Kommunikation im Hype Cycle

Für unser jüngstes Digicamp habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie sich zentrale und dezentrale Kommunikation in den letzten Jahren entwickelt haben und wo wir da gerade stehen …

Mit „zentral“ ist die tradierte, Gatekeeper-gesteuerte Sender-Empfänger-Konstruktion gemeint, etwa im klassischen Journalismus oder in Einheiten für Unternehmenskommunikation und Pressearbeit zu finden, wie ich eine leite. Mit „dezentral“ sind netzwerkartige, hierarchiefreie Dialog- und Austauschformate gemeint. (Alles stark vereinfacht und etwas holzschnittartig, ich weiß.)

Beim Nachdenken übers Thema bin ich einmal mehr beim bekannten Hype Cycle von Gartner als Framework gelandet. Der setzt ja, ihr erinnert euch, mit einer technologischen Veränderung ein, führt zu einem Gipfel der überzogenen Erwartungen, von dort in ein Tal der Tränen, von dem aus man sich idealerweise auf ein Plateau der Produktivität entwickelt. Durch dieses Modell können wir nun gedanklich verschiedene Kommunikationsarten und -disziplinen schleusen und mal sehen, wo uns das hinführt. Dabei ist wichtig, dass der Cycle über sehr unterschiedlich lange Zeiträume durchlaufen werden kann und man auf verschiedenen Flughöhen sicher zu verschiedenen Ergebnissen kommt. 

Runde 1: die sozialen und klassischen Medien

Angestoßen durch eine technologische Disruption, die das „Web 2.0“ hervorgebracht hat, ging es von einer bedeutungslosen Spielwiese („Nerd-Kram“, geht wieder vorbei) schnell in Gipfelhöhen überzogener Erwartungen. Viele, ich eingeschlossen, waren viel zu optimistisch, was den Nutzen und die Vorteile dieser Form der Kommunikation angingen. Grandiose Möglichkeiten für gleichberechtigte Teilhabe an Kommunikation, für Authentizität und die Stärkung der Demokratie glaubten wir zu erkennen. Entsprechend geringschätzig gingen wir mit „alten“ Gatekeepern um, vom Pressesprecher bis zum Journalisten – wer brauchte die schon noch? 

Von dort ging es steil bergab ins Tal der Tränen, wo wir uns heute befinden. Die in Social Media gesteckten Hoffnungen liegen in Trümmern. Die Plattformen werden von Milliardenkonzernen beherrscht, Fake News, Streit und Hass sind an der Tagesordnung. Der Mensch ist dem Menschen in sozialen Medien ein Wolf, den Rest erledigen Rudel von Hyänen aka Bots. Kein Zufall, dass stabiler, verlässlicher Journalismus während Trumps grotesker Präsidentschaft neuen Zulauf erhielt und Expertenwissen in Form von Wissenschaftskommunikation während Corona gefragt war wie nie. Der Weg zu einem Plateau der Produktivität? Für mich momentan nicht erkennbar. Seien wir gespannt, wo die Reise noch hingeht.

Runde 2: externe Unternehmenskommunikation

Unternehmen waren lange zögerlich, was dezentrale Kommunikation anging. Leuchtturmbeispiele wie das Daimler Blog wurden auf Kongressen herumgereicht und diskutiert, eben weil sie lange nicht selbstverständlich waren. Auch hier gab es überzogene Erwartungen, in Bezug auf zauberhafte organische Reichweiten und Kommunikation mit Kunden auf Augenhöhe, weil Märkte ja Gespräche sind. Das wurde schnell einkassiert von Plattformbetreibern wie Facebook, die Reichweite boten, aber nur gegen Geld. Die Verantwortung für Social Media wanderte von der Unternehmenskommunikation ins Marketing, und spätestens seit Influencer auf Instagram und TikTok ihr Unwesen treiben, ist es vorbei mit der Authentizität. 

Dennoch würde ich zumindest für meinen Arbeitgeber in Anspruch nehmen, ein Plateau der Produktivität erreicht zu haben. Social Media sind komplett und selbstverständlich in den Medienmix integriert und werden im Newsroom ebenso thematisch gesteuert wie Kundenzeitschrift oder Pressearbeit. Eine intensiv genutzte, große Community für Kunden steht gleichberechtigt neben der Corporate Website, beide ergänzen sich gegenseitig. Zentral festgelegte Botschaften zu senden gehört ebenso zum Geschäft wie Menschen an digitalen Kontaktpunkten zuzuhören und mit ihnen in den Dialog zu kommen; nicht nur als Marke, sondern auch mit über 300 Mitarbeitern als Botschafter des Unternehmens, die zu befähigen heute auch Aufgabe der Unternehmenskommunikation ist.

Runde 3: interne Unternehmenskommunikation

Innovationen erreichen die interne Kommunikation fast immer mit zeitlichem Verzug. So haben Unternehmen interne soziale Netzwerke erst aufgebaut, als sie extern längst etabliert waren. Auch heute noch gibt es vielerorts klassische Intranets ohne jegliche Interaktion. Bei geringerer Veränderungsdynamik fällt auch der Hype Cycle in der internen Kommunikation flacher aus, er ist aber dennoch erkennbar, zumindest wenn ich mir die Entwicklungen in meinem Zuständigkeitsbereich bei DATEV anschaue. 

Euphorie gab es etwa bei der Einführung von „Nachgefragt“ vor vielen Jahren, ein digitales Tool, über das die Mitarbeiter Fragen an den Vorstand stellen und priorisieren konnten, um dann Antworten zu erhalten. Das Tool wurde intensiv genutzt, nach einigen Jahren aber auch eingestellt, nicht zuletzt da anonymes Gemaule die Nerven aller Beteiligten strapazierte. Das Tal der Tränen war somit eher ein Tal der Desillusion, aber ein Tal war es schon, zumal Stakeholder im Haus erst mühsam überzeugt werden mussten, dass die Einführung von Yammer (heute Viva Engage) eine gute Idee ist. Tempi passati! Heute haben wir Viva Engage als Plattform dezentraler Kommunikation sehr selbstverständlich neben einem klassisch-zentral gesteuerten Intranet in schöner Eintracht im Einsatz. Wobei auch diese Intranet-Zuschreibung nicht mehr stimmt: Große Teile des Intranets werden dezentral bestückt und aktuell gehalten, die UK bündelt wichtige Themen an prominenter Stelle und sorgt durch Kuratierung für Orientierung im dichter werdenden Info-Dschungel.

Kommunikation im Einklang auf dem Plateau der Produktivität

Gleiches könnte man auch nochmal fürs Thema Veranstaltungen im Unternehmenskontext durchexerzieren, aber ich möchte nicht langweilen. Auch hier haben wir heute eine produktive und sinnvolle Mischung aus interaktiven Formaten wie dem Digicamp oder unserem wDw-Format, mit dem jeder mit jedem einfach und schnell Wissen teilen kann. Es gibt aber, nach Überwinden des Corona-Schocks, auch wieder gute „alte“ Vor-Ort-Veranstaltungen wie unsere Regional-Infotage mit Vorträgen und Networking, die gut funktionieren und für Kunden offenbar attraktiv sind. Und auch etablierte Veranstaltungen haben sich verändert, Sessions sind heute Standard, Townhall-Meetings werden hierarchiefrei von den Mitarbeitern gestaltet und bei der Management-Info folgt auf den Impulsvortrag des CEO unter anderem eine Fishbowl-Runde.

Unabhängig davon, wie zentrale und dezentrale Kommunikation derzeit bei uns oder euch justiert sind: Generell wage ich die These, dass bei allen Veränderungen und bei allem Ringen um Tradition oder Erneuerung sich das Plateau der Produktivität in unserem Kontext gerade dadurch auszeichnet, dass beide, zentrale und dezentrale Kommunikation im Einklang sind. Weder wird das eine als altmodisch abgehakt noch das andere zum Heilsbringer hochgejubelt, weder fordert jemand, „diesen neumodischen Unsinn jetzt mal zu lassen“ noch glaubt irgendwer ernsthaft, dass sich Kommunikation heute von Unternehmen kontrollieren ließe. 

tl;dr

Nach dem Durchlaufen stürmischer Entwicklungsphasen mit Euphorie und Depression ist Kommunikation dann besonders produktiv, wenn zentrale und dezentrale Kommunikation im Einklang sind und sich gegenseitig ergänzen.

Abbildung: Idotter, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons


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6 Gedanken zu “Kommunikation im Hype Cycle

  1. Dieser Ausführung ist nichts hinzuzufügen. Sie entspricht auch meinen Erfahrungen. Dreh und Angelpunkt dabei ist jedoch die Einstellung und Vorstellung der Geschäftsführung oder des Vorstandes.

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  2. Hallo Chris,
    ich teile vieler Deiner Beobachtungen, von der Web 2.0-Begeisterung bis hin zur Frustration über den Zustand der Plattformen heute.

    In meinem speziellen Falle kommt noch die Frustration hinzu, dass zentrale Social Media-Stellen irgendwann glaubten, alle externen Aktivitäten streng kontrollieren und zentralisiert führen zu müssen. Durch glatt gebügelte Kommunikation ist dadurch viel der Glaubwürdigkeit im Social Web verloren gegangen. Besonders „pervers“ finde ich die Hurra- und Wir-sind-die-Größten-Firmenpostings auf LinkedIn. Und da wird sich noch gefeiert, wenn die eigene Blase zum x-ten Mal das nächste eigene Firmenevent liked.

    Intern beobachte ich derzeit, dass die Kolleginnen und Kollegen durchaus einen Bedarf nach einem Gemeinsamkeit haben und gerne am Lagerfeuer zusammen sitzen, um zu erfahren, wie es so im Unternehmen steht.

    Events: Ich gebe zu, dass ich die guten alten Veranstaltungen und Messen, ja auch eine CEBIT oder DMSExpo vermisse, aber da ist sicher viel blauäugige Nostalgie dabei. Und natürlich hat sich „meine“ Zielgruppe auch durch den aktuellen Arbeitgeber verändert.

    Vielleicht sollten wir mal in einem Podcast über die Lage der internen und externen Kommunikation sprechen?

    Viele Grüße
    Stefan

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    • Ja, LinkedIn … schwierig. Sehr viel Bestätigung des eigenen Standpunkts, sehr viel interne Lagerfeuer-Romantik, die nach außen getragen wird, das stimmt. Interessanterweise sind die Inhalte und Diskussionen im internen Netzwerk deutlich vielfältiger, weniger ich-bezogen, weniger langweilig-plakativ für die Schauseite idealisiert. Da kann man / kann ich mehr lernen. Und sprechen: immer gern.

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  3. Gerade für Runde 3 (interne Unternehmenskommunikation) da wünsche ich mir doch etwas mehr „Ordnung“ und ein Bewusstsein, welches Tool/Medium eigentlich welchen Zweck hat. Da werden Botschaften „von oben“ mal „geyammert“, „gemailt“, „gepodcastet“, per Teams, News-Ticker oder Video-Botschaft verteilt und das gilt es dann im besten Falle auch noch zu konsumieren … oder ignorieren

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    • Ja, da braucht es Orientierung. Zum Beispiel: Intranet-Startseite mit stabilen Informationen im Sinne von Nachrichten oder Einordnung, idealerweise in Rubriken, die deutlich machen, was man wissen muss und was nicht. Und Viva Engage (Ex-Yammer) als „Begleitmusik“ und Austauschplattform.

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