Das Facebook-Museum

Facebook wird zum Museum. Und die 750 Millionen Facebook-Nutzer werden nicht nur zu Museums-Besuchern, sondern selbst zu Exponaten. Dass das von manchen als großartige Innovation gefeiert wird, finde ich verwunderlich …

Kaum hatte Mark Zuckerberg auf der Facebook-Entwickler-Konferenz f8 seine neue Erfindung, die „Timeline“, präsentiert, wurde das Thema in Blogs und Medien heiß diskutiert. Die Bewertungen reichten von genial bis gruselig. Für alle, die es noch nicht wissen: In der Timeline, die für deutsche Nutzer „Chronik“ heißen wird, sollen die Facebook-Nutzer „die Geschichte ihres Lebens“ erzählen. Egal was man getan hat, hochgeladen hat, kommentiert hat: im Facebook des Lebens wird es archiviert und chronologisch abgebildet. Facebook bewirbt das Ganze unter anderem mit diesem Video:

Die Timline – altmodisch und angestaubt

Bei Lichte betrachtet ist die Facebook-Timeline allerdings keine Innovation, sondern der erstaunliche Versuch der Digitalisierung eines altmodischen, um nicht zu sagen reichlich angestaubten Konzepts. Was ist denn an einem Archiv bitte innovativ? Was ist an einer historischen Betrachtung eines Lebenslaufes so aufregend? Seit wann ist Allerwelts-Historiographie die Zukunft des Internets?

Tatsächlich ist doch der große Charme – und zugleich einer der Erfolgsfaktoren – von Social Media, dass wir sehr unmittelbar im Hier und Jetzt kommunizieren. Wann immer ich mich in den Nachrichtenstrom von Twitter einklinke, bekomme ich ein bunte, vielfältige, bestenfalls informative und unterhaltsame Momentaufnahme. Einige Stunden später ist diese Momentaufnahme irrelevant, denn es gibt ja schon wieder eine neue. Twitter-Nachrichten durchlesen, die einen Monat alt sind? Eine absurde Vorstellung. Ähnlich funktioneren Blogs: Mal ehrlich, wer von euch hat in diesem oder einem anderen Blog schon mal geduldig chronologisch Seite um Seite zurückgeblättert, auf der Suche nach historischen Beiträgen und nostalgischen Momenten? Kein Mensch. Und genauso funktionierte bislang und zu Recht Facebook. Was machen meine Freunde gerade? Worüber reden meine Bekannten? Welche Themen werden momentan diskutiert und geteilt? Das sind Fragen, die ich auf Facebook beantwortet haben möchte. Und wir könnten die Beispiele fortsetzen: Wollt ihr wirklich wissen, an welchen Orten ich vor einem Jahr auf Foursquare eingecheckt habe …?

Konzept von vorgestern

Facebooks Timeline ist dagegen ein Konzept von vorgestern, ein musealer Ansatz, eine Retrospektive. Wer braucht das? Wer möchte wissen, was seine Freunde und Bekannten sieben Jahre zuvor getan und gedacht haben? Ich nicht.

Etwas kommt noch hinzu: Im Rahmen eines Facebook-Rasters ist unser Leben nicht aufregend. Wir werden geboren, gehen in Kindergarten und Schule, heiraten (oder auch nicht), finden einen oder mehrere Arbeitgeber, werden älter, gehen in Rente, sterben, that’s it. Und jetzt haltet euch fest: Diese Standard-Biographie dürfte mehr oder weniger bei allen 750 Millionen Facebook-Nutzern identisch sein. Ich sehe Legionen von Facebook-Chroniken vor mir, die uns alle mit denselben Belanglosigkeiten langweilen. Bitte missversteht mich nicht: Natürlich hat jeder von uns seine eigene, einzigartige Biographie – aber sie wird sich ins Raster von Facebook gepresst nicht als solche präsentieren. Reduziert auf hochgeladene Bilder und gepostete Statements wird sie austauschbar und langweilig werden.

El Dorado für Selbstdarsteller

Eine Alternative ist noch denkbar, aber auch sie wird uns keine Freude machen: Jeder Einzelne hat die Möglichkeit, seine Chronik zu frisieren und zu manipulieren, um auf diese Weise seine Online-Reputation zu polieren. Ein El Dorado für Selbstdarsteller und Ego-Inszenierer, die im Social Web ja nun auch nicht gerade selten sind. Damit würden wir uns von einem weiteren Erfolgsprinzip von Social Media verabschieden: der Authentizität.

In Sachen Facebook-Timeline halte ich’s daher mit Goethes Faust:

Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!

4 Gedanken zu “Das Facebook-Museum

  1. Interessante Betrachtung. Bin gespannt. Wenn ich am Ende noch durchblicke wird die museale Sammlung eine nochmalige Aufforderung sein: sortier mal deine Freunde neu! Die Glänzer, Polierer und Hoserunterlasser leg zur Seite.
    Klar, auch in Blogs lässt man ja sozusagen die Hose runter. Allerdings sind ja die Kommentare und Weiterleitungen dann das Spannende. Für die es spannend ist. Die anderen gehen halt sammeln. Es wird wohl viele geben, die auf diese Weise eine Art eigenes Boulevardblatt heraus geben. Leser werden sie auch haben. Es sind wohl nicht meine.
    Danke für den Beitrag, den ich teile.

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  2. Sie verkennen das Potential dieser Funktion. Es ist nicht so sehr das Heute und Gestern, das diese Chronik interessant macht, sondern es sind die weiteren Dimensionen, die für die Freunde sichtbar werden. Man wird viel mehr und umfassend über die „Freunde“ auf FB informiert, aus den „Freunden“ werden jetzt vermeintliche Intimkenner der Person. Das wird durchdie automatischen Einträge noch verstärkt werden. Man begegnet dort demnächst wohl Persönlichkeitsebenen, die einem vorher nicht bewusst waren, weil die „Freunde“ halt doch nicht alle Freunde waren und sind. Und das ist für viele Menschen sehr wohl interessant; es gefällt vielen, in den Leben anderer zu stöbern und Wertungen vorzunehmen.

    „Frank hat vom Kölner Hauptbahnhof aus bei Amazon ‚Sansibar oder der letzte Grund‘ als eBook gekauft. 21 Leuten gefällt das.“ Ja, das könnte ich mir auch vorstellen im Zug zu lesen.

    So wird es laufen.

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