Diese verfluchten ummauerten Gärten!

„Papa, kann ich den Hobbit als Hörbuch auf meinem Smartphone haben?“ – „Kein Problem!“, sagte ich leichtsinnigerweise, denn sofort begannen die Probleme …

Das Hobbit-Hörbuch habe ich vor ein paar Jahren digital und – selbstverständlich – legal erworben, es hat uns schon so manche Autofahrt gen Süden verkürzt. Und es müsste doch einfach möglich sein, das digital und legal erworbene Hörbuch auf dem neuen Smartphone des Kindes anzuhören. Denkste!

Steine im Weg des Nutzers

Denn was es neben offenen Schnittstellen und nutzerzentrierten Anwendungen heutzutage auch gibt, und zwar nicht zu knapp: walled gardens, ummauerte Gärten oder weniger lyrisch: geschlossene Systeme. Das sind Plattformen, die den Nutzer auf Teufel komm raus an sich binden und festhalten wollen. Oberstes Ziel: nicht Nutzerzufriedenheit, einfache Bedienung und schnelle Problemlösung, sondern: Steine im Weg des Nutzers, Hürden, Mauern, die er überwinden muss, wenn er über die Plattformgrenzen hinaus aktiv sein will. Apple, Google, Facebook, Amazon – sie alle bauen mehr oder weniger hohe Mauern um ihre Gärten, auf dass die Geschäfte innerhalb dieser Mauern brummen und ja niemand auf die Idee kommt, sein Glück in der Welt jenseits der Mauern zu suchen.

Und nichts ist besser geeignet, um dieses System schmerzhaft zu erleben, als digitale Musik – oder eben ein Hörbuch. Der Kauf desselben lag ein paar Jahre zurück, also suchte ich erst mal auf der Backup-Festplatte – ergebnislos. Wo hatte ich das Hörbuch gekauft und wo in der großen, weiten Cloud konnte ich es finden? Als Teil des Spotify-Abos? Leider nein, das wäre zu einfach gewesen. Vielleicht bei Amazon als Download – nein, kein Eintrag unter „Meine Bestellungen“. Bleibt eigentlich nur noch iTunes von Apple, über das ich früher meine Musik organisiert habe – Treffer.

Ich hasse iTunes

Die Betonung liegt auf früher. Denn inzwischen nutze ich für fast alles Spotify. Erstens weil mir Spotify für eine monatliche Gebühr fast alles bietet, was ich brauche. Und zweitens weil ich iTunes hasse. Ich verabscheue es. Und ich verachte die Menschen, die sich iTunes ausgedacht und in dieser Form realisiert habe. Es ist ein Alptraum. Ein Monster. Riesengroß, umständlich organisiert, schwer zu bedienen. Alles, was Apple mit der Erfindung des iPhone richtig gemacht hat, hat es bei iTunes aus Nutzersicht falsch gemacht.

Und deshalb ist es auf meinem neueren Notebook gar nicht mehr installiert. Nur wie komme ich dann an das ehemals über iTunes erworbene Hörbuch? Da gibt’s doch bestimmt eine schlanke Web-Oberfläche, so wie für die iCloud, wo ich mir das Ding einfach runterladen kann, oder? Ich beliebe zu scherzen. Die gibt es nicht. Nirgendwo. Um an das Hörbuch zu kommen, um also die Gartenmauer zu überwinden, gibt es nur einen Weg: 250 Megabyte iTunes herunterladen und installieren. Anmelden. In den iTunes Store gehen und das Ding erneut laden. Irgendwo den Ordner finden, wo iTunes das auf der Festplatte ablegt. Die Dateien nehmen und anderweitig verwenden.

Auch Google macht einem das Leben schwer

Aber halt, die nächste Hürde: Um das Hörbuch auf das Android-Smartphone des Kindes zu bekommen, gibt es wiederum keine schlanke Web-Oberfläche von Google Play, nein, man muss eine Software namens Google Play Music Manager herunterladen und installieren. Nur die Google-Götter, die doch sonst alles cloudbasiert, schlank und elegant abwickeln, wissen warum.

Nachdem auch diese Software installiert ist – scheitert der Versuch, das (wir erinnern uns: legal erworbene) Hörbuch über die Google-Software in die Google-Cloud hochzuladen, um es dann auf dem Android-Smartphone anhören zu können. Denn das Hobbit-Hörbuch besteht nicht aus .mp3-Dateien, sondern aus .m4b-Dateien. Fragt nicht, was das für ein merkwürdiges Format ist, ich wusste es auch nicht (und wollte es auch gar nicht wissen). Es ist einfach ein weiteres Format, das von Apple unterstützt wird, von Google aber nicht. Es ist ein weiterer Stein in der Mauer, die unseren Garten umgibt.

Aber vielleicht gibt es ja doch noch eine Leiter, um elegant die Mauer zu überwinden: eine Software, die .m4b- in .mp3-Dateien umwandelt? Gibt es, kostenlos. Es ist die nächste Software, die ich brauche, um das (legal erworbene) Hörbuch hören zu können. Herunterladen, installieren, Dateien einlesen, konvertieren … Fehler! Konvertierung nicht möglich. Wahrscheinlich steckt noch irgendein digitales Rechtemanagement in meinen Dateien, das höhnisch grinsend meine Leiter umschmeißt.

Amazon? Auch nicht besser.

Inzwischen habe ich zwei Stunden meiner Lebenszeit verschwendet, zahlreiche Software installiert und wieder deinstalliert, schlechte Laune bekommen – und bin keinen Schritt weiter. Die Lösung des Problems bestand letztlich darin, das Hörbuch nochmal zu kaufen, diesmal als .mp3-Download in irgendeinem der vielen Online-Shops, die so was anbieten.

Nicht bei Amazon, wohlgemerkt, wo ich früher auch .mp3-Musik gekauft habe. Denn Amazon ist eine unselige Allianz mit Audible, einem Abo-Dienst für Hörbücher, eingegangen (genauer gesagt: Amazon hat vor einer Weile Audible gekauft). Und aus diesem Grund kann man den Hobbit als Hörbuch bei Amazon nicht als .mp3-Download kaufen, sondern nur als kostenloses Schnupperabo für einen Audible-Account. Herrgottsakrament, das darf doch nicht wahr sein!

Es lebe .mp3!

Die nicht bei Amazon gekauften .mp3-Hörbuch-Dateien ließen sich dann problemlos via Google-Cloud aufs Smartphone des Kindes transferieren. Einige Stunden und doppelt ausgegebene Euro später war das Problem gelöst.

Man lerne und staune: Ein in den 1980er Jahren (in meiner Heimatstadt Erlangen) entwickeltes und seit den 1990er Jahren verbreitetes Dateiformat ist immer noch die einzige Möglichkeit, Musik plattformübergreifend und ohne Scherereien zu erwerben und zu nutzen. Alles, was Plattformbetreiber und Musikdistributoren seitdem getan haben, ist: Mauern hochzuziehen, um den Kunden das Leben schwer zu machen.

Kundenbindung durch Mehrwert

Dass ihre Strategie aufgeht, wage ich zu bezweifeln. Apple hat den Streaming-Trend mehr oder weniger verschlafen und wurde vom schwedischen Anbieter Spotify in Sachen Musik, und von Netflix und Amazon in Sachen Video angezählt.

Zwar versuchen auch Streaming-Anbieter, die Nutzer in ihrem System zu halten, aber weniger durch technische Restriktionen als durch exklusiven Content – nicht also durch Hürden und Nachteile für die Nutzer, sondern durch Mehrwert. Netflix ist hierfür ein gutes Beispiel mit seinen eigenproduzierten Serien. Aber auch Spotify mit Podcasts wie „Fest und Flauschig“, die nur hier laufen. Denn von Streaming-Dienst A zu Streaming-Dienst B zu wechseln, ist schnell erledigt. Abo zum Monatsende kündigen, neues Abo abschließen, schon steht wieder die gesamte Palette an nicht-exklusiven Inhalten zur Verfügung.

Viel gelernt also an diesem Sonntag Vormittag, bevor das Kind dann endlich auf „Play“ drücken konnte: „In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit …“

5 Gedanken zu “Diese verfluchten ummauerten Gärten!

  1. Ja, so ist es: Sie wollen nur unser Bestes (unser Geld) und machen mit uns was sie wollen. Schön ist es auch, in einer Familie die Brücken zw den Daten der iOS- und der Android-Nutzer schlagen zu wollen. Das macht Freude!!?!
    Sehr lebendig geschrieben: Ich konnte beim Lesen immernoch deinen Dampf rauskommen sehen :)

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  2. Für die kürzere Autofahrt ist der Hobbit als Hörspiel (Hörverlag, 1980, 270 Minuten) sehr zu empfehlen. Eines der stimmungsvollsten und liebevoll umgesetzten Hörspiele, das ich kenne. Das Hörspiel startet nach einer kleinen musikalischen Einstimmung mit den Worten: „In einer Höhle in der Erde, da lebte ein Hobbit“ – analog zur Übersetzung von Walter Scherf. Ich finde die Übersetzung von Krege an dieser und an einer zweiten Stelle sehr unpassend. Wie soll man sich das vorstellen, ein „Loch im Boden“? Im Englischen Original heißt es „In a hole in the ground there lived a hobbit.“ In der filmischen Umsetzung wird schon klar, dass es eine Höhle sein muss.

    Nun aber zu den ernsthaften Dingen: ich muss immer ein wenig schmunzeln, wenn Du Dich darüber auslässt, was die schöne neue Welt an negativen Nebeneffekten mit sich bringt. Allerdings sind das doch Sachverhalte, die bei genauer Überlegung doch im Vorhinein klar sind. Ich kaufe Hörbücher / Hörspiele und Musik generell nur als CD oder gleich als MP3. Genau aus den von Dir geschilderten Gründen. Die MP3 lassen sich auch problemlos auf ein iPhone ohne iTunes kopieren. Mittlerweile speichere ich meine Audio Bibliothek auf einem eigenen Home-Server (Synology Disk-Station), die auch Apps zur Verfügung stellt, mit denen sich die Inhalte auf das Smart Phone kopieren lassen. Es gibt also durchaus Wege, auch mit geschlossenen Systemen und innerhalb der eigenen LAN-Grenzen Inhalte zu verwalten und zu konsumieren.

    In dem Zusammenhang wollte ich Dir längstens Andrew Keen ans Herz legen (so Du ihn vielleicht nicht schon gelesen hast): „Das digitale Debakel“.

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    • Ja, du hast ja Recht, nur dass mir das eben vor Jahren noch nicht so klar war. Ich hab von Anfang an iTunes genutzt, um meinenalten CDs in mp3 umzuwandeln, das klappte auch ganz gut. Dann kamen iTunes-Käufe dazu und irgendwann wurde alles komplizierter … Das Buch muss ich mal lesen, kenne ich noch nicht.

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