Facebook, die Nutzer und der Markt

Facebook polarisiert, das hat auch meine kleine Wutrede im letzten Blogbeitrag gezeigt, die oft gelesen und heiß diskutiert wurde. Zugleich steht Facebook vor interessanten Entscheidungen und muss aufpassen, dass es beim Geldverdienen seine Nutzer nicht vergisst. Zeit also für eine etwas differenziertere Betrachtung …

Im Kern bleibe ich bei meiner kritischen Bewertung der Art und Weise wie Facebook die freie Informationsversorgung seiner Nutzer einschränkt. Ergänzend muss ich zugeben, dass es unterschiedliche Nutzertypen gibt: Solche, die viele Verbindungen eingehen und für die ein Klick auf „Gefällt mir“ so viel bedeutet wie: „Ach ja, ganz nett, man sieht sich“. Für diese Nutzer ist ein Filtern des Nachrichtenstroms hilfreich, eine automatische Reduktion auf das vermeintlich Wesentliche sinnvoll.

Facebook als echtes Freundes-Netzwerk

Wenn (vermutlich) dem Edgerank Beiträge zum Opfer fallen, wird das für Nutzer zum Problem

Aber es gibt auch Nutzer, die Facebook tatsächlich als Freundes- und Interessen-Netzwerk nutzen, die sich dort mit der Schwester in Australien und Schulfreunden aus alten Tagen vernetzen, und das Foto vom ersten Schultag der Nichte in Down Under keinesfalls verpassen wollen. Diese Nutzer ignoriert Facebook zurzeit oder macht ihnen zumindest das Leben unnötig schwer, da es außerhalb von Listen keinen ungefilterten Nachrichtenstrom gibt. (Und auch das nochmal zur Klarstellung: Der Edgerank greift immer zu unter Neuigkeiten, egal ob ich die Liste nach „Hauptmeldungen“ oder „Neueste Meldungen“ sortiere). Das führt berechtigterweise zu Empörung, wie man in den Kommentaren zum letzten Blogbeitrag sehen kann.

Dass Facebook (im Gegensatz zu allen anderen relevanten sozialen Netzwerken!) eine ungefilterte Sicht auf die Neuigkeiten schlicht nicht anbietet, führt uns zur Frage, wem Facebook eigentlich verpflichtet ist und womit die Plattform ihr Geld verdient. Werfen wir aber, um das besser einzuordnen, erst mal einen Blick rüber zum großen Nachbarn …

Google: 38 Milliarden Dollar und der Nutzer im Zentrum

Google hat im Jahr 2011 fast 38 Milliarden Dollar Umsatz und knapp 10 Milliarden Dollar Gewinn gemacht (was für eine Umsatzrendite!) – und das obwohl fast alle Google-Produkte kostenlos sind. Google macht 96 Prozent seines Umsatzes mit Werbung, den Großteil davon durch AdWords auf Google-eigenen Seiten, insbesondere im Zusammenhang mit der Google-Suche. Das Kernstück der Google Strategie ist es daher vereinfacht gesagt, alles zu tun, um die Menschen im eigenen Ökosystem zu halten und zur Nutzung der eigenen Suchmaschine inkl. der begleitenden AdWords zu bewegen. Dafür wird der Markt geflutet mit kostenlosen Applikationen, von Maps bis Gmail, von Docs bis YouTube, mit einem eigenen kostenlosen Browser und mit einem eigenen kostenlosen Betriebssystem für Smartphones, das inzwischen einen Marktanteil von über 50 Prozent hat.

In meinen Google-Seminaren habe ich die Teilnehmer immer gefragt, wer denn regelmäßig die Google Adwords nutze, also auf die bezahlte Werbung statt auf die Treffer im  organischen Google-Index klicke. Die Antwort war immer dieselbe: niemand. Aber irgendwo müssen die 38 Milliarden Dollar Umsatz ja herkommen. Des Rätsels Lösung: Viele nutzen die Adwords und merken dabei gar nicht, dass sie auf Anzeigen klicken, und zwar vor allem aus einem Grund: Die suchwortspezifischen AdWords haben eine hohe Relevanz für die Nutzer und führen zu sinnvollen Zielen. Das Letzte, was Google will, ist irrelevante weil unspezifische Werbung anzeigen.  Trotz Auktionsmodells gewinnt bei Google nicht derjenige die Top-Platzierung unter den Adwords, der am meisten zahlt, sondern derjenige, der am meisten zahlt und dem Nutzer den relevantesten Inhalt zu bieten hat. Mit anderen Worten: Googles Erfolg basiert darauf, dass alle Angebote strikt an den Interessen des Nutzers ausgerichtet werden. Damit verdient man jede Menge Geld.

Facebook: rasantes Wachstum und Monetarisierung

Das schöne Kürzel MAU steht für Monthly Active Users bei Facebook

Und Facebook? Hat Jahre eines unglaublich rasanten Wachstums hinter sich. Die Strategie bislang bestand darin, Nutzer um jeden Preis zu gewinnen, auf die eigene Plattform zu ziehen und – ähnlich wie Google – dort zu halten. Spätestens seit dem Börsengang rückt nun die völlig legitime Frage ins Zentrum, wie sich aus den 1 Milliarden Nutzern Geld machen lässt. (Ja, natürlich legitim. Lustig dass mich manche nach meinem Facebook-kritischen Artikel gleich zum Globalisierungsgegner erklären wollten.)

Die beiden wichtigsten Einkommensquellen waren bislang Werbung und Credits, eine virtuelle Währung zur Bezahlung zum Beispiel innerhalb von Spielen auf Facebook. Der Handel mit virtuellen Gütern schwächelt in letzter Zeit, was auch mit den massiven Problemen von Spieleanbietern wie Zynga zusammenhängt. Umso wichtiger wird für Facebook der Verkauf von Anzeigen, auf der klassischen Plattform, aber auch auf mobilen Endgeräten, mit denen schon mehr als die Hälfte aller Nutzer auf Facebook zugreift. Und hier ist Facebook zunehmend erfolgreich, inzwischen stammen 14 Prozent des 1,2 Milliarden-Dollar-Umsatzes im 3. Quartal 2012 aus mobilen Anzeigen.

Promoted Posts: Geld schlägt Relevanz

Hier stoßen wir nun aus Nutzersicht auf einen kleinen Widerspruch. Der Edgerank dient angeblich dazu, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, oder wie Facebook es so schön formuliert: „Our goal in news feed is always to show someone the most relevant information from the things they are connected to on Facebook.“ Durch „promoted posts“ oder „hervorgehobene Beiträge“ können Privatnutzer und Firmen den Edgerank aber aushebeln. Sie bezahlen dafür, ihre Reichweite zu erhöhen. Mit anderen Worten: Geld schlägt Relevanz.

Facebook-Apologeten und Mit-Facebook-Beratung-Geld-Verdiener wie Thomas Hutter schreiben zu Recht, Unternehmen seien selbst für ihre Sichtbarkeit verantwortlich und müssten eben dafür sorgen, mehr relevante im Sinne von Interaktions-auslösende Inhalte zu posten:

Ich stolpere jeden Tag über viele Facebook Seiten und denke mir dabei häufig, was für eine gequirlte Scheisse einfalls- und belanglose Inhalte muten die Seitenbetreiber ihren Fans tagtäglich zu, bzw. welche Fans wollen solche Beiträge überhaupt in Ihrem Newsfeed in den Hauptmeldungen sehen?

Relevanz von Facebook-Werbung? Da sieht es finster aus!

Das ist einerseits richtig. Andererseits darf man dann wohl von Facebook als Plattformbetreiber die gleiche Relevanz beim Ausspielen von Werbung erwarten; eine Kunst, die Google wie gesagt ausgezeichnet beherrscht. Doch da sieht es bei Facebook zurzeit finster aus. Gerade im Wachstumsbereich der mobilen Anzeigen bombardiert Facebook seine Nutzer mit hochgradig irrelevanter Werbung, die so weit von effektivem Targeting entfernt ist wie die Piratenpartei von einer Regierungsbeteiligung.

Welche Relevanz haben wohl die Stadtwerke Pforzheim für mich?

Hier zeigen sich auch strukturelle Probleme von Facebook im Vergleich zu Google: Das Ausspielen von (relevanter, nutzerspezifischer) Werbung im Kontext einer Suchanfrage ist grundsätzlich etwas anderes als im Kontext von Gesprächen in einem sozialen Netzwerk. Letzteres erfordert mehr Fingerspitzengefühl – oder zumindest intelligente Algorithmen, derer sich Facebook ja sonst gerne rühmt. Beides lässt Facebook bei der Anzeige bezahlter Inhalte vermissen, sonst würden bei mir als konsequentem Spiele-Verweigerer nicht konsequent Spiele beworben werden. Und sonst würde mir als Mittelfranken nicht dauernd die Seite der Stadtwerke Pforzheim empfohlen werden, nur weil sie einem Freund gefällt (der vermutlich in Pforzheim wohnt).

Maßnahmen im Sinne der Nutzer?

Gerade im mobilen Umfeld stört solche unspezifische Werbung massiv, da sie gut und gerne zwei Drittel des sichtbaren Bereichs zum Beispiel auf einem iPad-Screen einnimmt. Völlig richtig daher die Analyse von Futurebiz:

Mobile Anzeigen funktionieren gut, müssen aber mit Bedacht eingesetzt werden. Die Aufmerksamkeit der Nutzer ist größer, da der Feed die komplette Fläche des Screens einnimmt. Häufen sich irrelevante und wiederholende Werbebotschaften, ist das nicht im Sinne der Nutzer und somit auch nicht im Sinn von Facebook.

Werbung auf 2/3 des iPad-Screens

„Die Entscheider bei Facebook sind nicht grenzdebil“, hofft Thomas Knüwer, und wahrscheinlich hat er Recht. Es geht aber nicht um die Intelligenz von Marc Zuckerberg, sondern um die Frage, wer zurzeit mehr im Fokus der Entscheider steht: Der Markt oder der Nutzer. Der Börsengang und die Pflicht zur Quartals-Berichterstattung hat es bei Facebook, vorsichtig gesagt, zumindest nicht einfacher gemacht, erst an den Nutzer zu denken.

Fazit

Facebook ist mit seinem Mischmasch aus Edgerank-Relevanz und unspezifischer Werbung, aus unbezahltem und bezahltem Content nicht die einzige Social Media Plattform, die sich neu sortiert und zunehmend ans Geld Verdienen denkt. Twitter, um ein zweites Beispiel zu nennen, schottet immer mehr seine ehemals offenen Schnittstellen ab, um die Nutzer auf eigenen Seiten zu halten, weil man nur hier Kontrolle über das eigene Geschäftsmodell hat. Dass die Nutzer gerade diese Offenheit an Twitter geschätzt haben, rückt dabei in den Hintergrund.

Die fröhliche, stürmische Wachstumsphase vieler Social Media ist also vorbei, es geht zunehmend um Refinanzierung und Monetarisierung. Das ist nicht einfach, kann aber zweifellos gelingen, wenn man dabei den Nutzer nicht aus den Augen verliert oder besser gesagt: immer zuerst an den Nutzer denkt.

Ebenfalls lesenswert:

8 Gedanken zu “Facebook, die Nutzer und der Markt

  1. […] Ich bin jedenfalls ziemlich froh, dass wir vor einigen Monaten beschlossen habe, verstärkt auf Corporate Blogs zu setzen, wo wir die Auslieferung unserer Inhalte selbst steuern können. Facebook ist und bleibt eine wichtige Distributions- und Diskussionsplattform auch für Inhalte aus unseren Blogs. Wenn Facebook sich nicht eines Besseren besinnt, wird seine Bedeutung aber schwinden – und Nutzer und Unternehmen werden andere digitale Wege finden, sich zu informieren und untereinander auszutauschen – und zwar weitgehend selbstbestimmt. UPDATE: Ich habe inzwischen einen weiteren, etwas stärker differenzierenden Beitrag geschrieben: Facebook, die Nutzer und der Markt. […]

    Like

  2. Für mich ist heute die Entscheidung gefallen – nicht nur aufgrund dieses Blog-Beitrags – und zwar gegen FatzeBug. Ganz abgesehen von den vielen technischen Unzulänglichkeiten, die sowohl mit Desktop Browsern, als auch und insbesondere mit Smart Phones seit ewigen Zeiten nerven, sind es nicht zuletzt die immer wieder auftretenden datenschutzrechtlichen Verfehlungen und die Ignoranz gegenüber den Benutzern, die mir nicht das Gefühl geben, dass hier im Sinne der Nutzer agiert wird. Ich werde Deine Blog-Beiträge per E-Mail abonnieren. Das funktioniert ja auch.

    Like

Und jetzt sag deine Meinung:

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..