Esoterik im Weinbau

Weinbau und Wissenschaft, das sind (seit noch nicht allzu langer Zeit) Verbündete im Kampf um mehr Qualität. Wie immer gibt es aber auch gegenläufige Bewegungen: Es schwurbelt bei einigen Winzern und Weintrinkern, und mancher Unsinn wird zur Glaubensfrage stilisiert …

Und das betrifft nicht nur jene Bestandteile des biodynamischen Weinbaus, die in Rudolf Steiners verquerem Aberglaube wurzeln: Hohle Kuhhörner mit Quarz oder – noch besser – Kuhmist füllen, vergraben, wieder ausgraben, mit Wasser verrühren und Selbiges über dem Weinberg versprühen. Da kann man auch gleich zu Weihwasser greifen und drei Ave Maria beten – hilft genau so viel und schadet genau so wenig.

Wohlgemerkt: Nicht alles am biodynamischen Weinbau ist schlecht, darüber haben wir hier kürzlich schon kontrovers diskutiert. Das Streben nach natürlicherem Weinbau unter weitgehendem Verzicht auf chemisch-industrielle Herbizide, Fungizide und Pestizide, ist nicht nur legitim, sondern bewundernswert, macht sich der Winzer doch damit zunächst das Leben schwer, riskiert Ernteausfälle und weniger kalkulierbare Ergebnisse im Glas. All das lässt sich freilich evidenzbasiert erreichen und umsetzen, ohne das Steiner’sche Märchenland zu betreten und Vernunft gegen Aberglaube einzutauschen.

Wein im Ei mit goldenem Schnitt

Wein im BetoneiDie Neigung zu Esoterik im Weinbau endet allerdings nicht bei verbuddelten Kuhhörnern. Auch der Trend zu alternativen Gebinden geht mit raunendem Unsinn einher, als wären die Gebinde (wie Ton-Amphoren, Betoneier, Betontanks oder Granitfässer) an sich nicht schon spannend genug. Welche Wechselwirkung zwischen Traubensaft und Behälter besteht und wie sich das auf das Endergebnis auswirkt, sind Fragen, denen sich zurzeit Winzer im Keller wie Weinwissenschaftler im Labor gleichermaßen nähern.

Aber muss man wirklich davon schwärmen, die Betoneier „seien in der Form des goldenen Schnitts aufgebaut, zudem sei das Ei ein Symbol für den Ursprung des Lebens, beides ermögliche dem Wein eine harmonischere Entwicklung“? Muss Weinproduktion wie in diesem Fall esoterisch überhöht werden, oder ist die besondere Wärmeleitfähigkeit von Beton und Granit, die Weinwissenschaftler in solchen Fällen interessiert, nicht faszinierend genug?

Vielleicht soll das Raunen über die Geheimnisse des Betoneis auch nur helfen, die Kritiker zu übertönen, die den Betonbehältern in Sachen Hygiene, Klärverhalten, Sauerstoffzufuhr und Kontamination mit Fremdstoffen kein gutes Zeugnis ausstellen.

Die Amphore als Mutterschoß

Wein in AmphorenÄhnlich abstrus sind zum Teil die Begründungen, warum Wein in Amphoren gelagert werden sollte. Manche Amphoren-Apologeten verweisen auf die uralte Tradition und das natürliche Material des Tons – als sei alles, was neu und irgendwie technologisch daherkommt, per se verdächtig. Und so wird aus dem Segen des modernen Stahltanks schnell der Fluch unserer modernen Zeit, die sich immer mehr von der Natur und den Ursprüngen entfernt. Dieses Narrativ gibt es ja immer wieder, man denke nur an die „traditionelle chinesische Medizin“ vs. die moderne „Schulmedizin“.

Auf dieser Grundlage lassen sich Amphoren natürlich sagenhafte Eigenschaften andichten. Eine auf Amphorenwein spezialisierte Winzerin etwa meint, dass „der Wein die Reifung in der sehr weiblichen Amphorenform besonders liebt. Er sei quasi in den Mutterschoß zurückgekehrt.“ Da muss man schon einigen Wein intus haben, um auf solche Ideen zu kommen.

Bioenergetischer Weinbau und Wellness-Musik

Musik und Licht im WeinkellerVom goldenen Schnitt und dem Symbol für den Ursprung des Lebens ist der Weg nicht weit zu weiteren phantastischen Methoden, die jenseits von Sinn und Verstand den Wein zur esoterisch überhöhten Gabe von Mutter Natur machen wollen. Ausgerechnet in meiner fränkischen Heimat entwickelte der Biowinzer Helmut Schätzlein seinen „codex naturalis“, in dem er vom „Einfluss des Lichtes und der Musik“ auf seinen Wein, aber auch von der „Nutzung von Energien aus Edelsteinen und Mineralien nach Hildegard von Bingen“ schwadroniert. So wird aus dem biodynamischen ein „bioenergetischer“ Weinbau, der, mit Verlaub, stark vermuten lässt, dass sein Erfinder nicht mehr alle Weingläser im Regal hat. Wenig verwunderlich, dass Helmut Schätzlein inzwischen zum Reichsbürger mutiert ist und seinen eigenen Staat namens Lichtland ausgerufen hat.

Zu abgefahren? Nur ein einzelner Spinner? Mag sein. Den Wein im Weinkeller mit sphärischen Klängen zu beschallen, ist aber keine Spezialität eines durchgeknallten Reichsbürgers, auch andere Winzer setzen auf magische Musikberieselung. Die von der Ernte „gestressten Trauben dürfen sich erholen bei Wellness-Musik und beruhigendem Licht“, heißt es etwa in einem Bericht über einen (schon wieder!) fränkischen Winzer. Er wurde bei der Beschallung und Illuminierung seines Kellers vom örtlichen Heilpraktiker beraten und hat seitdem das Gefühl, dass die Weine „irgendwie schöner“ sind.

Weinbau nach Mondphasen

Wein und MondphasenSpätestens wenn wir uns dem Thema Mondkalender und Mondphasen nähern, neigen auch sonst eher handfeste Winzer und Weintrinker zu Esoterik und Aberglaube. Vor allem der Aussaatkalender von Maria Thun wird gerne bemüht, in dem sie „jahrhundertealtes komplexes Erfahrungswissen“ niedergeschrieben habe, damit auch der Winzer zum richtigen Zeitpunkt im Weinberg das Richtige tut. Und was spricht neben dem „uralten überlieferten Wissen“ noch für den Weinbau nach Mondkalender? Das individuelle Erlebnis, denn Mondkalender-Fans schreiben gerne von der „verblüffenden Genauigkeit“, mit der Wein, nach Mondkalender produziert und/oder genossen, schmeckt oder nicht schmeckt.

Muss ich erwähnen, dass es keinerlei Evidenz für solche Phasen und Kalender gibt? Dass zahllose Studien zeigen, dass am „uralten Wissen“ und am subjektiven Erleben objektiv exakt gar nichts dran ist? Dass wir es vor allem mit Korrelation statt Kausalität, mit selektiver Wahrnehmung und mit sich selbst erfüllenden Prophezeiungen zu tun haben?

Kosmobiologische Winzer

Es gäbe noch mehr zu berichten. Von „kosmobiologischen“ Winzern etwa, die natürlich „im Einklang mit den Kräften der Natur“ arbeiten: „Mondphasen, Erdstrahlungen wie z. B. Wasseradern und vieles mehr werden berücksichtigt.“

Wie immer gilt, dass solche Spinnerei dem Wein nicht schadet. Ihm ist es schlechterdings völlig wurscht, ob er bei Vollmond oder Neumond geerntet oder getrunken wird, ob er mit Musik beschallt oder in völliger Stille reift, ob er sich in die Form einer weiblichen Amphorenrundung, den goldenen Schnitt eines Eis oder irgendeine andere abgefahrene Form schmiegt. Als Käufer können wir großzügig über solche Spinnereien hinwegsehen – oder als aufgeklärte Konsumenten denjenigen Winzern unser Vertrauen und Geld geben, die, frei von Aberglaube und Blödsinn, einfach guten Wein machen.

Bildnachweis: Betonei (InformationsZentrum Beton/Falk)

16 Gedanken zu “Esoterik im Weinbau

  1. Ein Mitglied der Illy (Kaffee) Familie, der in der Toskana Weinbau betreibt, berieselt den Wein mit klassischer Musik (nicht mit billigem gemafreien Wellnessgedudel und -gesäusel). Und ich muss gestehen, dass ich vorher auch nicht dran geglaubt habe. Ich glaube auch heute noch nicht daran, aber manche Menschen wollen genau diese Geschichten hören. Sie kommen aus dem Urlaub zurück und haben was zu erzählen. Und das macht sie glücklich – und der Wein muss dann ja automatisch besser schmecken :D

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    • Billige Retourkutsche auf Petrus. Da haben sie mal eine Flotte Hubschrauber angemietet, um die Weinberge trocken zu föhnen, damit die Trauben nicht zu faulen anfangen. Soweit ich weiß, wurde beim Einfliegen der Hubschrauber NICHT der Walkürenritt gespielt. :)

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      • bitte einfach erst einmal kundig machen/erkundigen/recherchieren bevor man solche schenkelklopfer postet. Hubschrauber fliegen nicht nur en Pomerol. Sie fliegen überall dort, wo kalte Luft aufgewirbelt werden muss, um die reben vor frost zu schützen. und dort, wo regen die ernte beeinträchtigt, weil nasses erntematerial nun einmal maximal scheisse ist. überhaupt in einem weinberg, der so überschaubar klein wie der von petrus ist. und natürlich nur dort, wo man sich das auch leisten kann. also weit nicht überall. soviel zum thema „billige“ retourkutsche.

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    • Ach, es geht doch nichts über verklärte Urlaubserinnerungen, dafür sind wir, glaube ich, alle anfällig :-) Und auf der nach oben offenen Gaga-Skala rangiert Musikberieselung im Weinkeller oder Weinberg für meine Begriffe doch relativ weit unten, so im Bereich der schrulligen Eigenarten mit Augenzwinkern. Ich wunder mich eh immer, wie dogmatisch oft die Diskussionen werden, wenn ich so einen Beitrag schreibe (nicht hier, aber drüben in einer Facebook-Gruppe). Da ist man natürlich längst beim ganz Grundsätzlichen angekommen, findet meine Weltsicht engstirnig und armselig und dreht epistemologisch das große Rad („Es gibt gar keine Wahrheit!“). Na ja, gut, eigentlich wundere ich mich nicht mehr, das hab ich schon vor Jahren aufgegeben … ;-)

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  2. Aber muss man wirklich davon schwärmen, die Betoneier „seien in der Form des goldenen Schnitts aufgebaut, zudem sei das Ei ein Symbol für den Ursprung des Lebens, beides ermögliche dem Wein eine harmonischere Entwicklung“?

    Also, für den Goldenen Schnitt spricht, dass die einzelne Weintraube ja auch ungefähr diese Eiform hat und sich der vom Keltern arg gestresste Most in dieser gewohnten Form wohler fühlt und entspannter lagern kann als in kalten, eckigen Stahltanks. Dass Beton natürlich kein gutes Material ist, versteht sich von selbst, das ist ja auch kein „altes Wissen“ und nicht natürlich (die Römer haben Hafenmauern aus Beton gebaut, das geht mit Weinkultur ja gar nicht zusammen). Die Eier müssen aus dem gewachsenen Stein geschlagen werden, mit nichtmetallischen Werkzeugen, bei Vollmond. Dann gibt das den ultimativ ursprünglichen Wunderschluck aus Mitter Erdes unerschöpflichem Busen, im Einklang mit dem Universum, dem Göttlichen. Der Tanz des Bacchus als Weg ins Nirwana. Oder so.

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      • Jetzt müssten wir uns nur noch was zum Vorgang des Einschenkens ausdenken. Irgendeine komplizierte Regel, die allein den eingeschenkten Wein bekömmlich, weniger berauschend und weniger katerträchtig macht. Man muss, z.B., immer in Richtung Mond gießen (egal ob der jetzt sichtbar ist oder nicht). Oder bei Vollmond in Richtung Mond, bei Neumond vom Mond weg, dazwischen im Uhrzeigersinn entsprechend gedreht. Oder auf die vom Mond im Uhrzeigersinn ausgehend zwischen Mond und Sonne weisende Richtung. Oder vielleicht sternzeichenabhängig, da ließe sich eine wunderhübsche komplexe Matrix basteln. Dann würde Weintrinken endgültig zur Geheimwissenschaft, wär das was?

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      • Ach was, ich liefere nur die Vorlagen, selbst mag ich mich mit dem Quark gar nicht abgeben. Man könnte ein Franchise-Dingens einrichten für esoterisch orientierte Restaurants, Weinstuben usw., die gegen eine Lizenzgebühr mein System benutzen dürfen. Oder vielleicht geht man eher über Zertifizierungen, dann kann ich als Prüfer in den interessierten Läden noch umsonst Wein probieren…

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