Beeindruckend und bezaubernd: Sizilien, der Norden

Zwei Wochen lang umrunden wir Sizilien. Nach der ersten Woche im Süden geht es nun nach Trapani, Erice, Palermo, Monreale, Cefalù, Taormina, Castelmolo und zum Ätna.

Wir starten in den Nordteil Siziliens mit einer ersten größeren Wanderung, und zwar im „Riserva Naturale orientata dello Zingaro“ an der nordwestlichen Spitze der Insel. Wie‘s der Zufall will, ist hier bei unserer Ankunft ein großer Aufmarsch von Aktivisten. Ich frage einen, was los ist, und er erklärt es mir: An diesem Tag vor 44 Jahren gab es hier einen Protestmarsch vieler Bürger gegen die Pläne der Regierung, eine Küstenstraßen in die Landschaft zu bauen. Der Protest war erfolgreich, die Straße wurde nie gebaut und statt dessen ein 1.600 Hektar großes Naturschutzgebiet eingerichtet. Seitdem wird der Marsch jährlich wiederholt, um daran zu erinnern. Zu Recht, wie ich finde, denn das Sizilien, das wir bislang gesehen haben, hatte mit Umweltschutz nicht viel am Hut. Die Aktivisten hatten wir dann schnell hinter uns gelassen, die Touristen ebenfalls – mit dem ältesten Anti-Touristen-Trick der Welt: bergauf gehen und Höhenmeter gewinnen statt unten flach am Meer spazieren. So hatten wir eine sehr schöne, sehr einsame Runde durch die unberührte und vor allem unbefahrene Natur. Die sonst sehr heiße Sonne hatte ein Einsehen, es zogen Wolken auf und wurde sogar stürmisch. Kein Grund, sich nicht auf dem Rückweg in einer der traumhaften Buchten am Meer abzukühlen.

Anschließend hielten wir nach vielen Serpentinen noch im Bergdorf Erice, schlenderten durch die Gassen, tranken Spremuta d‘arancia, und machten uns dann müde und zufrieden auf den Heimweg nach Marsala.

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Abschied aus Marsala, auf in die Hauptstadt! Auf dem Weg ein Stop bei den Salinen an der Westküste zwischen Marsala und Trappani, wo wir gestern schon kurz gehalten hatten. Hier wird seit dem Mittelalter Salz gewonnen, indem man Meerwasser in flachen Becken verdunsten lässt und anschließend die Salzschicht einsammelt. Die omnipräsenten Windmühlen dienten zum Wasserpumpen und Salzmahlen gleichermaßen.

Das Wetter wurde auf der Weiterfahrt nach Palermo immer schlechter, weshalb wir auf die Ausgrabungen von Segesta im strömenden Regen nur einen Blick aus der Ferne geworfen haben. In Palermo ließ der Regen exakt dann nach, als wir nach zehnminütigem Fußmarsch schön durchnässt beim Hotel ankamen. Ein Wort noch zum Thema Parken in Palermo, weil einen die Reiseführer dabei schamlos anlügen. Dort heißt es regelmäßig, es gebe keine kostenlosen Parkplätze, doch das ist Unsinn. Hier also einmal die Merkregel, die, glaube ich, für ganz Italien gilt: Parkplatz mit blauen Linien = kostenpflichtig; gelbe Linien = reserviert, zum Beispiel für Anwohner; weiße Linien = kostenlos. Wir haben (an einem Sonntagnachmittag) locker Letzteres gefunden.

Nachmittags verschwanden die Wolken, die Sonne kam raus und wir hatten ein paar schöne Stunden in Palermo. Halb Sizilien schlenderte an diesem Sonntag durch die Straßen der Stadt. Wir sahen Kirchen und Kreuzgänge und Gärten (dazu gleich mehr) und die Dächer Palermos von einer Rooftop Bar aus …

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Palermo also. Ein bisschen wie Rom im Kleinen: laut, quirlig und vollgestopft mit phantastischer Kultur. Unseren ersten Eindruck prägt die Kirche Santa Caterina d‘Alessandria. Muss man nicht kennen, es gibt viel berühmtere Kirchen hier. Aber wir schlenderten daran vorbei und sagten: Ach, lass uns mal reinschauen. Drinnen: üppiger Barock; ein zauberhafter Kreuzgang; und eine Dachterrasse mit Ausblicken zum Verlieben. Davor die Fontana Pretoria (in ristauro, daher ohne Wasser), daneben die Chiesa di San Cataldo mit ihren drei roten Kuppeln, eine schlichte normannische Schönheit aus dem 12. Jahrhundert, und die Chiesa Santa Maria dell‘Ammiraglio (was definitiv anmutiger klingt als „Admiralskirche“), ein blau-goldenes byzantinisches Juwel. So viel Kunst auf engstem Raum!

Beeindruckend auch die normannische Kathedrale, weniger von innen als von außen und oben, denn auch hier kann man aufs Dach steigen. Und ein paar Schritte entfernt San Giovanni degli Eremiti mit einem wunderbaren kleinen Kreuzgang als Ruheort in der turbulenten Stadt. Ruhe? Die ist vorbei, sobald man einen der vielen Märkte durchquert mit Obst und Gemüse, Fisch, Meeresfrüchten und Streetfood, das lautstark angepriesen wird. Apropos Streetfood: Ich habe mich hinreißen lassen, eines der Straßengerichte Palermos schlechthin zu essen, nämlich Pane ca meusa, Brot mit Milz, das ist … wie soll ich sagen … interessant. Ruhig wird es in der Stadt der Gegensätze wieder beim Besuch eines der Parks, des Gardino Garibaldi oder des botanischen Gartens zum Beispiel. Hier stehen riesige, 150 Jahre alte Feigenbäume, deren Luftwurzeln wie Anker den Boden suchen, um den Giganten Halt zu geben.

Und noch immer ist der Reigen an gegensätzlichen Eindrücken nicht zu Ende: Palermo hat heute einmal mehr der Mafia-Opfer gedacht. Anlässlich der Ermordung des Richters Giovanni Falcone vor 32 Jahren gibt es jährlich einen „Memorial Day“. Man erinnert auch an getötete Polizisten, deren Mützen und Namen ausliegen, neben dem Wrack von Falcones durch eine Bombe völlig zerstörten Wagens. Am Ende dieses unfassbar eindrucksvollen Tages gehen wir in die Kirche San Domenico und besuchen Falcones Grab.

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Vor der Weiterfahrt waren wir heute Früh noch schnell im Archäologischen Museum von Palermo. Sehr schön, vor allem weil man viele Details aus Selinunt zu sehen bekommt inklusive Rekonstruktionen, die einen besser verstehen lassen, wie es dort einmal ausgesehen hat. 

Dann gute Nachrichten: Das Auto stand noch da, wo wir es geparkt hatten, es gab keinen Strafzettel, also war der Parkplatz wohl wirklich kostenlos (oder niemanden hat‘s interessiert), und wir sind anschließend unbeschadet durch den durchaus spannenden Stadtverkehr Palermos abgereist. Erst mal nur ein kurzes Stück nach Monreale etwas oberhalb von Palermo.

Dort steht eine wahrlich beachtliche Normannen-Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert mit phantastischen Mosaiken und einem unfassbar hübschen Kreuzgang. Mit Archäologischem Museum und Kathedrale haben wir es geschafft, einen Bogen von 1.500 Jahren zu schlagen: Denn so wie die Mosaikenzyklen den mittelalterlichen Gläubigen biblische Geschichten erzählten – von der Erschaffung der Welt, Noah, Abraham und Jesus -, so haben die Metopen (das sind steinerne Tafeln im Fries an den Fronten der Tempel) den antiken Betrachtern Geschichten von Göttern und Helden erzählt – von Herakles, Zeus und Europa, Perseus und Medusa.

Nachmittags dann Ankunft im nächsten Hotel in Cefalù.

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Cefalù, vorletzte Station unserer Sizilien-Rundreise. Ein Ort wie gemalt: langer Sandstrand, eine schöne Altstadt mit kleinen schattigen Gassen, ein mächtiger Normannen-Dom mit wunderbaren Mosaiken. Und als würde all das nicht reichen, steht direkt daneben ein mächtiges Felsmassiv, rund 200 Meter hoch, auf das man wandern kann, um von oben auf dieses zauberhafte Ensemble zu schauen. Nachmittags Entspannung am Pool im Hotel etwas außerhalb unter riesigen Bäumen. Und abends Wein und bester Fisch, natürlich direkt am Meer mit Blick auf den Sonnenuntergang. Klingt wie eine Phantasie, ist aber echt. Einziger Wermutstropfen: Diese Idylle zieht natürlich haufenweise Touristen an, und da inzwischen die Pfingstferien begonnen haben, scheint die Stadt fest in deutscher Hand zu sein. Aber sich darüber als deutscher Tourist zu beschweren, wäre ein wenig seltsam …

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Letzter Hotelwechsel. Die zweistündige Fahrt von Cefalù nach Taormina führt durch haufenweise Tunnel, die teils so finster sind, dass man sich nicht wundern würde, wenn sie direkt in den Minen von Moria endeten. Sie enden aber dann doch an der Ostküste am Zielort.

Taormina … Nun ja. Natürlich hübsch, schön gelegen, tolle Aussichten. Aber so viele Touristen als hätten zwei Kreuzfahrtschiffe hier angelegt (und da lasst euch mal von meinen Fotos nicht täuschen). Das prägt den Ort und die Geschäfte, alles ist so touristisch, dass wir, nach einem Spaziergang und einem obligatorischen Blick übers römische Theater auf den Ätna, wieder das Weite gesucht haben. Beziehungsweise das nicht so weite, aber noch deutlich höher gelegene Castelmola. Klein, ruhig, ebenfalls schöne Aussicht. Und irgendwer hat sich als Marketing-Gag ausgedacht, dass Mandelwein für dieses Örtchen typisch sei, also probieren alle, die hierher kommen, ein Glas Mandelwein. Ich natürlich auch. Schmeckt wie wässriger Amaretto. Für euch probiert, könnt ihr auslassen.

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Zum Abschluss einer solchen Reise kann es eigentlich nur ein Ziel geben: den Ätna. Wir waren auf der Nordseite wandern, die weniger touristisch erschlossen und deutlich einsamer ist, und es war sehr schön. Wir waren zwischen 1.700 und 2.000 Metern Höhe unterwegs, also ein gutes Stück unterhalb vom Gipfelkrater, aber dort verläuft halt die Baumgrenze und das ergibt reizvolle Kontraste. Gerade steht man noch in einem surreal zerklüfteten Lavafeld, schon spaziert man durch einen schönen Buchenwald, der von der Lava beim Ausbruch 2002 verschont wurde.

Am Ende des Tages waren wir dann noch bei der Alcantara Schlucht. Auch hier beeindruckende, hohe Felsen, da das Wasser die Lava des Ätnas schnell abgekühlt und dadurch säulenartige Formationen ausgebildet hat. Dazwischen fließt eiskalt und mit ordentlicher Strömung, aber nur kniehoch der Fluss. Also kann man sich ein Herz fassen, in den Fluss waten, sich abkühlen, möglichst nicht umfallen, Spaß haben und jede Menge Fotos machen.

Ein wunderbarer Tag am Ende einer wunderbaren Reise. Knapp zwei Wochen. 1.500 Kilometer mit dem Auto. 170 Kilometer zu Fuß. Unendlich viele Eindrücke.

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Epilog: ein wenig Nerd-Content. Denkt man an Sizilien und Kino, denkt man an Der Pate, diesen grandiosen Mafia-Film von Francis Ford Coppola aus meinem Geburtsjahr 1972. Die Geschichte der Familie Corleone spielt bekanntlich nicht nur in Amerika, sondern auch im Dorf Corleone auf Sizilien, der Heimat von Don Vito. Die Dreharbeiten fanden aber nicht im echten Corleone statt, dass 1972 schon nicht mehr nach einem alten sizilianischen Dorf aussah, sondern unter anderem nördlich von Taormina in den Städtchen Savoca und Forza d‘Agrò – und die haben wir uns heute angeschaut.

Beides sind hübsche, aufgeräumte Orte, 300 bzw. 400 Meter über dem Meer mit Anfahrt in Serpentinen und herrlicher Aussicht. Ersteres präsentiert sich als Film-Ort, mit zahlreichen Erinnerungen, Fotos und Souvenirs. Selbst in der Kirche ist eine Ecke mit Filmszenen und -Utensilien eingerichtet. Letzteres verschweigt seine Filmhistorie und man muss schon ein bisschen recherchieren, um markante Orte zu finden.

In Savoca sieht der Eingang der Bar Vitelli noch so aus wie damals, als Michael Corleone mit seinen Leibwächtern vorbei kam und im Stuhl lümmelte, um mit seinem Schwiegervater in spe zu reden. Selbst das „Italia Pilsen“ Schild aus dem Film hängt noch an der Wand. Und in der Kirche San Nicolò fand dann die Hochzeit statt. 

Die Cattedrale di S. Maria Annunziata e Assunta in Forza d‘Agrò taucht in allen drei Paten-Filmen auf, sie bildet dort das geistliche Zentrum des Ortes. Und noch eine andere Film-Perspektive haben wir entdeckt, als der alt gewordene Michael mit Kay seinen Heimatort besucht.

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Hier lest ihr, falls noch nicht geschehen, den ersten Teil des Reiseberichts: Grandios und grausam: Sizilien, der Süden.


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5 Gedanken zu “Beeindruckend und bezaubernd: Sizilien, der Norden

  1. Was für ein schöner Bericht mit tollen Fotos! Sizilien ist mein Lieblingsurlaubsziel, allerdings ohne Auto und Ende Februar/Anfang März, um dem Berliner Winter zu entfliehen. Zu der Zeit war Taormina komplett leer, alles zu, keine Touristen. Und die Seilbahn von unten nach oben war natürlich außer Betrieb – es hat uns trotzdem gefallen, so richtig verwunschen und ruhig…

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