Slow Food ist mehr als man denkt. Das Noma macht dicht. Und Carmy versucht das Chaos in seiner Küche zu bändigen …
Slow Food – das ist doch diese knuffige Schnecke, die an den Fenstern mancher Restaurants hängt? Stimmt. Slow Food steht auch für Genuss, allerdings über Umwege. Die Schnecke hängt nicht an den Fenstern der „besten“ Restaurants, dafür gibt es andere Aufkleber, von Michelin oder, wenn man Volkes Stimme vertraut, von Tripadvisor. Die Schnecke zeichnet Gastronomie aus, die ihre Bezugsquellen transparent macht, gerne regional und saisonal einkauft und kocht und auf vorgefertigten Industrie-Müll (neudeutsch: Convenience), Geschmacksverstärker & Co. verzichtet. Die also mit echten Lebensmitteln richtig kocht. Eigentlich völlig skurril, dass man das mit einem Label am Fenster versehen muss, aber so ist das halt.
Damit ist Slow Food kein Verein für Premium-Küche, sondern Verfechter einer Idee, der man in einem Landgasthaus genauso folgen kann wie in der Sterneküche. Klar sind Slow Food Restaurants ein bisschen teurer als manch andere, eben weil man noch (oder wieder) richtig kocht und auf Beschleunigung verzichtet, und Zeit ist Geld, weiß man ja. Die Erfahrung zeigt jedenfalls, dass es lohnt, nach der Schnecke Ausschau zu halten. Machen wir Urlaub in unbekanntem Terrain oder sind mal neu in einer Stadt, suche ich gerne nach Slow Food Lokalen. Man findet feine Sachen, die durchs Tripadvisor-Raster fallen, und wird selten enttäuscht, so zumindest meine Erfahrung.
Allerdings hat sich Slow Food in den letzten Jahren deutlich verändert. Slow Food will „mit Genuss und Verantwortung die Zukunft unserer Ernährung sichern und das globale Ernährungssystem zu verbessern“, so ist auf der Website zu lesen. Über Genuss haben wir schon geredet, aber die Themen nach dem „und“ werden immer wichtiger. Sichtbares Zeichen dafür ist, dass der Slow Food Präsident seit letztem Jahr aus Uganda kommt und ganz andere Themen auf dem Schirm hat als dass Christian irgendwo gut essen gehen kann. Im Interview schildert Edward Mukiibi diesen Wandel:
Slow Food ist nicht mehr, was es vor 30 Jahren war. Damals traf man sich zu Dinner Clubs, um gut und teuer zu essen. Inzwischen ist die Organisation viel politischer geworden, der Vorstand jünger und diverser. Die Organisation hat sich vor allem jenseits von Europa entwickelt, außerhalb der wohlhabenden Schichten. Wir haben Tausende lokale Projekte mit Kleinbauern, Fraueninitiativen, Gemeinden, Schulen. Dabei geht es nicht um schöne Fantasiebilder, sondern um echte Verbesserungen.
Ein schönes konkretes Beispiel dafür ist das Projekt 10.000 Gärten in Afrika.
Mir gefällt diese Kombination „Genuss und Verantwortung“ nach wie vor, daher bin ich seit Jahren Fördermitglied von Slow Food. Könnt ihr auch werden, wenn ihr wollt.
***
Machen wir doch noch einen Schwenk zur Sterne-Küche: Nach der Schließung des „Noma“ in Kopenhagen hat die SZ Köchinnen und Köche gefragt, ob die Gourmet-Gastronomie ein Nachhaltigkeitsproblem habe – und damit ist vor allem soziale Nachhaltigkeit gemeint, etwa die Beschäftigung unbezahlter Praktikanten und die schlechte Behandlung von Mitarbeitern.
Zwei Antworten fand ich bemerkenswert. Zum einen die von Dalad Kambhu, Küchenchefin im Sterne-Restaurant „Kin Dee“ in Berlin, die zu Recht darauf hinweist, wer sich solche kostenlosen oder schlecht bezahlten Praktika eigentlich leisten könne:
Unsere Branche war lange auf Praktikanten oder kostenlose Arbeitskräfte angewiesen. Eines haben wir dabei vergessen zu fragen: Wie können diese kostenlosen Arbeitskräfte kostenlos sein? Wie können sie es sich leisten, umsonst oder für sehr wenig Geld zu arbeiten? Die Wahrheit ist: Stagiaires oder schlecht bezahlte Praktikanten sind in der Regel Menschen, die Zugang zu finanzieller Unterstützung haben. Wenn Sie also kostenlose Praktikanten in Ihrem Restaurant beschäftigen, helfen Sie höchstwahrscheinlich den Privilegierten, in ihrer Karriere voranzukommen. Dadurch haben sie einen größeren Vorsprung vor weniger privilegierten Menschen, die gerne lernen und alle Praktika machen würden, es sich aber nicht leisten können.
Der Hinweis ist nun wirklich nicht nur für die Gastronomie berechtigt. Viele andere Branchen haben Debatten über schlecht bezahlte Praktika hinter und teils noch vor sich. Merker: Faire Bezahlung sorgt für soziale Teilhabe und Gleichberechtigung ohne Klassismus. Und zieht vielleicht sogar die besseren Mitarbeiter an.
Zweiter Hinweis von Philip Rachinger vom Restaurant Mühltalhof in Österreich. Er weist darauf hin, dass einem die Arbeit in der Küche a la Noma, ob bezahlt oder nicht, schon liegen muss:
Als Gast bin ich großer Fan. Als Koch wollte ich dagegen aus gutem Grund nie ins Noma oder in eine ähnliche Küche. Man muss das schon mögen, morgens als Erstes drei Kilo frische Walnüsse zu schälen, eine der härtesten Tätigkeiten überhaupt, nur um am Ende eine supermilchige Walnussmilch für irgendeinen Jakobsmuschelgang hinzukriegen. Schmeckt toll, ohne Frage, aber das sind extrem aufwendige Spielereien, mir persönlich wäre das in der Küche zu monoton. Das weiß man aber vorher, wenn man als Gastkoch dorthin geht, alles davon war bekannt.
Also, meins wäre das auch nicht.
***
Restaurantkritiker Jay Rayner fügt der Noma-Kritik noch einen weiteren Aspekt hinzu, erneut aus der Abteilung Genuss und Verantwortung. Es sei ja schön und gut, wenn sich die Spitzen-Gastronomie um Nachhaltigkeit bemühe, aber ein Abendessen, das locker 500 Euro pro Person kostet, sei nun mal Reiche-Leute-Küche und ziehe reiche Leute aus aller Welt an:
In Wahrheit kann man sich noch so sehr um die Nachhaltigkeit seines Restaurants bemühen, es bleibt sinnlos, wenn die meisten Kunden in der Business Class herbeifliegen oder in Limousinen mit Chauffeur aus Manhattan anreisen, weil nur sie es sich leisten können. Der CO2-Fußabdruck der Menschen, die das Unternehmen anzieht, wird Teil seines CO2-Fußabdrucks.
***
Eine gute Gelegenheit, auf eine „Kochsendung“ hinzuweisen, wie die Altvorderen das genannt hätten, in der es auch um Genuss und Verantwortung geht, nämlich um die Verantwortung nicht wahnsinnig zu werden. „The Bear“ auf Disney Plus spielt in der sehr chaotischen Küche von Carmen „Carmy“ Berzatto, der den heruntergekommen Sandwich-Laden seiner Familie übernommen hat und versucht, ihn in einen zukunftsfähigen Betrieb zu verwandeln. Beste Unterhaltung!
Hallo, da kann ich nur zustimmen;)
Alles Gute
Beata
LikeLike