Filterblase Zwei: Diagnose im Bundestag

Ich hatte das Vergnügen, an einer Web-Konferenz im Bundestag teilzunehmen, Thema: Online-Hass, Verschwörungstheorien und sinkendes Vertrauen in die Medien. Es war spannend, die Erkenntnisse mit meinen Erfahrungen aus der Filterblase Zwei abzugleichen …

Es gab eine interessante Mischung aus Experten-Analysen, Beispielen aus der Praxis und politischen Stellungnahmen auf dieser Konferenz, die von der Nürnberger Bundestagsabgeordneten Gabriela Heinrich initiiert worden war. 10 diagnostische Erkenntnisse möchte ich mit euch teilen, weniger als geschlossenes System (wir wollen nicht so tun, als gäbe es die Erkenntnis …), mehr als Auflistung interessanter Gedanken. Auf geht’s:

Das Internet ist nicht böse

1. Medien sind zunächst mal politisch neutral. Darauf wiesen gleich mehrere Redner hin, weil man in Teilen der Öffentlichkeit gelegentlich hört, „das böse Internet“ sei für Hate Speech verantwortlich. Das Internet ist als Medium nicht besser oder schlechter als das Buch, das Radio, das Fernsehen oder meinetwegen das Flugblatt. Oder mit den Worten von Staatssekretärin Caren Marks: „Das Internet ist weder demokratisch noch diktatorisch, es ist genau das, was wir daraus machen.“

2. Ob Hass-Kommunikation im Web wirklich zugenommen hat, ist schwer zu sagen weil nicht messbar. Der persönliche Eindruck einiger Redner war: eindeutig ja. Allerdings wies Jasmin Siri von der Uni Bielefeld darauf hin, dass eine „harsche Kultur des Kritisierens“ im Web nicht neu ist, weil Konflikte medial (schon immer) eine größere Aufmerksamkeit auslösen als Einigkeit.

Facebook fördert Homophilie

3. Facebook fördert Homophilie in Freundeskreisen, also die Tendenz von Individuen, andere Menschen zu mögen und mit ihnen zu interagieren, wenn diese ihnen ähnlich sind. Das kennen wir ja bestens aus der Filterblase Zwei (aber auch aus unserer eigenen). Dem Ideal von Partizipation durch Social Media steht damit das „Problem homogenisierter Echokammern“ gegenüber, wie Jasmin Siri sagte.

4. Es wird immer schwieriger von „der“ Öffentlichkeit oder „einer“ Öffentlichkeit zu reden, da die neuen Medien nicht nur Gatekeeper geschwächt, sondern auch Personalisierung gestärkt haben. Algorithmen und Medienmechaniken haben zu einer Fragmentierung von diversen Teilöffentlichkeiten geführt, die zunehmend gegeneinander abgeschottet sind.

5. Alle reden zwar von einer Vertrauenskrise, in der sich klassische Medien befänden, aber durch Befragungen nachweisen lässt sich das nicht (oder zumindest nicht so einfach und eindeutig).

Eine gefühlte Nähe von Politik und Medien

6. Es gibt aber eine wichtige Erkenntnis, auf die Matthias Kohring von der Uni Mannheim hinwies: Viele Menschen sind überzeugt davon, dass es eine (zu) große Nähe zwischen Medien und Politik gibt, was zu einer Polarisierung führt: Diejenigen, die Vertrauen in die Politik haben, haben auch Vertrauen in die Medien. Diejenigen, die der Politik misstrauen, misstrauen auch den Medien. So entsteht gerade bei AfD-Wählern eine negative Assoziationskette „Journalismus = Politik = Establishment“, die zu den bekannten „Lügenpresse“- und „Systemmedien“-Vorwürfen führt.

sascha-lobo-auf-der-konferenz7. Hass im Web dient in vielen Fällen zur Bewältigung der eigenen Hilflosigkeit, wie Sascha Lobo anschaulich darstellte. Hass-Botschaften werden dabei oft nicht aktiv als Aggression, sondern als Reaktion auf gefühlte Angriffe, quasi als Selbstverteidigung gesendet. Wenn man mit den „Hatern“ das Gespräch sucht, wie Lobo das regelmäßig tut, bekommt man es in neun von zehn Fällen mit Leuten zu tun, die „es nicht so gemeint“ haben. Auch das aber ein Problem des Netzes, das Lobo als „Virtualisierungsebene“ bezeichnete: Man sieht einem Facebook-Kommentar oder -Like nicht an, ob er nur so dahin gesagt oder wirklich so gemeint war.

Pluralismus als Schutz gegen Extremismus

8. Was Fake News anging, wies Lobo daraufhin, dass es auch eine soziale Funktion von Information gibt: Man sagt etwas, um Teil einer Gruppe zu sein und dazu zu gehören. Der Wahrheitsgehalt einer Information ist dann schlicht egal.

9. „Das Problem ist nicht allein durch ein bisschen Facebook-Regulierung in den Griff zu bekommen. Das Problem muss in den Köpfen der Menschen gelöst werden. Wichtig dabei: Pluralismus als Schutz gegen Extremismus.“ (O-Ton Sascha Lobo)

10. Gleichwohl darf man Hass im Netz nicht auf die leichte Schulter nehmen, wie Johannes Baldauf deutlich machte. Denn virtueller Hass hat sehr reale Folgen: Einschüchterung, Angst und den Rückzug von Betroffenen aus dem öffentlichen Raum.

Lösungsansätze im Neuland

Neben der Diagnose gab es natürlich auch Lösungsansätze, ein paar haben sich oben schon angedeutet. Manche Vertreter der Legislative neigen ihrer Profession gemäß dazu, Probleme zunächst mit Gesetzen und Verboten lösen zu wollen. Dass ein Staat wehrhaft sein muss, steht für mich außer Frage, dass man Hass aber nicht einfach verbieten kann (und durch Verbote aus der Welt bekommt), allerdings auch.

Immerhin waren sich alle einig, dass man erst mal verstehen muss, was da im Web passiert, und Lobo war sich sicher, dass wir dabei erst am Anfang stehen und uns tatsächlich noch im Merkelschen Neuland befinden. Beim Verstehen können Projekte wie Hoaxmap helfen, die als Big Data-Anwendung Web-Gerüchte sammelt und ihre Verbreitung visualisiert.

Ansonsten gibt es ein breites Spektrum an Handlungsoptionen, das beim Aufbau von Medienkompetenz beginnt und bei der freudlich-dialogorientierten oder sarkastisch-diskreditierenden Reaktion auf Hass im Netz nicht endet. Dazu ein andermal mehr …

PS: Ebenfalls interessant: der Beitrag von Bernd Harder über Verschwörungstheorien, er hat im GWUP-Blog über die Veranstaltung geschrieben. Und auch in Gabriela Heinrichs Blog ist ein Beitrag über die Konferenz zu lesen.

Hintergrund-Infos zu meiner Filterblase Zwei

 

13 Gedanken zu “Filterblase Zwei: Diagnose im Bundestag

  1. … vielen Dank für den Bericht, Christian ! Die Politik sieht das Thema i.d.R. fälschlich als „Infrastrukturproblem“, es ist aber natürlich gesellschaftspolitisches Thema. Habe jetzt schon die Manipulationsheulerei der Wahlverlierer im September im Ohr … Ich sehe auch weiterhin die pure Informationsgeschwindigkeit als Ursache der „neuen Kommunikationsqualitäten“: Das ist für viele zu schnell und zu viel, um den Überblick zu behalten und dann wird (auch unbewusst) nach Vereinfachung gesucht … und natürlich setzt eine Konfrontationshaltung mehr Adrenalin frei, als eine fade Ausdifferenzierung.

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    • Von der „Politik“ würde ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen wollen, das scheint mir etwas zu pauschal. Denn den Politiker_innen, die etwas davon verstehen, ist durchaus die Vielschichtigkeit von Hass, von verschiedenen Formen von Fake-News, von Verschwörungsideologien etc. bewusst. Deshalb wird auch mehr und mehr eine Vielzahl an Gegenmaßnahmen gefordert. Infrastruktur ist das Eine, Gesetze das Andere, Counterspeech ein Drittes. Aber darüber hinaus gilt es eben auch, durch vernünftige und gerechte Sozial-, Familien-, Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik die Abgekoppelten wieder anzukoppeln.

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  2. Lieber Herr Buggisch, vielen Dank für den Bericht. Was mir in den letzten Tagen in Facebook auffällt, ist, dass einige Menschen bei Hasstiraden zumindest leicht dagegenhalten. Ich habe das auch schon getan, ehrlich gesagt, kneife ich aber oft, weil ich einfach keine Lust habe, mich in diese Niederungen zu begeben oder in eine Diskussion hineingezogen zu werden. Man bräuchte so etwas wie ein paar Standardformulierungen, die deutlich machen, dass es einem nicht um den Inhalt, sondern nur um den Ton geht. Aber, wenn ich z.B. nur den Ton kritisiere, könnte man meinen, dass ich mit dem Inhalt einverstanden bin. Hat der Profi da einen knackigen Vorschlag? Wenn ich dann von den Freundeslisten gestrichen werde, wäre mir das egal.
    Herzliche Grüße – Siegbert Rudolph

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    • Hallo Herr Rudolph, Sascha Lobo hat relativ ausführlich auf dem Kongress beschrieben, dass er in solchen Fällen oft den Dialog sucht, aber nicht öffentlich, sondern per Direktnachricht oder Mail, dann sehr freundlich nachhakt und dann sehr oft erlebt, dass der Gegenüber sich als relativ normaler Mensch herausstellt, der es eben gar nicht so gemeint hatte. Er meinte: In rund 90% der Fälle sei das so, bei 10% gerate man an gefährliche Agitatoren, die es wirklich ernst meinen (und das ist ja genau genommen beunruhigend viel). In dem Kontext finde ich auch diesen Artikel interessant: https://www.falter.at/archiv/wp/boris-wollte-mich-verbrennen … Das ist aber natürlich alles ziemlich aufwändig und setzt voraus, dass man allerhand Zeit investieren kann und will …

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