Grandios und grausam: Sizilien, der Süden

Zwei Wochen lang umrunden wir Sizilien. Die ersten Stationen waren unter anderem Syrakus, Ragusa, Noto, Agrigent, Selinunt und Marsala …

Die Reise beginnt super entspannt an einem Sonntag Nachmittag mit einer Fahrt nach Frankfurt. Da der Flug nach Catania am Montag Früh um 6.50 Uhr abheben soll, haben wir uns gegen eine Nacht- und Nebel-Aktion und für die Anreise am Vortag entschieden. Parkhaus und Hotel stehen im ziemlich neuen Areal „Gateway Gardens“, das wir sofort in „Get Away Gardens“ umbenennen. Aber nicht weil es hier so schlimm wäre, sondern weil das unser Sprungbrett nach Italien ist.

Tatsächlich ist das Viertel interessant. Früher waren hier 2.500 GIs in ihren Baracken stationiert, heute findet man modern-anonyme Büro- und Hotel-Architektur. Mittendrin ein kleiner Park mit alten Eichen, und mitten in diesem Park ein Feldhase, der einen unbeeindruckt mustert. Mit der S-Bahn ist man in zwei Minuten am Flughafen und ungefähr genauso lang dauert es, die Koffer aufzugeben, was heutzutage bedeutet: sie in einen Automaten zu stecken, der den Rest übernimmt. Das erinnert für einen Moment an die elegante Zukunftstechnologie in Minority Report, und man fragt sich, ob wir das mit der Digitalisierung vielleicht doch noch hinbekommen. 

Es folgt ein ruhiger Abend in Get Away Gardens, eine kurze Nacht bis 4.40 Uhr im Hotel, ein schneller Transfer zum Flughafen und ein Frühstück am Gate bestehend aus einem Kaffee, einem Cappuccino, einem Wasser und einer Apfelschorle für schlanke 20 Euro. Während ich um diese Zeit noch nichts essen kann und will, kaufen andere Passagiere die Theke mit belegten Broten und Butterbrezeln leer, als stünde das Aussterben der Menschheit durch Verhungern unmittelbar bevor. 

Wenig später rollt das Flugzeug über das in warmes Morgenlicht getauchte Flugfeld und hebt unfassbar pünktlich ab. Selten war eine Anreise entspannter und unkomplizierter.

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Der Lohn des frühen Aufstehens: Schon gegen 9 Uhr morgens Anflug auf Catania, vorbei am Ätna. Mietwagen eingesammelt, eine Dreiviertelstunde Fahrt und Ankunft beim ersten Hotel dieser kleinen Rundreise, im Hinterland von Syrakus. Trotz wachsender Müdigkeit sind wir etwas später tapfer durch die Altstadt von Syrakus, die „Wachtelinsel“ Ortygia gebummelt. Erstes Streetfood (natürlich Arancini, die sehr typischen frittierten Reisbällchen (oder auch -pyramiden), die ich zuletzt vor 30 Jahren in Neapel gegessen habe). Barocke Kirchen, antike Tempel oder auch ein Fusion von beidem im Dom, der auf den Fundamenten und mit den dorischen Säulen eines griechischen Tempels erbaut wurde. Kulturelle Aneignung würde man das heute nennen und wäre empört. Dabei basiert die gesamte abendländische Kunst auf diesem Prinzip.

1608 kam mein Lieblingsmaler Caravaggio von Malta nach Sizilien und malte zunächst in Syrakus das Altarbild Begräbnis der Heiligen Lucia. Da wir überall hin fahren, um einen Caravaggio zu sehen (zuletzt nach Freising), haben wir natürlich auch diesen „mitgenommen“. Abschluss des Tages in der schönen Hotelanlage am Pool – ein sehr ordentlicher Start in diesen Urlaub.

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Heute eine Spezialität der Insel: sizilianischer Barock in Ragusa und Noto. Nachdem 1693 ein Erdbeben halb Sizilien zerbröselt hatte, galt es ganze Städte vor allem im Osten neu aufzubauen. Und mit mächtigen Sakralbauten auszustatten. Entsprechend sind das schon ein paar spektakuläre Kirchen, die man in den vergleichsweise überschaubaren Städten Ragusa und Noto anschauen kann. Besonders beeindruckend: die mächtigen Fassaden als Schauseiten mit Schwung und ohne falsche Bescheidenheit, ein Pomp, der immerhin durch warme Ocker-Töne freundlich gemildert wird. Innen sind die Kirche eher konventionell gebaut und epigonal ausgestattet, aber schön schattig bei zunehmender Hitze. Denn heiß wird es in Ragusa, alles ist zugepflastert, kaum ein grünes Fleckchen und jede Menge Treppenstufen und Höhenmeter in der Altstadt.

Bei einem kurzen Halt in Modica kann man ebenfalls sizilianischen Barock bewundern, die meisten kommen aber, um sizilianische Schokolade zu bewundern, zu probieren und zu kaufen. Das haben wir auch getan, in der „Antica Dolceria Bonajuto“, der ältesten Schokoladen-Manufaktur Siziliens. Die Besonderheit der Schokolade von Modica: Sie wird kalt verarbeitet, wodurch die Zuckerkristalle erhalten bleiben. Schmeckt phantastisch!

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Licht und Schatten auf Sizilien … Erster Hotelwechsel. Auf der Weiterfahrt in Richtung Agrigent beschlossen wir, einen Abstecher ins Landesinnere zu machen und uns die Villa Romana del Casale anzuschauen. Das war eine gute Idee, denn die Mosaik-Fußböden der spätrömischen Villa nahe der Stadt Piazza Armerina sind eine Pracht. Irgendwer hatte wohl Langeweile, hat einmal durchgezählt und kam zur Erkenntnis, dass hier 120 Millionen Mosaiksteinchen verlegt wurden. 

Die Fahrt führt durchs sizilianische Hinterland und das ist nur zum Teil vergnüglich. Denn leider sind die Straßenränder übel vermüllt. Offenbar entsorgen einige Sizilianer ihren Hausmüll nach wie vor auf diese Art und Weise. Ansonsten gibt es viele Lost Places und rostige Zäune. Es scheint wichtig zu sein, den verfallenen eigenen Besitz mit Hilfe zerfallender Begrenzungen vom verfallenden Besitz anderer zu trennen. Prioritäten, so wichtig. 

Das nächste Hotel ist ein schöner, aufwändig renovierter und modernisierter alter Palast. So weit so gut, doch die Lage … „Nel cuore della Sicilia più autentica“, behauptet die Website, also im Herzen des authentischen Sizilien. Ich fürchte, das stimmt sogar, denn der Ort ist mit Verlaub ein heruntergekommens Dreckskaff, baufällig, staubig und dreckig. Man kann sich kaum ein besseres Symbol für diese Insel vorstellen, wie sie sich uns in den letzten Tagen präsentiert hat: mit traumhaft schönen Orten und grausamer Hässlichkeit, mit kultureller Pracht und bitterer Gleichgültigkeit gegenüber Natur und Umwelt.

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Das Tal der Tempel – einer der Gründe, warum man nach Sizilien kommt – ist gar kein Tal, sondern ein Bergrücken etwas unterhalb des modernen Agrigent. Haben wir uns angeschaut, 2500 Jahre alt, sehr toll. Insbesondere der Concordia-Tempel, der fast vollständig erhalten ist und mich sehr an den Tempel in Paestum erinnert hat, den ich vor 30 Jahren gesehen habe. Wie es sich für einen archäologischen Park gehört, hatten wir knapp 30 Grad und kein Wölkchen am Himmel.

Einen Tick kühler war es nebenan am Meer bei der Scala dei turchi, die gar keine türkische Treppe ist, sondern eine Formation aus weißen Felsen. Hübsch anzusehen, aber wenn man schon mal auf Rügen war, hauen einen die paar weißen Felsen nicht von den Socken. Aber Meer ist ja sowieso immer schön.

Der Ort, in dem wir hier wohnen (und aus dem wir morgen wieder abreisen) ist über Nacht nicht schöner geworden, aber zur Ehrenrettung kann ich berichten, dass wir eine zauberhafte kleine Trattoria entdeckt haben, in der wir prächtig versorgt wurden. Den Besitzer (den wir Enzo getauft haben) schlossen wir sofort ins Herz, servierte er uns doch zum Brot als erstes Olivenöl und Salz, welches er schweigend und konzentriert auf einem kleinen Teller miteinander vermischte. Und santo cielo, das war Olivenöl vom Feinsten. Nach weiteren großartigen Gerichten und einer Flasche Grillo endete der Abend mit einem Amaro aufs Haus, denn Enzo weiß, wie man Freunde gewinnt. Während des Abendessens hatte wir reichlich Gelegenheit, den ungefähr 100 alten, ausschließlich männlichen Sizilianern beim Schlendern über die Piazza und den ungefähr 1.000 jungen, ausschließlich männlichen Sizilianern beim Ausfahren ihrer wunderbaren Autos rund um die Piazza zuzusehen. Wo unterdessen all die ortsansässigen Sizilianerinnen geblieben sind – ich weiß es nicht. Vermutlich hatten sie einfach Besseres zu tun.

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Die erste Woche auf Sizilien neigt sich langsam ihrem Ende zu und wir sind bis an den äußersten Südwest-Zipfel gefahren, nach Marsala (ja, wie der Wein). Angehalten haben wir in Sciacca, einem Fischerort, der die übliche Fischerort-Bezeichnung „malerisch“ aber nicht wirklich verdient. Sizilien liefert einem ständig Symbole für den Zustand dieser Insel, der stets zwischen grandios und grausam schwankt. Im Hafen von Sciacca ist das: ein gesunkenes Boot, das hier verrottet, und niemanden kümmert‘s. 

Zweite Station: die Ausgrabungen von Selinunt, wieder griechische Tempel, wieder sehr beeindruckend. Das Gelände ist viel weitläufiger als das von Agrigent und es weht eine sanfte Brise vom Meer, die die Mittagshitze erträglich macht. 

Marsala schließlich hat eine hübsche Flaniermeile im historischen Zentrum. Unser Hotel ist in einem alten Palast untergebracht, auf uns warten ein Innenhof mit Garten, ein Abendessen mit Fisch-Couscous (den die Araber hierher mitgebracht haben), Pasta con le sarde – und sicher das eine oder andere Glas Marsala.

Fortsetzung: Beeindruckend und bezaubernd: Sizilien, der Norden


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4 Gedanken zu “Grandios und grausam: Sizilien, der Süden

  1. Danke für den Bericht und die schönen Fotos.
    Meiner Meinung nach schadet es allerdings nicht, das Thema „kulturelle Aneignung“ etwas differenzierter zu betrachten :). Mir hat es jedenfalls etwas die Augen geöffnet.

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  2. wir waren auch gerade vor 4 Tagen auf f Sizilien, und ich kann dem nur beipflichten, Grandios und grausam. Schade finde ich das mit dem Müll! Die Insel ist sehr schön, aber das schmälert wirklich das Erlebnis! Gruss aus Kalabrien auf dem Weg nach Apulien!

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