Warum die DSGVO die Blogosphäre killt

Die Idee war gut: Nutzer sollen im Web wissen, was mit ihren Daten passiert und den Umgang damit kontrollieren können. Die Umsetzung ist ein Desaster …

Spulen wir mal 10 Jahre zurück: Das, was man damals Web 2.0 genannt hat, war eine Revolution, weil plötzlich jeder vom Empfänger zum Sender werden konnte. Ohne technisches Know-how und viel Anstrengung war es möglich, „user generated content“ zu veröffentlichen: in sozialen Netzwerken, Kommentarspalten, Blogs, Microblogs … Das gab es vorher nicht, das war neu, das war toll.

Inzwischen hat eine starke Professionalisierung eingesetzt: Unternehmen und große Medienhäuser betreiben Blogs, Facebook dominiert fast alles, Blogger und andere werden zu Influencern und verdienen Geld mit dem, was früher Hobby war. Im Kern ist das gute alte Web 2.0 aber immer noch sympathisch basisdemokratisch: Jeder kann sofort loslegen und sich mitteilen. Jeder kann, keiner muss das lesen. Alles sehr schön.

Der Fluch der guten Absicht

Von dieser Errungenschaft verabschieden wir uns gerade, und schuld daran ist der Fluch der guten Tat oder besser gesagt: der guten Absicht. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sollte für jeden Transparenz herstellen, was im Web mit seinen Daten passiert, und ihm die Hoheit über seine Daten zurückgeben. Klingt gut, ist im Ergebnis aber leider ein Debakel, vor allem aus zwei Gründen (und ich vereinfache stark, um eure Geduld nicht überzustrapazieren):

Erstens sind Aufwand und Komplexität gerade für Kleinstunternehmen und Normal-Menschen viel zu hoch. Große Firmen haben große Projekte durchgeführt, um die Anforderungen zu erfüllen. Auch da könnte man wunderbar diskutieren, ob sie diesen Aufwand nicht hätten sinnvoller betreiben können (zum Beispiel zum Wohle ihrer Kunden), das ist aber ein anderes Thema. Aber jeder, der auch nur ein bisschen Geld verdient und nur ein bisschen was mit Web zu tun hat, hat den schwarzen Peter. Und leider auch jeder, der gar kein Geld verdient und irgendwas mit Web macht, zum Beispiel Blogger.

Denn zweitens ist die Rechtsunsicherheit dank DSGVO wahnsinnig groß. Kein Mensch weiß, wer genau wie genau betroffen ist und was tun muss. Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich, die Experten streiten. Muss ich als Privat-Blogger auch eine neue Datenschutzerklärung machen (die kilometerlang ist und daher garantiert von niemandem gelesen wird)? Was ist mit nervigen Cookie-Popups oder Datenschutzhinweisen bei Kommentaren? Woher weiß ich überhaupt, welche Daten mein knuffiges Blogsystem wie verarbeitet und wohin schickt? Muss ich das wissen?

Kommentare dicht machen, Blog löschen

Die Konsequenz bei zahlreichen Blogs, die ich lese, ist fatal. Viele machen ihre Kommentare dicht, weil sie meinen, das sei sicherer. Und nicht wenige denken darüber nach, ihren Blog komplett zu löschen. Denn sie haben weder Lust auf den Aufwand noch Lust, die Rechtsunsicherheit auszubaden, wenn sie sich gegen mögliche Abmahnungen wehren müssen (und die Abmahn-Profis sitzen schon gut gelaunt in den Startlöchern). Aber was, bitte, sind Blogs ohne Kommentare? Was soll das alles, wenn nur noch Menschen mit guten Rechtsanwälten (oder Firmen mit Rechtsabteilungen) sich trauen, im Web zu kommunizieren?

Irgendwer wird jetzt wieder sagen: Ja, so ist das halt, auch als Normalo-Blogger darf man nicht so naiv sein und einfach irgendwas machen, auch fürs Auto braucht man einen Führerschein, bla bla … Bitte: Was für ein Blödsinn!

Im Kern bleibt es bei der Frage, ob wir die Errungenschaften des Web 2.0 wollen oder nicht. Jeder kann schnell und einfach im Web kommunizieren – ja oder nein? Ich finde Ja, die DSGVO sorgt für Nein.

Dabei wäre es vermutlich einfach, Einzelpersonen, Kleinstunternehmer, Menschen, die sich freiberuflich mal drei Euro dazu verdienen, privat und ehrenamtlich im Web Aktive etc. etc. von der ganzen Geschichte auszunehmen. Dazu müsste aber der Wille von Datenschützern, Politikern und EU-Bürokraten vorhanden sein, dem Normal-Bürger das Leben zu erleichtern. Und ihn nicht mit einem völlig sinn- und wirkungslosen Regulierungs-Wahnsinn zu überziehen.

Lesenswert in diesem Zusammenhang: Rant: Warum die DSGVO eine Datenschutz-Karikatur ist

Update: Die zuständige EU-Kommissarin sagt, Blogger dürften sich mit Fragen zur DSGVO gerne an sie wenden. Das hab ich doch gleich mal gemacht. 

10 Gedanken zu “Warum die DSGVO die Blogosphäre killt

  1. Da hast du schon recht. Ich habe mir allerdings nicht so viel Aufwand gemacht. Ich habe nie Geld mit meinem Blog verdient. Muss auch nicht sein.

    Ich habe alle bisher gesammelten Daten gelöscht und ein Plugin installiert dass die IP Adressen löscht.

    Dafür alle anderen Plugins entfernt.
    So kann weiterhin jeder lesen und kommentieren.

    Eine Datenschutzerklärung Spar ich mir. Denn nach besten Wissen und Gewissen werden bei mir keine Daten mehr verarbeitet.

    Sollte WordPress Daten sammeln oder Lima-City dann ist das meiner Meinung nach nicht mein Bier.

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  2. Sehe ich ähnlich. Die DSGVO spricht wichtige Dinge an, schießt aber an vielen Stellen über das Ziel hinaus. Schon dass vom multinationalen Konzern bis zum Hobbyblogger alle über denselben Kamm geschoren werden ist ein Unding. Dass nach zwei Jahren Vorbereitung immer noch niemand auch nur annähernd belastbar sagen kann, wer denn nun was wie zu leisten hat, um DSGVO-konform zu sein bzw. wem welche Folgen drohen, ist ebenso ein Unding. Natürlich gibt es bei neuen Regelungen immer Unklarheiten und Auslegungsspielräume, die nach und nach ausgeräumt werden. Aber in dem Ausmaß wie bei der DSGVO geht das einfach nicht.

    Die Bundesregierung hat sich leider auch vornehm zurückgehalten und keinerlei Ausgestaltung vorgenommen. Dabei wäre es sicher kein Ding der Unmöglichkeit gewesen, wenigstens für die genannten Kleinstunternehmer, Ehrenämtler und Privatblogger ein paar Erleichterungen einzuführen. Stattdessen lassen die einfach die DSGVO so in Kraft treten, lehnen sich zurück und warten ab, bis die Gerichte die strittigen Dinge geklärt haben (i.d.R. auf Kosten der armen Teufel, die es als Exempel erwischt). Das finde ich reichlich schäbig.

    Meine Lieblingsstelle aus Enno Parks Rant ist: Gesetze, bei denen von vornherein die Bevölkerung auch nach kostenpflichtiger Beratung durch einen Anwalt nicht sicher wissen kann, wie sie sich daran halten soll, sind gesetzgeberischer Pfusch und nichts anderes.

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  3. Ich habe einen guten Weg gefunden: weiterhin Daten sammeln, sie an Spam-Netzwerke verkaufen und mit dem Erlös ein Budget für mögliche Rechtsstreitigkeiten schaffen.

    Achja, und da du ja meine IP Adresse ohne meine Einwilligung nicht speichern darfst, kann man nun ja auch illegale Dinge in den Kommentaren zugeben.

    *Ironie off

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  4. Ich finde die DSGVO schießt über das Ziel hinaus, mittlerweile haben Foren geschlossen die es seit 10 Jahren gibt und zig Besucher jeden Tag hatten – da Sie die Auflagen der DSGVO nicht nachkommen können oder es Ihnen zu komplex ist

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