Schwerstarbeit und Diskurs

Im April haben wir einiges gelernt: über Gerüstbauer, Widerstände gegen Balkonkraftwerke, den Bekenntniszwang in sozialen Medien, das alte Japan zu Shogun-Zeiten und was man so mit Spargel anstellen kann …

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Unser Haus wird einmal komplett von außen renoviert, sprich vor allem die Fassade gestrichen. Dazu wurde natürlich im Vorfeld im April ein Gerüst aufgebaut, und zwar nicht nur um unser Haus, sondern gleich um fast alle Häuser der Reihe, weil mehrere Nachbarn dieselbe Idee hatten und wir die Arbeiten koordinierten. Bei der Gelegenheit wurde mir einmal mehr klar, dass so ein Gerüst ein komplexes Gebilde ist. Und dass wir – auf der Metaebene – gut daran tun, vermeintlich einfache Dinge genauer anzuschauen, bevor wir sie für einfach halten.

Tatsächlich weiß ich noch, wie überrascht ich war, dass „Gerüstbauer“ ein Ausbildungsberuf ist, was mir beim Besuch einer Ausbildungsmesse mit Kind Nummer 3 vor ein paar Jahren erstmals bewusst wurde. Drei Jahre Ausbildung, um ein paar Stangen zusammenzuschrauben und Bretter drauf zu legen? Warum? Reicht da nicht, wenn man früher mit Lego Technik gespielt hat? 

Aber die Dinge sind, wie so oft im Leben, komplizierter als sie auf den ersten Blick aussehen. So haben wir zum Beispiel ein kleines Glasdach über unserer Eingangstür, das man gerüstmäßig umbauen muss, man kann es ja schlecht abreißen. Dasselbe gilt für den Fahrradschuppen des Nachbarn, der mit einer Art Gerüstbrücke überbaut wurde. Das alles sind Konstruktionen an denen ich komplett gescheitert wäre. Und schließlich müssen Gerüstbauer ja nicht nur ein paar Reihenhäuser einrüsten, was für sie wahrscheinlich Schwierigkeitslevel 1 von 10 ist, sondern ab und zu auch so was wie den Kölner Dom. 

Bei der Gelegenheit haben wir auch gelernt, dass Gerüstbau natürlich Schwerstarbeit ist, weshalb die Gerüstbauer (zumindest unsere) alle aussehen wie die Bauarbeiter-Kumpel von Arnold Schwarzenegger in Total Recall. Und dass sie ein grundsätzlich anderes Verständnis davon haben, wie man mit frisch angelegten Beeten umgehen sollte, als meine Frau.

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Ein interessantes, bezeichnendes Erlebnis bei einer Eigentümerversammlung (diesmal: Mehrfamilienhaus mit 18 Wohnungen). Die Versammlung plätscherte vor sich hin bis zu Tagesordnungspunkt 9: Balkonkraftwerke. Da kam auf einmal Bewegung in die Versammlung. Der Verwalter erklärte, was das ist (einfach zu installierende Mini-Solaranlagen am Balkon bis 800 Watt), dass es den Wunsch einer Partei gebe, eine einzurichten, und warum die Eigentümer darüber abstimmen müssen. Großes Bohei. Ein älterer Herr las eine vorbereitete Erklärung vor, warum das eine sehr schlechte Idee sei. Kurzfassung: Hässlich, verschandelt die Fassade! (Nun ja wie sag ich’s, ohne jemandem zu nahe zu treten: Wir reden hier nicht über Schloss Versailles, sondern über ein 08/15 Mehrfamilienhaus …) Und gefährlich, kann runterfallen! (Die Zahl der Opfer herabgefallener Solarpaneele ist bekanntlich Legion …) Ein anderer sprang ihm bei: Sinnlos, bringt nichts! (Klar, warum sollte es etwas bringen, Strom klimafreundlich von der Sonne produzieren zu lassen …) Jawoll, so ist das, auf keinen Fall, wir sind dagegen …!

Es kam zur Abstimmung. Ergebnis: Eine knappe Mehrheit war für die Balkonkraftwerke. Mehrere Anwesende hatten sich offenbar ihren Teil gedacht, aber keine Lust gehabt in eine ohnehin sinnlose Diskussion einzusteigen. Die Gegner waren laut und dominierten den Diskurs, im Endergebnis war das aber egal, und morgen interessiert‘s schon niemanden mehr.

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Zweimal waren wir im April als Briefträger unterwegs, in Regen und Eiseskälte ebenso wie in strahlendem Sonnenschein. Und wir haben dabei einiges gelernt. Zum Beispiel dass die meisten Menschen freundlich sind, wenn man ihnen Post bringt. An den Briefkästen dieser Stadt: keine hitzigen Debatten, keine Beleidigungen, kein Beleidigtsein, keine Wut-Emojis. Die bleiben den einschlägigen Gruppen auf Facebook vorbehalten. Statt dessen: sonnige Stimmung, man bedankt sich für die Infos, „Ja, lese ich mir durch.“ Ein paar Mal die Frage: „Ist das für oder gegen die StUB?“ Die Reaktion „Nee, brauche ich nicht, ich bin eh dafür!“ war dann deutlich in der Überzahl.

Worum es geht: Erlangen möchte eine Straßenbahn bauen, die Stadt-Umland-Bahn oder StUB, die Nürnberg, Erlangen und Herzogenaurach schnell, emissionsfrei und klimafreundlich verbinden soll. Viele Parteien, Organisationen und Arbeitgeber sind dafür. Manche sind dagegen, etwa die lokale CSU, die FDP, natürlich die AfD und ein ökologisch getarnter Innovations-Verhinderungs-Verein namens „Heimat Erhalten“.

Wie dem auch sei: Wir haben jetzt mal rund 1.000 Haushalte mit Infos versorgt. Mögen die Bürger am 9. Juni weise entscheiden.

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Gehört

Sternstunde Philosophie: Eva Menasse – Wider den Bekenntniszwang bei Spotify, YouTube oder anderswo. Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse äußert sich wieder einmal sehr klug über die Probleme, die soziale Medien mit sich bringen, und warum im gesellschaftlichen Diskurs derzeit einiges schief läuft. Sich ständig auf eine Seite schlagen und zu irgendetwas bekennen zu müssen ist ebenso wenig hilfreich wie ständig praktizierte Symbolpolitik, die Likes produziert, aber sonst gar nichts (und schon gar nicht irgendetwas ändert). Dass unliebsame Meinungen und Positionen, die nicht den eigenen moralischen Ansprüchen genügen, aus Debatten gleich ganz verbannt werden sollen, passt wahnsinnig schlecht zu einer Demokratie. Wo ist sie hin, die Haltung, die in diesem Satz zum Ausdruck kommt, den man fälschlich Voltaire zuschreibt: „Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Dann noch ein Schlenker zur Kunstfreiheit, und fertig ist eine sehr hörenswerte Sendung.

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Gesehen

The Equalizer 3 auf Netflix. Es macht einfach Spaß, Denzel Washington dabei zuzusehen, wie er sehr böse Verbrecher um die Ecke bringt. Auch zum dritten Mal. Und diesmal tut er das auf Sizilien, in Neapel und an der Amalfi-Küste. Ganz ehrlich, da könnt ihr auch eine Verfilmung des örtlichen Telefonbuchs spielen lassen, würde ich mir auch anschauen. 

Shogun auf Disney+. Absolut jeder in meinem Alter denkt bei Shogun an die Serie mit Richard Chamberlain aus den 80er Jahren. Ob die gut war? Keine Ahnung! Als Kind hat sie mich schwer beeindruckt, aber hey, ich war ein Kind und es waren die 80er. Wie dem auch sei: Sehr schön, dass die Geschichte um Fürst Toranaga und den Engländer John Blackthorne, der auf Japan strandet, nochmal neu erzählt wird. „Ein großes, ernstes Epos“, schreibt die SZ zu Recht. Frei von jeder kolonialen Überheblichkeit: Hier stolpert der Westler in ein Land, das so schön, kompliziert und grausam ist, dass er nur demütig versuchen kann zu begreifen, was vor sich geht – und der Zuschauer mit ihm. Historische Genauigkeit, eine grandiose Ausstattung und eine der melancholischsten weiblichen Hauptfiguren der Seriengeschichte. Ich hab‘s von Anfang bis Ende geliebt.

3 Body Problem auf Netflix. Alles, was ich zu dieser Serie sagen könnte, wäre ein Spoiler. Also sage ich lieber (fast) nichts. Nur so viel: Verfilmung der Trisolaris-Trilogie, die sehr gut sein soll (die ich aber noch nicht gelesen habe). Schön verwickelte Handlung, die Aufmerksamkeit erfordert, mag ich. Aufwändig produziert, mag ich auch. Handlung nicht abgeschlossen, wir brauchen zwingend eine zweite Staffel. Mag ich eigentlich nicht so, aber bei Dune habe ich ja auch nicht gemeckert, dass es nach Teil 1 weitergeht, sondern mich sehr darauf gefreut.

From auf Amazon Prime bzw. Paramount+. Eine Serie zwischen Horror und Mystery. Eine Familie landet im Hinterland der USA in einer Siedlung, aus der sie nicht mehr wegkommt, weil alle Wege immer wieder dorthin zurück führen. Tags versuchen die Bewohner ein halbwegs normales Leben zu führen, doch nachts müssen sie sich verbarrikadieren, denn da kommen Monster … Den Horror fand selbst ich ein bisschen gruselig (und ich bin da ziemlich robust), also gelungen. Der Mystery-Part ist erst ganz vielversprechend, doch dann hatte ich starke Déjà-vus: Geheimnisse werden aufgebaut und man ahnt, dass sie nie clever gelöst werden können. Die Musik. Die Hauptfigur. Das alles erinnert verflixt an Lost. Das war eine tolle, aber auch schwierige Serie: guter Spannungsaufbau, schlechte Auflösung. Wie dem auch sei: Die erste Staffel From war unterhaltsam (aber Vorsicht: auch echt blutig). 

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Gekocht

Quiche mit grünem Spargel. Und wieder mal sind die einfachen Dinge die guten. Teig kneten (120 Gramm kalte Butter in Stücken, 250 Gramm Mehl, 1 TL Salz, 1 Ei, 2 EL Wasser), in Klarsichtfolie einwickeln und ein Stündchen in den Kühlschrank legen. Unterdessen 500 Gramm (oder gerne etwas mehr) grünen Spargel in Stücke schneiden und drei Minuten blanchieren. 250 Gramm Sauerrahm, 4 Eier, 150 Gramm geriebenen Käse, Salz, Pfeffer und geriebene Muskatnuss mischen. Dann den Teig ausrollen und eine gebutterte Tarte-Form damit auslegen. Mit einer Gabel Löcher in den Boden stechen und 10 Minuten im vorgeheizten Ofen bei 180 Grad backen. Rausnehmen, Spargel darin verteilen, Sauerrahm-Mischung drauf, schön verteilen und nochmal 20 Minuten in den Ofen. Schmeckt sehr gut.


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Ein Gedanke zu “Schwerstarbeit und Diskurs

  1. Und ewig grüßt … Auch bei uns steht hoffentlich im Juni das Gerüst. Nachdem die alte Hausverwaltung ewig geschlampt hat, haben wir es jetzt mit der neuen Hausverwaltung durchgezogen. Dach, Dachrinnen und Fassade müssen erneuert werden. Das wird nicht billig …

    Und auch bei uns stand das Thema PV-Anlage auf der Agenda. Derzeit bleiben wohl nur wir über, die eine PV-Anlage (in Kombination mit der Anschaffung eines E-Autos) noch ernsthaft überdenken. Alle anderen scheinen unterdessen wegen der Kosten und der „Überproduktion“ – sie können nur einen Bruchteil des Stroms verbauchen – abzuspringen. Ich muss es nochmals durchkalkuieren und dann entscheiden.

    Schöne Grße nach Franken

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