Filterblase Zwei – Ansichten von nebenan

Nur zwei Wochen bin ich nun im meiner zweiten, rechtslastigen Filterblase aktiv, habe dort 60 „Freunde“ – und werde mit sehr, sehr gefestigten Weltbildern konfrontiert. Der Facebook-Algorithmus, so viel lässt sich jetzt schon sagen, ist der kontrastreichste Schwarz-Weiß-Maler, den ich kenne …

Ein Klick, und Facebook beginnt zu filtern …

Ich hatte es in den letzten Tagen nicht gezielt darauf abgesehen, die „Filterblase Zwei“ abzuschotten, das hat Facebook für mich erledigt. Dazu war im Großen und Ganzen nur ein Impuls von mir nötig: die AfD-Seite zu liken. Seit diesem Klick komme ich mir vor wie auf Schienen. Der Weg ist vorgegeben, abbiegen unmöglich und die Weichen stelle nicht ich.

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Was Facebook so vorschlägt

Hier eine vorgeschlagene Seite, da Menschen, mit denen ich mich befreunden könnte, hier ein Gefällt mir, da eine Freundschaftsanfrage oder -bestätigung derselben. Ich agiere, doch ich agiere nur innerhalb einer Vorauswahl, die Facebook für mich trifft. Das Ergebnis ist thematisch und weltanschaulich höchst einseitig.

Allerdings: Dieses Experiment ist nicht völlig realistisch (aber auch nicht völlig konstruiert): Normalerweise würde ich wohl über die Facebook-Suche nach Bekannten Ausschau halten und sie in meine Blase integrieren. In diesem Fall habe ich nur ein bestimmtes politisches Interesse bekundet und dann den Dingen ihren Lauf gelassen.

Establishment, Flüchtlinge, Lügenpresse

Welche Themen werden nun in meiner „Filterblase Zwei“ diskutiert? Es gibt vor allem drei Schwerpunkte:

Erstens Ablehnung des politischen Establishments: Ähnlich wie im US-Wahlkampf gilt etablierte Politik als verdächtig. Dass Steinmeiers Bundespräsidentschaft zwischen Union und SPD verabredet wurde, dass Merkel erneut als Kanzlerkandidatin antreten will – all das wird nicht nur kritisiert, sondern als Beleg für ein Systemversagen angeprangert. Damit einher geht eine Zustimmung zum vermeintlichen Anti-Establishments: Das beginnt mit Donald Trump, der in zahlreichen Beiträgen gelobt wird, reicht über die AfD, der als einziger Partei in Deutschland zugetraut wird, das „System“ zu erneuern, und endet nicht bei einzelnen „Rebellen“ wie Thilo Sarazzin, die sich gegen den „Mainstream“ stellen und trauen, die „Wahrheit“ zu sagen. Ebenfalls Zustimmung erfahren ausländische Politiker wie Marine Le Pen und Norbert Hofer.

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„Die Fremden“

Zweitens Kritik an Flüchtlingen: Das hat mich etwas überrascht, wie präsent das Thema noch ist, nachdem sich die Lage in Deutschland gegenüber 2015 doch deutlich entspannt hat. Aber an Flüchtlingen, Ausländern und Muslimen wird in meiner „Filterblase Zwei“ kein gutes Haar gelassen. In der Regel werden dazu Meldungen aus der Tagespresse („Flüchtlinge zünden Asylheim an“, „Libanesen greifen Polizisten an“ etc.) verlinkt und kommentiert.

Drittens Kritik an der „Lügenpresse“: Dieses Thema zieht sich wiederum wenig überraschend wie ein roter Faden durch die Timeline, wobei mir aufgefallen ist, dass der Begriff „Lügenpresse“ weitgehend durch „Mainstram-Medien“ oder „System-Medien“ ersetzt wurde, was ja durchaus eine neue Qualität hat, da das Motiv für die vermeintlichen Lügen (Nähe zum Establishment – siehe Punkt 1) im Begriff gleich mitgeliefert wird. An diesen Medien gibt es sowohl Pauschalkritik als auch immer wieder Beispiele, die das Versagen der Medien belegen sollen.

Selektive Wahrnehmung und Schlagwort-Stakkato

Und wie funktioniert die Kommunikation in der „Filterblase Zwei“? Mir ist vor allem eine Grundlage und ein Kommunikationsmuster aufgefallen:

Die Grundlage würde ich mal etwas hochgestochen als Quellenselektion bezeichnen. Geteilt wird nur, was 100-prozentig ins Raster passt und erwartungskonform ist. Das führt zu lustigen Rückkopplungseffekten, die aber nicht hinterfragt werden: Wenn zum Beispiel eine große Zeitung davon berichtet, dass die AfD im Aufwind ist, wird das geteilt, obwohl der Zeitung als Teil der „Lügenpresse“ ja eigentlich zu misstrauen wäre. Die „System-Medien“ werden aber nur dann als solche kritisiert, wenn ihre Beiträge eben nicht ins Raster passen. Eher die Regel sind aber Berichte aus – sagen wir mal: fragwürdigen Quellen, von denen ich vor meinem Besuch in der „Filterblase Zwei“ noch nie gehört habe. „Bürgerstimme“, „Sputniknews“ und „Philosophia Perennis“ heißen unter anderem die rechtslastigen Portale, deren journalistischer (?) Arbeit man vertraut. Dabei spielen die in letzter Zeit intensiv diskutierten Fake-News eine eher untergeordnete Rolle. Es geht eher darum, diejenigen News herauszupicken, die einen wahren Kern haben und ins Raster passen, um sie dann als typisch und repräsentativ zu präsentieren.

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AfD plakativ

Schlagwort-Kommunikation: Es finden kaum längere Diskussionen statt, die Kommunikation ist eher stakkato-artig: Jemand postet einen Link, der dank Headline mehr oder weniger für sich selbst spricht, die Kommentare beschränken sich dann auf Zustimmung („So ist es!“, „Klare Worte, danke!“, „Top!“) oder Ablehnung („Frechheit!“, „War ja wieder klar!“, „Schmeißt die raus!“, „Kinderschänder!“). Dabei wird bevorzugt mit Bildern gearbeitet, sowohl in der Timeline als auch in den Kommentaren, was die Argumentation noch plakativer macht.

Unerkannte Satire
Unerkannte Satire

Das ist meistens furchtbar erwartbar, wird gelegentlich aber auch kurios: Wenn nämlich jemand mit vollem Ernst und Schaum vor dem Mund eine Meldung postet, dass Angela Merkel allen Flüchtlingen schnellstmöglichst Wahlrecht geben wolle, die dann von der Community entsprechend empört kommentiert wird. Dass die Meldung aus einem Satire-Portal stammt, merkt niemand, da niemand dem Link gefolgt ist oder auch nur ein bisschen in Frage gestellt hat, ob so eine Meldung realistisch ist oder nicht.

Fazit: Ermüdung in der Filterblase

Nach nur zwei Wochen muss ich gestehen: Die „Filterblase Zwei“ ist extrem anstrengend im Sinne von: ermüdend. Es fehlt einfach an Überraschungen, an Impulsen, die den Rahmen sprengen, an ungewöhnlichen oder neuen Erkenntnissen. Es werden die immer gleichen Klischees beackert, und zwar in einem Minimal-Diskurs, der zwischen „Jawoll!“ und „Skandal!“ kaum Zwischentöne kennt. Ich kann nur vermuten, dass die derartige tägliche Bestätigung eines gefestigten Weltbilds für viele Menschen befriedigend ist oder ihnen Halt gibt. Ich persönlich finde sie nach kürzester Zeit einfach nur sehr, sehr langweilig.

Zum Hintergrund des Ganzen: Das Filterblasen-Experiment. Weitere Erkenntnisse:

12 Gedanken zu “Filterblase Zwei – Ansichten von nebenan

  1. Irgendwie logisch. Hier geht es um Affirmation und nicht um Diskurs. Interessant, dass es rechts so wenig Dissens gibt. Wahrscheinlich hilft da die Themenauswahl: Medien, Flüchtlinge, System. Um Fragen nach Wirtschaft, realer Tagespolitik, Kultur (Gott beschwöre) etc. drückt man sich da lieber. Lieber ist die virtuelle Harmonie statt der komplexen Realität.

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  2. Interessant, auch dass es Parallelen zum linken Rand gibt: die Kritik am Establishment und die Kritik an der einseitigen, falschen Berichterstattung der Presse. Je extremer sich die Position auf beiden Seiten befindet, desto flacher wird diese Kritik, und desto ähnlicher. Absolut konträr wird da nur noch die Flüchtlingsfrage behandelt.
    Man kann das natürlich alles als undifferenziert abtun und kopfschüttelnd darauf herabblicken. Oder man kann den Kern der Botschaften ernst nehmen und sich fragen, ob das allgemeine Bauchgefühl, das zu den Extremen hin wütender und gewalttätiger wird, nicht doch einen wahren Kern hat. Der Rückzug in die eigene Filterblase, und der damit einhergehende Verlust an Glaubwürdigkeit bei anderen Bevölkerungsschichten, scheint nicht nur ein Problem von links oder rechts zu sein. Ein Rechtsruck nach der kommenden Bundestagswahl wird nicht zu vermeiden sein, wenn davor nicht einige der etablierten Filterblasen platzen. Filterblasen platzen, wenn sie ihre eigenen Dogmen als solche erkennen und ernsthaft hinterfragen.
    Das muss nicht notwendig zur Abschaffung von Dogmen führen, aber vielleicht zu schärferen Profilen und klarer definierten und glaubwürdigen Positionen. Das könnte die Lösung sein. Denn meiner Meinung nach vermissen die Menschen in heutigen Zeiten mehr als alles andere klare Ansagen. Wenn sie die von der Mitte nicht bekommen, nehmen sie dankbar die von den Rändern auf, die man dann gemeinhin populistisch nennt.
    Um zu wissen, wie das gemäßigtere Bürgertum rechts der Mitte denkt, das deutlich zur AFD hin tendiert, scheint die Facebook-Blase, wie der Bericht schön zeigt, der falsche Ort zu sein. Ein sehr viel differenzierteres Bild habe ich eher zufällig entdeckt: die positiven Kritiken und Kommentare zu Sarrazins (schrecklichem) Buch „Deutschland schafft sich ab“. http://amzn.to/2fugLm1

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  3. Danke für den Beitrag! Ich finde das super interessant und erwäge, das Experiment mal selbst durchzuführen. Auf der anderen Seite finde ich, dass der sog. Mainstream auch eine Art Filterbubble ist. Viele Leute geben sich vermutlich mit Tagesschau und Regionalzeitung zufrieden. Da fehlen für mich auch die rechten und linken Sichtweisen + Argumente, um das Bild zu komplettieren. Ich habe mal versucht, meine Sichtweise auf die Leitmedien etwas detaillierter darzustellen, für die die es interessiert: https://www.seid-wachsam.de/2017/07/10/medien-mainstream/

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  4. […] Das Problem: Er hat nur deutschsprachige Tweets analysiert und ist dabei zum Schluss gekommen: „Es hat weniger mit Online-Filterblasen zu tun, wenn sich Leute selektiv mit bestimmten Themen beschäftigen.“ Man kann so eine Twitter-Analyse natürlich machen, allerdings sollte man sich davor hüten, die Ergebnisse zu verallgemeinern. Die Twitter-Nutzung in Deutschland ist eher gering. Und Twitter-Nutzer sind überhaut nicht repräsentativ (gefühlt sind hier vor allem Politiker, Journalisten, Kommunikationsmenschen und Tekkies unterwegs). Anders sieht es meiner Meinung nach auf Facebook aus: mit deutlich mehr Nutzern inkl. „Volkes Stimme“, mit Algorithmen, die eine Filterblasen-Bildung eindeutig fördern. […]

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