Wie viel Populismus braucht das Land?

Eine interessante Frage, finde ich, während große Teile meines Umfelds auf vermeintlichen Populismus wie auf einen Betrunkenen in der Fußgängerzone reagieren: lieber auf Distanz bleiben, ist irgendwie ekelhaft, nicht dass er einem auf die Füße kotzt …

Nehmen wir das schöne Beispiel Maut, das die CSU wohl entgegen allen Prognosen und trotz allem Gespött der politischen Gegner durchsetzen wird. Ich lese überall, dass die Maut populistische Symbolpolitik sei. Das stimmt aber nur bedingt.

Die Maut in der CSU-Variante ist nur dann populistisch, wenn wir populistisch das nennen, was auf Stimmungen und Meinungen des Volkes aufsetzt und diese mit Vereinfachungen bedient. Das tut die CSU, denn ihre Maut basiert auf einem einfachen und sozusagen bipolaren Ungerechtigkeits-Gefühl: „Wir“ müssen Maut bezahlen, wenn wir bei „denen“ (Österreich, Schweiz …) durchs Land fahren. „Die“ müssen aber keine Maut bezahlen, wenn sie bei „uns“ durchs Land fahren. Dafür hat die CSU mit der „Maut für Ausländer“ eine einfache Lösung geschaffen, die alle Komplexität (EU-Recht, Wirtschaftlichkeit …) ignoriert.

Einfache Botschaften vs. intellektuelle Überlegenheit

Dazu gibt es nun vor allem zwei Ansichten: Die einen sagen Jawoll, stimmt, gut so. Dazu gehören übrigens bei weitem nicht nur einfach strukturierte Zeitgenossen, die es „denen da drüben“ mal so richtig zeigen wollen. Genauso wenig wie nur diejenigen Merkels Flüchtlingspolitik des letzten Jahres kritisieren, die „irgendwie keine Ausländer“ im Land haben wollen. Konzepte werden durch Vereinfachung nicht automatisch falsch.

Die anderen finden solche Pläne ganz schrecklich. In einer SPD-nahen Diskussion auf Facebook, in der ich pro Maut argumentierte, sagte man mir, diese Auffassung sei „so primitiv, dass man sich fremdschämen“ müsse (bevor ich dann geblockt und aus der Diskussion geworfen wurde). Das ist, glaube ich, ziemlich typisch für diejenigen, die sich gegen vermeintlich oder tatsächlich populistische Meinungen positionieren: Sie agieren von einem Standpunkt intellektueller und moralischer Überlegenheit aus. Damit wirken sie aber nur eskalationsverstärkend.

Populismus als Problem

Das Problem mit dem Populismus ist, dass er mehr ist als „Volkes Stimme“ minus Komplexität. Es gibt zwar in den Sozialwissenschaften keine einheitliche und allgemein akzeptierte Definition von Populismus, aber über ein paar Elemente ist man sich einig, etwa darüber, dass Populismus gar nicht aus sich selbst heraus für bestimmte Inhalte und Ideen steht, sondern sich in der Abgrenzung und Ausgrenzung von Gegnern definiert – bei Rechtspopulisten in meiner Filterblase Zwei etwa: Ausländer.

Populismus ist anti-intellektuell und propagiert den „gesunden Menschenverstand“, der anderen Erkenntnis stiftenden Methoden (z. B. wissenschaftlichen) nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen ist. Wenn wir über postfaktische Zeiten reden, liegt das also auch an einem stärker werdenden (oder stärker wahrnehmbaren) Populismus.

In seiner Parteinahme für das „einfache Volk“ und den „kleinen Mann“ ist Populismus institutionen- und damit letztlich demokratiefeindlich, wenn diese Institutionen wie in Deutschland und den USA demokratisch legitimiert sind. Er ist genauer gesagt für direkte und gegen repräsentative Demokratie und kann sich durch „Erfolge“ wie den Brexit darin bestätigt sehen. Da Populisten das „einfache Volk“ als (schweigende und zu kurz gekommene) Mehrheit ansehen, legen sie wenig Wert auf die Freiheit des Einzelnen, interessieren sich nicht für Minderheitenrechte und sind tendenziell antiliberal und intolerant. Zu guter Letzt geben sich populistische Bewegungen zwar volksnah, sind aber selbst elitär strukturiert und bilden charismatische Führungsfiguren mit Alleinherrschaftsanspruch aus.

(Selbst wenn man die CSU nicht mag und die Maut unnötig findet, wird man zugeben müssen, dass das ganze Thema vor diesem Hintergrund wenig mit Populismus zu tun hat. Und es nützt auch nichts, jeden, der eine einfache volksnahe Meinung vertritt, als Populisten zu beschimpfen.)

Die Zielgruppe von Populisten erreichen

Ein solcher Populismus bringt uns natürlich nicht weiter, im Gegenteil, er ist gefährlich und zu bekämpfen. Aber eben nicht mit elaborierten Differenzierungen und komplizierten Abwägungen. Wer die Teile der Bevölkerung erreichen will, die für Populismus anfällig sind, muss simple, schlagkräftige Botschaften senden und grob vereinfachen, auch wenn das der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Wer sich dafür zu fein ist, akzeptiert, eine größere Wählergruppe von vornherein abzuschreiben.

Um das mal zu personifizieren: Es dürfte klar sein, dass Angela Merkel auch in den nächsten vier Jahren ihrer Amtszeit niemand ist, der Populisten das Wasser abgraben kann. Als Physikerin, Diplomatie-Orakel und kraft ihres Amtes auf Ausgleich bedacht, taugt sie als Zielscheibe für Populisten, aber nicht, um ihnen Konkurrenz zu machen und deren Zuhörer zu erreichen.

Leider sind aber im Kabinett, in der Union und eigentlich in der gesamten großen Koalition die rhetorisch begabten Vereinfacher verschwunden. Früher waren Generalsekretäre prädestiniert, diese Rolle zu übernehmen, heute gibt es einen Peter Tauber, der mir persönlich sympathisch ist, was aber exakt das Problem beschreibt. Als Heiner Geißler noch Generalsekretär der CDU und nicht Elder Statesman war, hat er es geschafft, von Willy Brandt als „seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land“ bezeichnet zu werden.

So wie früher

Das alles heißt also nicht, dass wir Trump gut finden müssen oder uns ein deutsches Pendant wünschen sollten. Aber wir müssen wohl anerkennen, dass er wahlkampftaktisch erfolgreich war, und wir können uns wünschen, dass sich eine den demokratischen und humanistischen Grundwerten verpflichtete Partei darauf besinnt, auch die bildungsfernen und unpolitischen, mithin für Populismus anfälligen Wählergruppen zu adressieren.

Man kann es auch viel einfacher formulieren: Wir brauchen innerhalb der etablierten Parteien wieder viel mehr klare Kante jenseits der Mitte inklusive einfacher und schlagkräftiger Botschaften, die sich nicht vor Populismussensibilität fürchten. Soll heißen: Nur weil der politische Gegner zurzeit sehr schnell mit dem Populismus-Vorwurf zur Hand ist, heißt das noch nicht, dass Politiker auf einfache Botschaften verzichten sollten. Denn ich fürchte, viele Maßnahmen, die zurzeit diskutiert werden, gehen an der Zielgruppe vorbei: Fakten-Checks gegen Fake-News? Argumente statt Vorurteile? Alles ehrenwert, aber Köder, die eher dem Angler als dem Fisch schmecken.

Wenn man in Wahlanalysen sieht, dass praktisch alle Parteien Wähler an die AfD verloren haben, ist es Sache aller Parteien, diese Wähler auch wieder zurückzugewinnen. Mit differenzierten Konzepten für den intellektuellen Teil des Publikums und mit volksnahen Botschaften für den Rest. So wie früher eigentlich.

Lesenswert: Wesensmerkmale des Populismus auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung.

9 Gedanken zu “Wie viel Populismus braucht das Land?

  1. Der sogenannte Populismus nährt sich im Wesentlichen von Lügen und Bedrohung, und ich lege keinen Wert darauf, dass mir soetwas auf die Füsse gekotzt wird, denn Argumente kommen da ja nicht, ehr schon Agression und Gewalt. Der Populismus in Form von PEGIDA u.a. muss schlicht und ergreifend bekämpft werden, da ansonsten von der Demokratie bald nicht mehr viel übrig ist. Das Schlimme ist nur, dass insbesondere CSU-Politiker oder Talkshows im Fernsehen das auch noch hoffähig machen. Wehret den Anfängen, denn das hatten wir alles schon einmal in Deutschland!

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  2. Scharfsichtige Analyse.

    Ich sehe das ganz genau so. Wer sich zu fein ist, zu den gleichen Waffen wie der Feind zu greifen, muss sich später nicht wundern, dass dieser Feind einen besiegen konnte.

    Das Manko des Populismus ist ja, dass es ihn nicht schert, ob seine einfachen Botschaften auf evidenzbasierten Fakten beruhen. Und allermeistens tun sie das auch nicht.
    Man kann aber auch einfache Botschaften verbreiten, die objektiv nachprüfbar sind. Die sind dann zwar einfach und volksnah, aber nicht populistisch. Und das ist moralisch durchaus vertretbar.

    Der allgemein verbreitete Trugschluss vieler vermeintlicher Intellektuellen lautet: „komplex = wahr“ und „einfach = falsch“. Dabei können komplexe, differenzierte Konzepte genauso falsch und verlogen sein wie die einfachen. Abgesehen davon benötigen wir alle (Intellektuelle wie Normalbürger) Vereinfachungen, um in der Komplexität der Welt überhaupt zurecht kommen zu können. Ohne Vereinfachungen und Verallgemeinerungen gibt es keine Ordnung der Gedanken, keine Struktur und keine Orientierung.

    Ich glaube, das eigentliche Problem liegt darin, dass sich mittlerweile sehr viele Leute aus dem „bildungsnahen“ Milieu zu fein sind, um mit anderen Leuten aus anderen Milieus auf Augenhöhe zu reden. Sie grenzen sich lieber ab und greifen zu Kommunikationsformen, deren Hauptzweck genau diese Abgrenzung ist. Sie tun also genau das, was sie selbst den Populisten vorwerfen, und was eine wesentliche Eigenschaft des Populismus ist (siehe oben).

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  3. Populismus wird von allen Parteien geschrieen, aber was ist das. Auch dein Betrag konnte darüber nicht aufklären. Jeder Definiert das eben wie er will.. Du betreibst auch nur Populismus mit deinem Beitrag. Du beziehst auch nur Stellung und wem du Wählen würdest oder Wählen wirst. Aber was ist den nun in diesem Land los? Einheitsbrei unter allen Parteien. Das haben wir von Rot, Rot Grün, mit ein bissel Gelb. Wo sind den die ganzen Parteiprogramme? Vergleich doch mal die Programme ? Achso es gibt ja keine mehr.Genau das ist der Fehler den wir heute in unserem Land haben. Parteien sind früher mal für was angetreten. Siehe Grüne oder FDP. Unterschiedlicher gings doch nicht mehr. Und heute? Man redet nur noch nach dem Mund . Weil man ja nicht möchte das man seine Plätze in der Regierung verlieren möchte. Andere Menschen die dies nicht mehr hinnemen möchten werden dann als rechte Populisten beschimpft. Denkt doch mal darüber nach.Macht doch mal Vergleiche und schaut dann nach was die Leute wollen? AFD und Linke sind fast auf eine Welle. Sind das alle Populisten? Leute die die keiner Partei angehören, wollen ihre Stimme auch geben und wenn es eben Pegida ist , dann haben die anderen Parteien irgend was falsch gemacht. Man regiert nur noch wie es die gewählten wollen. Nicht mehr warum man gewählt wurde. Hier geht es doch los. Auch ich gehörte mal der FDP an, aber um so tiefer man einblickt um so schlechter wird einem. Nur noch Macht zählt . Kein Programm. Für mich sind Populisten nur Leute die den ganzen Einheitsbrei der regierenden Parteien wiedergeben. Nicht die Menschen die , die für was auch immer, auf die Strasse gehen. Denn diese wollen was ändern.

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  4. Ein Gesichtspunkt kommt in deiner Analyse allerdings ein wenig zu kurz, und zwar ein ganz wichtiger. Sicherlich der Grund, warum wir dieses Themenfeld zur Zeit (nicht nur in Deutschland) so rege diskutieren:
    Populismus ist ein Krisensymptom. Er tritt immer dann verstärkt auf, wenn das demokratische System in einer Krise steckt (oder gerade dabei ist, in eine solche zu schlittern).
    Und Populismus hat nicht immer unrecht. Manchmal trifft er sogar mitten in einen wunden Punkt.
    Und dieser wunde Punkt ist eben diese Überheblichkeit, dieser „Standpunkt intellektueller und moralischer Überlegenheit“. Wer als Politiker diese deutliche Kritik nicht ernst nimmt und nicht gegensteuert, indem er seine Haltung und sein Verhalten ändert, muss sich wirklich nicht wundern.

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  5. Vielleicht sind wir ja noch viel zu naiv. Vielleicht steht die Demokratie auf verlorenem Posten, weil echte Demokraten sich instinktiv weigern, ihre möglichen Wähler zu manipulieren. Und weil Populisten da keine Hemmungen haben.

    Wie perfide das System populistischer Manipulation mittlerweile funktioniert und wie ausgereift die Technologie mittlerweile ist:
    https://www.dasmagazin.ch/2016/12/03/ich-habe-nur-gezeigt-dass-es-die-bombe-gibt/

    Wenn jedes Individuum mit individuell zugeschnittenen „einfachen Botschaften“ individuell gesteuert wird, ist eine echte demokratische Meinungsbildung gar nicht mehr möglich. Wer jedem Wähler ein auf ihn zugeschnittenes Parteiprogramm präsentieren kann, wird gewählt. Damit ist die Demokratie (so gut wie) abgeschafft.

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  6. … aber vielleicht ist die Technologie doch noch nicht so ausgereift und das ganze ist nur ein schlauer Werbetrick? Naja, dann können wir uns ja beruhigt zurücklehnen und vor uns hindämmern, bis es wirklich funktioniert … in allerfernster Zukunft.

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