#rp19 – re:publica Nachlese

Letztes Jahr war ich nach längerer Pause wieder auf den re:publica-Geschmack gekommen, dieses Jahr wollte ich mir die Konferenz rund um Internet, Digitalisierung, Politik und Gesellschaft erneut gönnen. Das war eine gute Idee. Hier ein paar Erkenntnisse aus einigen ausgewählten Vorträgen (nicht in chronologischer Reihenfolge) …

Torben Lütjen: Der antiautoritäre Aufstand: Populismus als entgleiste Aufklärung

Die These des Politikwissenschaftlers Lütjen scheint steil zu sein: (Rechts-)Populismus als antiautoritärer Widerstand von Teilen der Gesellschaft, als Spätfolge der Aufklärung? Wo doch Aufklärung ein Steckenpferd der Vernünftigen und Antiautorität eine Errungenschaft der 68er ist. Er weist aber auf ein zentrales bildliches Element des Rechtspopulismus hin, das Anbieten und Einnehmen der „red pill“, für die sich Neo im Matrix-Film entscheidet. Wer die rote Pille nimmt, entscheidet sich für die Wahrheit, für den unverstellen Blick auf die Wirklichkeit, für einen Abschied von Täuschung, für selbstbestimmtes Sehen, Bewerten und Agieren. Das ist ein starkes Narrativ der Populisten, mit dem sie sich tatsächlich (scheinbar) in der Tradition Kants befinden, der bekanntlich für Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit“ plädierte. Wer den Klimawandel bezweifelt, hat sich nach Meinung der Populisten frei gemacht von Mainstream-Meinungen und sich selbst (im seriösen Internet) eine Meinung gebildet. Wer Migration als größte Bedrohung der westlichen Welt sieht, hat sich von den Lügen der etablierten Parteien, Politikern und Medien befreit und ist zur Wahrheit vorgedrungen. Darin folgt er eben keinem starken Führer, der die Massen auf Linie hält, sondern agiert gegen Vorgaben, selbstbestimmt, eben: antiautoritär. Und tatsächlich ist bemerkenswert, dass sich der aktuelle Rechtspopulismus zum Beispiel in Deutschland eben nicht durch starke Führungsfiguren auszeichnet, sondern, im Gegenteil, durch muntere Wechsel an der Spitze und bunte Auseinandersetzungen auf allen Ebenen. Ein interessanter Vortrag, der die Perspektive ein wenig gerade rückt.

Sigi Maurer: It’s the patriarchy, stupid

Sigi Maurer berichtete humorvoll über ein wenig humorvolles Thema, mit dem sie zuletzt erhebliche Bekanntheit erlangte. Der Inhaber eines Bierladens in der Nachbarschaft hatte sie (aus juristischen Gründen muss ich wohl schreiben: vermeintlich) mit übelsten sexuellen Hassbotschaften überzogen – per Direktnachricht auf Facebook, was in Österreich nicht strafbar ist. Sie machte diese Nachricht öffentlich und wurde daraufhin vom Bierladen-Betreiber verklagt, weil er diese Nachricht angeblich nicht selbst geschrieben hatte, sondern sein Account von irgendwem dafür missbraucht worden sei. Zunächst wurde sie tatsächlich verurteilt, später wurde das Urteil in höherer Instanz aufgehoben, juristisch ist die Sache noch nicht zu Ende. Die Details des speziellen Falls sind das eine, was den Vortrag aber bemerkenswert und bedrückend macht, ist die Tatsache, dass es sich nicht um einen einsamen Einzelfall handelt, sondern um Alltagssexismus und ein gesellschaftliches Mindset und System, das diesen Sexismus ermöglicht, und es den Betroffenen erschwert, sich dagegen zu wehren. Da läuft schon einiges schief und schreit nach Veränderung. Maurers Appell dabei: Nicht auf den krassen Bierladen-Fall schauen, mal flott Solidarität bekunden und weiter machen wie gehabt, sondern bei sich selbst anfangen. Jeder sei Sexist und Rassist, wenn auch weniger krass, aber eben durch die patriarchale Gesellschaft so erzogen. Auch wenn man diese Meinung nicht uneingeschränkt teilen muss, ist eine Überprüfung und Justierung des eigenen Verhaltens nie verkehrt. Und ein Feminismus, wie Maurer ihn vorantreibt, als echte Gleichberechtigung von Mann und Frau (und nicht als Ablösung des Patriarchats durch ein Matriarchat, wie sie einem besorgten Fragesteller erklärte) ist unbedingt erstrebenswert.

Sascha Lobo: Realitätsschock

Lobo kann man immer lesen und zuhören, in den allermeisten Fällen bekommt man kurzweilig etwas zum Nachdenken geboten. So auch auf der 2019er re:publica. Wie die gesamte Konferenz schwenkte Lobo von seinen Kernthemen als Internet-Erklärer in Richtung Gesellschaftspolitik. Da läuft was falsch, artikulierte er sein Gefühl und vielleicht das einer ganzen Generation, die sich zunehmend politisiert und sichtbar wird. Um dann zu analysieren, was falsch läuft, seit wann es falsch läuft, warum das Ganze auch ein Wahrnehmungsproblem ist, ein Problem der Medien und eine Krise des Expertentums. Der Bogen reichte dann zu großen Themen unserer Zeit (Klimawandel, Platsikmüll …) und zum kleinen Hinweis, dass man all das in Lobos neuem Buch nachlesen kann.

Voss & Beckedahl: Lass uns reden

Für meinen Geschmack gibt es bei der re:publica immer noch zu viele Podien, auf denen sich alle einig sind, weil man zu selten den Mut hat, komplett konträren, insbesondere konservativen Meinungen ein Forum zu bieten. Beim Streitgespräch zwischen Markus Beckedahl und Axel Voss über die europäische Urheberrechtsreform war das definitiv anders. Voss steht für diese Reform, Beckedahl ist ein harter Gegner. Der Schlagabtausch war interessant, und Voss ist zu gratulieren, dass er sich in diese Filterblase von Netzbegeisterten gewagt hat. Noch mehr würde ich ihm gratulieren, wenn er bessere Argumente mitgebracht hätte. Letztlich brachte Beckedahl die Sache auf den Punkt: „Sie haben mit dem Schrotgewehr auf YouTube geschossen und das halbe Internet getroffen.“ Beim Versuch, YouTube zu regulieren, sind Kollateralschäden für kleinere Publizisten vom Blog bis zum Netzwerk offenbar in Kauf genommen worden. Lösungen dafür hat man nicht, sondern will das nun der Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten überlassen. Das ist schon ein bisschen armselig: Man schafft sehenden Auges eine im Detail sehr problematsiche Regulierung und lädt dann alle Kritiker ein, sie so positiv wie möglich auf Länderebene auszugestalten. Man hätte auch auf die Idee kommen können, die regulierende Rahmenbedingung einfach anders zu gestalten. Was außerdem traurig ist: dass wesentliche Fragen des Urheberrechts in digitalen Zeiten überhaupt nicht angegangen wurden. Eine Modernisierung wäre dringend geboten, die Chance dazu wurde aber von Voss und Co. verpasst.

Bernhard Pörksen: Abschied vom Netzpessimismus: Die Utopie der redaktionellen Gesellschaft

„Zukunft wird von Menschen gemacht und wir sind die Schöpfer unseres Zeitalters.“ Das war das optimistische Fazit des Vortrags von Bernhard Pörksen, in dem er ganz bewusst dem herrschenden Pessimismus, dem apokalyptischen Wettbewerb in Untergangserzählungen, wie er das nannte, etwas Positives, eine Utopie entgegensetzen wollte. Drei solche größeren Erzählungen hat er gegenwärtig ausgemacht: eine politische Dystopie, die vom Ende der Demokratie und dem Wiederaufstieg des Faschismus handelt; eine Kommunikations-Dystopie, die dank zunehmender Salonfähigkeit von Lügen und Desinformation ein postfaktisches Zeitalter postuliert; und eine Manipulations-Dystopie, in der Filterblasen und Framing unvermeindlich unsere Autonomie abschaffen. Gegen all diese Untergangsszenarien muss man etwas haben, auch wenn sie in Teilen begründet sind, da sie die Wirklichkeit nicht wiedergeben, aber sie als sich selbst erfüllende Prophezeiungen mit erschaffen können. Pörksen stellt eine Bildungsutopie dagegen, das Ideal einer „redaktionellen Gesellschaft“, die sich am Leitbild des guten Journalismus orientiert. In dieser Utopie gibt es ein entsprechendes Schulfach, einen sich verändernden Journalismus, der dialogischer und transparenter wird, und eine „smarte Regulierung“ der Plattform-Monopolisten. Da schließt sich der Kreis zum ersten hier erwähnten Beitrag, denn Pörksen wünscht sich einen ganz unpopulistischen mündigen, aufgeklärten Bürger, der selbst Gegenwart und Zukunft gestaltet statt in den Chor der Schwarzmaler einzustimmen. Ein Wunsch, dem ich mich gerne anschließe.

Und sonst so …

Natürlich gab es auch Ärgernisse. Zum Beispiel das rätselhafte Podium ganz am Anfang zum Thema Heimat: Der Moderator versucht verzweifelt, eine Diskussion in Gang zu bringen, was daran scheitert, dass sich alle, die diskutieren könnten, komplett einig sind: Heimat ist ein lächerlich rückwärts gewandtes Konzept, von dem eigentlich nur Nazis schwärmen (nein, ich übertreibe nicht, das wurde so formuliert, unwidersprochen). Das Publikum lacht und applaudiert. Man kreist munter um sich selbst. Erkenntnisgewinn null. Oder der launige Vortrag zur DSGVO, der die Errungenschaften derselben ganz wunderbar fand und alle Kritiker zu doof, dieses Wunder zu verstehen und zu würdigen. Aber alles in allem war ich wieder gerne hier. Gute Gespräche, eine schöne Laufrunde, ein Besuch in der Gemäldegalerie (Digital-Auszeit mit einer tollen Mantegna & Bellini-Ausstellung) und eine späte Currywurst haben den Berlin-Ausflug angemessen abgerundet.

3 Gedanken zu “#rp19 – re:publica Nachlese

  1. Vielen Dank für diese inspirierende Zusammenfassung. Ich merke: es reicht nicht, die re:publica online zu verfolgen. Muss nächstes Mal auch unbedingt da hin… ;-)

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