Mit Helmut Schmidt durchs Jahr: Demokratie anderswo

Demokratie als globales Erfolgsmodell? Der arabische Frühling hat Hoffnung darauf gemacht, der ziemlich schnell Ernüchterung folgte. Außer in Tunesien ist von Demokratie in Nordafrika wenig zu sehen …

Ähnliches in Russland: Während die einen Putin als Grant für Stabilität sehen und akzeptieren, vermissen die anderen Demokratie, freiheitliche Grundrechte und ein Streben nach Frieden. Warum nur funktioniert das nicht mit der Demokratie in großen Teilen der Welt? Was sagt Schmidt dazu?

Die politische Kultur der Demokratie, der Gewaltenteilung und des Rechtsstaates ist nur sehr schwer zu verpflanzen. Wir vergessen gern, dass es in Europa und Nordamerika vieler Revolutionen und auch Bürgerkriege bedurfte, um Demokratie und Menschenrechte dauerhaft durchzusetzen. Wer Demokratie von Völkern und Staaten verlangt, die eine ganz andere Geschichte durchlaufen und eine ganz andere, meist oligarchische und jedenfalls autoritative Kultur des Regierens entwickelt haben, verkennt die unterschiedlichen Voraussetzungen. Wer gar mit Gewalt anderen Völkern Demokratie oktroyieren will, nimmt zwangsläufig Kriege in Kauf. Die Mehrzahl der Entwicklungsländer in Afrika, Asien (einschließlich des Mittleren Ostens) und Lateinamerika ist einstweilen nur autoritär regierbar – bestenfalls von einem vom Volk gewählten diktatorischen Präsidenten.

Schmidt plädiert immer wieder für einen realistischen und differenzierten Blick auf die historisch bedingte und gewachsene politische Verortung von Staaten und Kulturen. Die Vorstellung, Demokratie westlicher Prägung ließe sich als Erfolgsmodell „mal eben“ in Ländern mit völlig anderen Voraussetzungen etablieren, hält er für naiv – und arrogant. Statt dessen plädiert er dafür, die Unterschiede erstens zu verstehen und zweitens zu akzeptieren, etwa in Bezug auf China:

Ich habe China im letzten Vierteljahrhundert ein gutes Dutzend Male besucht, wenn auch fast immer nur für kurze Zeit. Aber ich habe begriffen: Manche unserer europäischen Maßstäbe können dort nicht angewandt werden. Die sich über mehrere Jahrtausende erstreckende chinesische Kultur hat ihre eigenen Gesetzlichkeiten entwickelt.

Helmut Schmidt: Außer Dienst. Eine Bilanz, München 2008, S. 65 ff.

Mehr lesen? Bitteschön: Mit Helmut Schmidt durchs Jahr

Bildnachweis: Bundesarchiv, B 145 Bild-F066924-0017 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0

2 Gedanken zu “Mit Helmut Schmidt durchs Jahr: Demokratie anderswo

  1. … schöne Idee/Serie, Christian ! Mich beschäftigt, warum der aktuelle „Politikbetrieb“ solche Denker nicht mehr hervorbringt, sondern leider überwiegend twitternde Meinungszombis, die morgen das Gegenteil von dem behaupten, was sie heute für richtig halten: Hauptsache Likes & Karriere. These: Braucht so eine Geist wie jener von HS zum Gedeihen eine analoge Langsamkeit, mit der man heute (partei-)politisch ausgegrenzt wäre … ????

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    • Hallo Torsten, ja das hat mich auch beschäftigt und ich glaube, genau darin liegt der Grund. Ich hab schon ein paar weitere Helmut Schmidt Beiträge vorbereitet, einer davon heißt: “Emotion und Vernunft”. Da geht es u.a. genau um dieses Thema. Ich zitiere mich mal selbst: “Zu Helmut Schmidts Zeiten als Bundeskanzler gab es noch kein Social Web, keine digitalen Erregungswellen und keine Shitstorms. Trotzdem hat seine Politik die Massen bewegt und manche seiner Entscheidungen würde heute im Web erhebliche Empörungsbeben auslösen …” Mehr dazu demnächst ;-)

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