenn Tesla Systeme verwendet, die andere Marken auch schon seit einer Weile benutzen, und das nur anders nennt, anders verpackt und auf Kosten der Sicherheit freizügiger handhabt, wäre da schon ein gutes Stück Pseudo in der Innovation, die selbstfahrende Autos so oder so darstellen. Außerdem (@ Michael Schäfer) ist die Welt nicht so schwarzweiß, eine Firma kann ja auf einem Gebiet sehr innovativ sein und in anderen Bereichen Mittelmaß oder Schlusslicht. Hier lese ich keine Lobhudeleien auf Tesla, sondern nur Kritik an ungerechtfertigter Kritik.

        Aber damit (wieder @ Christian Buggisch) wäre das Thema Pseudoinnovation für Dich nicht verbrannt, im Gegenteil, Tesla bzw. Fahrassistenzsysteme könnten als Ausgangspunkt für einen Artikel darüber dienen. Das würde gut in Dein Blog passen, finde ich.

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  3. Mag ja sein, dass Tesla zum Teil Technologien verwendet, die es bei anderen auch schon gibt. Doch Innovationsführer ist Tesla in jedem Fall. Schon alleine, weil das Unternehmen nicht bequem auf staatliche Subventionen wartet (siehe Kaufprämie).
    Die Reichweite der Teslas in Kombination mit dem in Europa jetzt schon recht dichten Netz an (bisher kostenlosen) Solar-Zapfsäulen ist konkurrenzlos. Die Technologie ist da, man muss es nur tun – und Tesla tut es.

    Die Diskussion um den „Autopiloten“ ist kindisch; sie zeugt von Neid und Missgunst und vielleicht auch von Verlustängsten (der Dominanz der deutschen Automobilindustrie). Ähnlich könnte man fordern, die Gurtpflicht abzuschaffen, weil es Unfälle gibt, bei denen Menschen sterben, weil sie angegurtet waren.
    Es wird auch in Zukunft noch einige Tote und Verletzte geben, die sich zu sehr auf diese Assistenzsysteme verlassen haben. Das wird sich nicht vermeiden lassen. Doch die Gesamtzahl der Verkehrstoten wird in Zukunft deutlich sinken, gerade wegen dieser Systeme.

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    • Wie jetzt? Tesla wartet nicht auf staatliche Subventionen? Mit dieser Aussage wäre ich sehr sehr sehr vorsichtig. Subventionen sind ein Teil des aktuellen Geschäftsmodels von Tesla. Ich sage nur: Carbon-Tax-Credits. Oder auch die Subventionen bei der Gigafactory.

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      • Die Betonung liegt auf warten, nicht auf Subventionen. Testla wartet nicht wie die deutschen Hersteller, die bis heute keine Infrastruktur aufgebaut haben.

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  4. Vermutlich hat der BR auch eine enge Beziehung zu BMW und schaut, externe wie Tesla nicht zu viel positive Berichte bekommen.

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  5. Ja, die Berichterstattung kann man schon kritisieren. Aber das was Tesla macht ebenso.
    Autopilot: wir kennen das aus dem Flugzeug. Der technische Aufwand, der hier betrieben wird, um ein Flugzeug tatsächlich so fliegen und sogar landen zu lassen, ist so immens, dass es schlichte Träumerei ist, zu glauben, dass sich das mir nichts dir nichts auf den Straßenverkehr abbilden lässt. Die deutsche Automobilindustrie hat aus rein marketingtechnischen Gründen immer darauf verzichtet, dem Käufer zu suggerieren, dass die Systeme ihm die Arbeit abnehmen, deshalb heißen die Systeme auch Fahrassistenzsysteme und nicht großkotzig Autopilot.

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