Wütende Autofahrer

Es ist die erste Kalenderwoche des neuen Jahres, meine erste Arbeitswoche, viele haben noch Urlaub, auf den Straßen ist es ruhig, kein Schnee, wenig Verkehr … Und doch explodiert der Mensch im Auto hinter mir fast vor Wut … Warum nur?

Er ist mittelalt, männlich, fährt einen SUV und erfüllt damit zu 100 Prozent die Voraussetzungen für einen zornigen deutschen Autofahrer. Wir sind auf der A73 hinter Erlangen, das Tempo ist auf 80 beschränkt. Er kam von der A3 über das Kreuz auf die A73 und klemmte erst mal auf der rechten Spur hinter einem LKW. Auf die linke Spur konnte er nicht, denn da war ich. Das kann einen schon zur Verzweiflung treiben.

Ich fahre also gemütlich am LKW vorbei, er wechselt auf die linke Spur, klemmt nun hinter mir und gestikuliert wie ein Flugfeld-Lotse auf Speed. Sein Mund bewegt sich. Das gleichermaßen Kuriose wie Beruhigende, wenn man solche Leute im Rückspiegel beobachtet, ist ja, dass man nicht weiß, aber ahnt, was sie sagen. In meinem Rückspiegel-Stummfilm ging es jedenfalls mutmaßlich nicht freundlich zu. Bad Karma. Das überträgt sich auch ohne Tonspur.

Als ich am LKW vorbei bin, wechsel ich auf die rechte Spur. Ein bisschen langsamer als nötig, so viel Spaß muss sein. Er ist jetzt kurz vor dem Ausnahmezustand. Roter Alarm. Es muss ihn viel Selbstbeherrschung kosten, mich nicht von der Straße zu kicken, um ENDLICH vorwärts zu kommen. Wild gestikulierend, Fäuste schwingend und stumme Flüche schleudernd überholt er mich. Dabei blinkt er rechts und wieder links und rechts und hier und da, um mir irgendetwas mitzuteilen, was genau, erschließt sich mir nicht. (Noch so eine Eigenschaft des mittelalten männlichen deutschen Autofahrers: Er ist nicht nur wütend, er will die Idioten auf den Straßen (= alle außer er selbst) belehren, wie es richtig geht. Im deutschen Autofahrer treffen sich wie nirgendwo sonst Wutbürger und Oberstudienrat und verschmelzen zum wütenden Oberstudienbürger.)

Während er davon zieht, frage ich mich zweierlei. Erstens: Warum, oh Schöpfer des Himmels und der Erde, steht nie ein Blitzer am Straßenrand, wenn man ihn mal brauchen könnte? Und zweitens: Was habe ich falsch gemacht?

Die Antwort ist einfach: Ich habe beschlossen, mich dieses Jahr im Großen und Ganzen an die Geschwindigkeitsbeschränkungen zu halten. Ich fahre also nicht mehr 100, wo 80 erlaubt ist (gerade so viel zuviel, dass es nicht richtig wehtut, wenn man erwischt wird). Ich fahre stattdessen knapp 90. Abzüglich Tacho-Ungenauigkeit und ein bisschen Toleranz ist das ja ungefähr 80. Ich fahre wohlgemerkt nicht langsamer als erlaubt. Aber ich fahre offenbar langsam genug, um apokalyptische Wutanfälle auszulösen.

Ich bin gespannt, wie das weitergeht. Das nächste Problem bei Tempo knapp 90 ist, dass einen die ersten LKW mit Tempo 92 zu überholen beginnen. Das löst vermutlich neue Wutanfälle bei nachfolgenden Oberstudienbürgern aus. Ich bin mir nicht sicher, ob die Idee, sich im Großen und Ganzen an Geschwindigkeitsbeschränkungen zu halten, wirklich zu einer allgemeinen Entspannung im Straßenverkehr beiträgt.

Ach, was freue ich mich aufs autonome Fahren, wenn sich alle automatisch exakt im vorgegebenen Tempo und wie am Schnürchen gezogen bewegen, gesteuert von Computern, die nie wütend werden.

8 Gedanken zu “Wütende Autofahrer

  1. Ich fahre in München oft auf dem Mittleren Ring West, wo seit einigen Jahren aus Luftreinhaltungsgründen 50 km/h vorgeschrieben sind, im Berufsverkehr auf der linken Spur mit 57 km/h mit Tempomat. Links, weil von rechts immer wieder der Verkehr einfädelt. Im Normalfall funktioniert das sehr gut. Aber es gibt viele Bürger, die zu spät aufgestanden / losgefahren sind oder möglichst schnell nach Hause kommen müssen. Aber das Bild ist genau das, das Du gezeichnet hast.
    Besonders seltsam ist aber das Verhalten bei den zwei fest installierten Blitzern. Zuerst wird man mit Fernlicht geblendet, denn offensichtlich meint man, im Kolonnenverkehr nicht rechts vorbeifahren, aber sehr wohl schneller als erlaubt fahren zu dürfen. Irgendwann wird dann doch rechts überholt, um dann 20 Meter vor dem Blitzer auf unter 50 km/h abzubremsen, nur um gleich darauf wieder auf 70 zu beschleunigen.
    Ich verstehe das auch nicht mehr. Würde jeder einfach konstant max. 60 fahren, wäre das sehr entspannt. Aber das klappt wohl nicht.

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  2. Ich glaube ja der wütende, deutsche Autofahrer wünscht er sich eine Art K.I.T.T., aus dem er alles mögliche auf den lästeigen Vordermann abschießen kann. Da das glücklicher Weise nicht erlaubt ist, muß er sich der Lichthupe bedienen. Ach ja und blinken wird auch überbewertet.

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  3. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens war, 1990 spontan mein Auto zu verkaufen. Ich hatte für eine Strecke, die ich mit der U-Bahn in 6 Minuten gefahren wäre, zweieinhalb Stunden gebraucht. Seit ich nur noch mit Bus und Bahn fahre, ist meine Lebensqualität deutlich gestiegen, Portemonnaie und Nervenkostüm werden konstant geschont. Nu hab ich aber als Großstadtpflanze auch leicht reden…

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  4. Ich habe den Eindruck, da ändert sich zurzeit viel. Ein Auto in einer Großstadt mit gutem ÖPNV zu haben, kommt tendenziell aus der Mode. Und selbst bei uns in der kleinen Großstadt, ist das kein Standard mehr. Als ich Führerschein gemacht habe, war das gar keine Frage, und ich wollte auch unbedingt Auto fahren. Mein ältester Sohn hat kürzlich den Führerschein gemacht und braucht ihn jetzt kaum. Und mein mittlerer hat uns gerade mitgeteilt, dass er momentan eigentlich keine Zeit hat, um den Führerschein zu machen – er hat Wichtigeres zu tun. Nur bei meinem Pendeln zwischen Erlangen und Nürnberg hat das Auto noch klare Vorteile …

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  5. Ich habe weder Auto noch Führerschein. Möchte aber nicht wissen, wie sehr die Autofahrer hinter mir ausrasten wenn ich bei Tempo 50, doch tatsächlich 50 fahre.

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  6. Den Ärger über diesen lichthupenden, blinkenden, gestikulierenden SUV-Fahrer kann ich verstehen.
    Vor vielen Jahren schon erzählte mir der erste SUV-Besitzer, den ich traf, – ich durfte auch mitfahren -, er hätte das Format gewählt aufgrund der Rückenbeschwerden; der höhere Einstieg und Sitz erleichtere das Ein- und Aussteigen. Das Argument, nicht völlig von der Hand zu weisen, auf diese Situation bezogen hieße: vermutlich war der leidende Fahrer zu spät zur Rückengymnastik ???
    Wird nun dadurch die Welt zu einem Tollhaus?
    Auch das Bahn-Pendeln Nürnberg – Erlangen, das ich lange Zeit „in vollen Zügen“ genießen konnte, bewahrt nicht vor Verdruss. Heute hat eine Bombendrohung auf einen ICE hier den Schienenverkehr, den Fahrplan, die fleißigen Eisenbahner und Polizisten gestresst und vermutlich Hunderte, wenn nicht Tausende Fahrgäste aus dem Takt gebracht. In Südbayern war’s der Schnee.
    Insoweit die Bewährungsprobe für den Vorsatz der gelassenen Verkehrsteilnahme. Nicht immer gelingt mir die Besinnung auf die alte Redensart: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben.“
    Regionale Grüße, Bernd

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