Warum die Petition von Schwarzer und Wagenknecht eine Zumutung ist

Was ist der richtige Weg für die Ukraine und die Länder, die sie unterstützen, um sich gegen Russland bestmöglich zu verteidigen und die Sicherheit für Land und Leute wieder herzustellen?

Niemand weiß es. Nach viel Zögern hat man sich für massive Waffenlieferungen entschieden, sozusagen für politische und militärische Solidarität, die klare Grenzen dort kennt, wo Bündnispartner der NATO zu unmittelbaren Kriegsbeteiligten würden. Hoffnung und Kalkül der Ukraine-Unterstützer ist es, Russland dadurch so weit wie möglich aus der Ukraine zurückzudrängen und deren territoriale Integrität und den Schutz der Menschen wiederherzustellen, die unter der russischen Besatzung bekanntlich auf grausamste Weise leiden müssen. Ob und wie umfassend dies gelingen kann, weiß ebenfalls niemand. In jedem Fall versucht man, den Krieg für Russland derart zu verteuern, dass ein Sieg und erst recht über die Ukraine hinaus gehende russische Ambitionen unmöglich werden – und dass die entsprechende Einsicht in die Realitäten Russland zu Verhandlungen zwingt.

Viel weltpolitische Unsicherheit also, in die nun ein vor Selbstgewissheit nur so strotzendes Statement platzt. Es stammt von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht und löste meiner Wahrnehmung nach wenig Zustimmung, viel Empörung, in Summe auf jeden Fall sehr viel Aufmerksamkeit aus. Beim Lesen des Statements (eine Petition, die man unterzeichnen kann) stieg mein Puls bei jeder Zeile, und ich fragte mich warum. Was spricht dagegen, für Frieden zu sein? Was spricht dagegen, auf die Risiken einer militärischen Eskalation hinzuweisen? Nichts. Warum ist diese Petition, dieses Statement dennoch eine Zumutung? Schauen wir es uns an … (Nebenbei bemerkt: Ich bin kein Militär-Experte. Aber ich kenne mich ein bisschen mit Kommunikation aus. Daher liegt darauf mein Fokus.)

Nach einem Absatz, in dem die Verfasserinnen Verständnis für das Leid in der Ukraine zeigen, folgt die zentrale Frage:

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch?

Wer sich darauf eine Antwort erhofft, wird enttäuscht. Nun hat jeder das Recht, gegen etwas zu sein, ohne zu sagen, wofür er ist. Aber für eine Petition, die die Politik verändern will, ist das doch etwas dünn. Schwarzer und Wagenknecht sind für das Ende der militärischen Solidarität, und zu einem halbwegs seriösen Statement würde gehören, auf die Risiken einer entsprechenden Politik einzugehen. Wo Russland in der Ukraine militärisch erfolgreich war, herrschten Zerstörung, Leid, Mord und Tod, und zwar insbesondere für die Zivilbevölkerung. Dazu kein Wort von den Autorinnen. Statt dessen geht es weiter mit rhetorischen Fragen:

Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges?

Rhetorische Fragen als Stilmittel erwarten keine Antwort, sie dienen der Verstärkung der eigenen Meinung. Sie sind insofern manipulativ, als sie unterstellen, die Antwort sei ohnehin klar. In diesem Fall: Niemand hat einen Plan, niemand kann ein Ziel nennen. In Wahrheit ist das Ziel der Ukraine und ihrer Unterstützer sehr klar und wurde vielfach benannt: Die Ukraine soll in ihrer territorialen Integrität und in ihren ursprünglichen Grenzen wiederhergestellt werden. Ob dazu die Krim gehört oder nicht, kann man trefflich diskutieren, tut hier aber nichts zur Sache. Die Autorinnen wollen suggerieren, dass die Allianz gegen Russland plan- und ziellos agiert und das Sterben „auf dem Schlachtfeld“ damit sinnlos ist. All das ist falsch.

Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?

Die nächste rhetorische Frage, die der Manipulation der Leser dient. Dass die entsprechende Äußerung der Außenministerin erstens unglücklich war und zweitens sofort wieder einkassiert wurde, also gerade nicht die Haltung der Bundesregierung widerspiegelt, wird natürlich verschwiegen. Man kann der Regierung viel vorwerfen, aber dass sie als Kriegstreiber und zu wenig vorsichtig und abwägend agiert, sicher nicht. Aus Tausenden von Zitaten das eine rauszugreifen, das die eigene Agenda unterstützt, ist mindestens fragwürdig. Doch Schwarzer und Wagenknecht gehen noch einen Schritt weiter:

Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?

Wieder „nur“ eine Frage. Man wird ja noch fragen dürfen … In Wahrheit eine Gemeinheit in zwei Sätzen. Eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Auf einmal ist die Ukraine der Aggressor, der Kriegstreiber, der nicht genug kriegen kann, der einen Sieg gegen Russland anstrebt. Letzteres ist bewusst doppeldeutig: Will die Ukraine mit den vielen Waffen etwa in Russland einmarschieren? Nach Moskau vorrücken? Um „auf ganzer Linie“ zu siegen? Man wird ja noch fragen dürfen … Es folgt das Spiel mit der Angst:

Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat.

Ja, das Risiko einer Eskalation besteht. Aber auch hier gehört zur Wahrheit dazu, dass Russland bislang trotz aller Drohungen jede Gelegenheit zur atomaren Eskalation hat verstreichen lassen. Dann wieder eine rhetorische Frage verbunden mit einer raunenden Andeutung aus der Abteilung „Wir müssen aus der Geschichte lernen“. Nur was und woran genau, erfahren wir wieder nicht. Auch hier wird wieder manipuliert, denn im Leser verfestigt sich der Gedanke, dass die beiden Weltkriege ähnlich entstanden sind und wir uns daher auf schnurgeradem Weg in einen dritten Weltkrieg befinden. Das ist historisch so grotesk falsch, dass einem schier die Worte fehlen.

Es folgt einer der wenigen Sätze in der Petition, den ich auch unterschreiben würde:

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. 

Allerdings gibt es auch kaum jemanden, der etwas anderes behauptet. Am Ende dieses Krieges werden hoffentlich Verhandlungen stehen, bei denen voraussichtlich keine der Seiten Maximalforderungen durchsetzen kann. Die Ukraine durch den Entzug militärischer Solidarität jetzt in Verhandlungen zu zwingen, würde gerade nicht bei der Kompromissschließung „auf beiden Seiten“ helfen. Und dass mit Russland die zweite Seite bislang überhaupt nicht zu Verhandlungen bereit ist, wird ebenfalls verschwiegen.

Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!

Die Autorinnen graben weiter in der rhetorischen Trickkiste. So wird aus einer Extremposition, der bislang nur der sehr linke und sehr rechte Rand des politischen Spektrums zustimmt, „Volkes Stimme“. Das diese Stimme von „denen da oben“ nicht gehört wird, ist übrigens ein Klassiker des Rechtspopulismus, wobei rechts und links hier ja kaum noch zu unterscheiden sind.

Apropos zuhören: Schwarzer und Wagenknecht haben viel dafür getan, dass man sie hört, ihre Kampagne, um Aufmerksamkeit auf diese Petition zu lenken, war recht erfolgreich. Mit welcher Bildwelt sie das getan haben, darf man ebenfalls kritisieren. Sie inszenieren sich einerseits staatstragend, veröffentlichen andererseits ein Video, das vor guter Laune nur so sprüht. Wie dem auch sei, die Hälfte der Bevölkerung, für die sie gerne reden würden, konnten sie bislang nicht aktivieren: Die Petition wurde von knapp 0,4 Prozent der Deutschen unterzeichnet.

Hier drüben gibt‘s ganz ähnliche Gedanken.

14 Gedanken zu “Warum die Petition von Schwarzer und Wagenknecht eine Zumutung ist

  1. Das ist übrigens exakt das, was Sascha Lobo als Lumpen-Pazifismus bezeichnet: „ Es handelt sich dabei um eine zutiefst egozentrische Ideologie, die den eigenen Befindlichkeitsstolz über das Leid anderer Menschen stellt.“ – https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/ukraine-krieg-der-deutsche-lumpen-pazifismus-kolumne-a-77ea2788-e80f-4a51-838f-591843da8356?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph

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    • In höchstem Masse manipulativ wurde diese Petition formuliert. Lumpen-Pazifismus mit egozentrischer Selbstoptimierungsstrategie. Verkauft da jemand Bücher?
      Ich bin erschüttert.
      Vielen Dank für die treffende Analyse.

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  2. Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, wie Menschen, die sich im linken politischen Spektrum verorten, Menschen auffordern können, sich dem Recht des Stärkeren zu beugen, ohne sich in Grund und Boden zu schämen.

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  3. Alice Schwarzer, die nicht einmal einen Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung wegverhandeln kann, und Sahra Wagenknecht, die sich nicht einmal in die Führungsriege ihrer eigenen Partei und Fraktion verhandeln kann, glauben also, mit nicht näher bezeichneten „Verhandlungen“ einen Angriffskrieg stoppen zu können.

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  4. Eine Lehre aus der Geschichte wäre auch, dass die Molotow-Ribbentrop-Strategie, also die Idee, dass Deutschland und Russland sich nur einigen müssen, immer auf Kosten der Völker in Ost- und Mitteleuropa geht.

    Eine andere Lehre aus der Geschichte, insbesondere aus unserer deutschen, wäre, dass militaristisch-aggressive Staaten manchmal in Grund und Boden besiegt werden müssen, weil sie sonst nicht daraus lernen.

    Geschichte bietet keinen Handlungsleitfaden. Aber gerade in Deutschland, wo wir jedes Jahr am 8. Mai den Tag der bedingungslosen Kapitulation würdigen, apodiktisch zu behaupten, dass Kriege „nur am Verhandlungstisch beendet“ werden, wie man immer wieder hört, das ist echt zum Verzweifeln.

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  5. Wenn hier was ’ne Zumutung ist, dann is es Geblogge wie Deines. Sorry
    für die frontale Annahme & Blutgrätsche. Du gehörst de facto in die
    Partei der Kriegstreiber und Eskalationisten, die die offene Diskussion
    scheuen, da beißt die Maus keen Faden ab. Dein Weg führt nach Vietnam,
    das ist lange bekannt. Und du wirst lachen, bei den Deutschen sind
    Scharfmacher-Positionen wie Deine eigentlich in der Minderheit. Melde
    Dich doch  freiwillig als Kriegsblogger in den Donbass & berichte, was
    geschieht, statt Propaganda zu machen!

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  6. Es ist ausdrücklich nicht Aufgabe der Petenten, auf alle selbst gestellten Fragen umfassende Antworten zu geben. Es geht um Frieden, der sich nicht herbeibomben läßt, sondern durch Verhandlungen geschaffen werden soll. Darin hat unsere Regierung auf ganzer Linie komplett und absichtlich versagt. Die Petition ist keineswegs eine Zumutung. Die Rhetorik der Petition kann man hinterfragen, allerdings wäre dann bei gleichem Maßstab die Rhetorik der Bundesregierung um Größenordnungen stärker zu hinterfragen. Kriegstreiberei gehört ohne Ausnahme generell hinterfragt und mit einer Petition ebendiese zu stoppen, indem Waffenlieferungen eingestellt werden, ist keine Zumutung, sondern humanistischer Imperativ. Insofern emfinde ich diesen Beitrag im Vergleich zur Petition als die mit Abstand größere Zumutung. Ich lese diesen Blog seit vielen Jahren, bislang still. Dieser Beitrag propagiert allerdings einen Standpunkt, dem ich nicht nur nicht folgen will und kann, sondern hier ist Widerspruch notwendig.

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    • Gut dass wir uns hier austauschen können, denn was diejenigen, die Waffenlieferungen ablehnen, ja immer schuldig bleiben, ist eine Aussage, wie wir die Ukraine dann unterstützen können. Also bitte, hilf mir: Was sind Maßnahmen im Rahmen eines humanistischen Imperativs, damit in naher Zukunft keine Ukrainer mehr tot gebombt, ermordet, vergewaltigt und ihrer Freiheiten beraubt werden? Mit welchen Maßnahmen lässt sich Russland überzeugen, sich von ukrainischem Territorium zurückzuziehen und bitte auch keine anderen Nachbarn in ähnlicher Weise zu überfallen?

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      • Beide Seiten müssen miteinander reden, sprich verhandeln. Wenn es nicht direkt geht, dann mit Vermittlern, auf neutralem Gebiet. Zuerst für einen Waffenstillstand, danach für eine tragfähige Lösung.
        Einseitig einer Partei Waffen zu liefern, feuert die Gewalt weiter an, und das lehne ich ab. Es besteht keine Bringschuld eines besseren Handlungsvorschlags, wenn man eine bestimmte Handliung ablehnt. Besser ist hier bereits, die Handlung zu unterlassen, also keine Waffen zu liefern. Die Spirale der Gewalt wird nicht durch noch mehr Gewalt und stärkere Waffen beendet, sondern indem man die Kampfhandlungen einstellt. Mehr Waffen, heißt mehr Gewalt. Militärische Ertüchtigung einer Seite wird keinen Frieden schaffen. Notwendig sind erkennbar intensive Bemühungen auf allen diplomatischen Kanälen, um mögliche Wege aus diesem Zustand aufzuzeigen, ohne daß eine der beiden Seiten dabei das Gesicht verliert. Davon bemerke ich nichts und betrachte dies als Totalversagen der deutschen Außenpolitik.

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      • So wenig Zweifel? So wenig Fragezeichen? So viel scheinbare Apodiktik? Jeder Satz eine Gewissheit, bei der ich mich frage, woher du sie nimmst. Und jede deiner Aussagen ist mindestens fragwürdig und reduziert die Komplexität. „Mehr Waffen heißt mehr Gewalt“? Mag sein, aber mehr Waffen heißt auch: eine Möglichkeit für die Ukraine, sich zu verteidigen. Keine Waffen für die Ukraine heißt im Umkehrschluss vor allem nicht weniger Gewalt, sondern weiteres gewaltsames russisches Vorrücken. Wie kann man das ignorieren angesichts des Kriegsverlaufs vor allem in den ersten Monaten? Mehr Waffen heißt auch mehr Schutz, oder hältst du die Lieferung von Luftabwehr, durch die ein Großteil der russischen Raketen und Drohnen inzwischen abgeschossen werden kann, durch die also das Leben ukrainischer Zivilisten geschützt wird, auch für einen Teil der „Spirale der Gewalt“? Und Verhandlungen: Russland hat bislang wenig Interesse an Verhandlungen gezeigt, Versuche gab es. Ist ja auch verständlich, mit Verhandlungen lässt sich ein Nachbar nur schwer vernichten. Denn Russland hat Interesse an der „Auslöschung der Ukraine“, die belastbaren Quellen für dieses explizite Kriegsziel Russlands findest du spielend, wenn du nur willst.

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  7. Danke für‘s Demontieren. Ich habe den Originalbeitrag nicht gelesen, weil ich mir von den beiden Damen auch nicht sonderlich viel Lösung erwartet habe. Da spare ich mir dann die Emotionen

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