Nicht im Krieg mit Russland

Ich habe jetzt öfter diese sehr dämlichen digitalen Sticker gesehen: russische Flagge, Friedenstaube und die Worte „Ich bin nicht im Krieg mit Russland“ …

Menschen posten sie in ihrer Timeline, auf WhatsApp oder sonst wo, und ich denke mir: si tacuisses philosophus manisisses. Oder auf Deutsch: Was für ein epochaler Schwachsinn. Ja, klar bist du nicht im Krieg mit Russland. Du sitzt gemütlich auf deinem Sofa, Tasse Kaffee in der linken Hand, Smartphone für ein paar Hundert Euro in der rechten Hand, chillst ein bisschen, überlegst, ob du Bundesliga schauen sollst oder lieber ein Nickerchen machst, planst vielleicht den nächsten Urlaub (Malle? Thailand? Oder doch lieber Campingplatz am Gardasee?) und kommentierst das Weltgeschehen. 

Jo, und dann posten wir halt mal eine russische Flagge mit ner Friedenstaube drauf. Ja, du bist nicht im Krieg mit Russland, mein Freund, aber andere Menschen sind im Krieg mit Russland, und sie haben sich das nicht ausgesucht, weil Russland sie völkerrechtswidrig angegriffen, ihr Land annektiert, Hunderte Raketen und Tausende Artilleriegeschosse auf sie abgefeuert, ihre Landsleute ermordet, gefoltert und vergewaltigt, ihre Kinder verschleppt hat. Echt ein großes Sorry, dass diese Menschen sich wehren und dich damit medial belästigen, denn das ist so ziemlich die einzige Auswirkung des Krieges, die du spürst und erlebst: dass du gelegentlich beim Scrollen oder Zappen eine Schlagzeile oder ein Bild aus dem Kriegsgebiet zu sehen bekommst. Frechheit! 

Wohlstandsverwahrlost und emotionsverkrüppelt wie du da auf deinem Sofa sitzt, hätte ich einen Vorschlag für dich: Ich mache dich mal mit Menschen bekannt, die mit Russland im Krieg sind. Das sind nämlich Europäer wie du und ich, und jetzt sind sie sogar in unserem Land, in unserer Nachbarschaft. Die haben einiges hinter sich und noch einiges vor sich, die sind aus ihrem Land geflohen, und zwar nicht, weil sie das irgendwie nett fanden, sondern weil ihre Heimatstadt unter Beschuss stand und russische Soldaten marodierend durch ihre Stadt gezogen sind und den Krieg nicht zu deinem Krieg, aber zu ihrem Krieg gemacht haben. 

Sie haben Menschen in ihrer Heimat zurückgelassen, die ihnen lieb und teuer sind, sie haben eine tagelange Reise ins Unbekannte gewagt, in ein Land, dessen Sprache sie nicht sprachen und bei dem sie nicht wussten, wie wir sie empfangen würden. Sie haben das aus einem einzigen Grund getan: weil sie Angst um ihr Leben hatten. Zum Glück hat dich niemand gefragt, ob sie bei uns willkommen sind, denn es ist ja nicht dein Krieg, also sind das auch nicht deine Kriegsflüchtlinge, soll sich doch bitte jemand anderes um sie kümmern oder, besser noch, sollen sie sich nicht so anstellen und wieder zurück gehen. Denn lass mich raten, wenn es einen Sticker mit der Aufschrift „Das ist unser Land“ gäbe – du würdest ihn irgendwo hin posten. (Gibt es natürlich, ich weiß.)

Das ist nicht dein Krieg, aber ich habe eine schlechte Nachricht für dich: Das ist noch nicht dein Krieg. Und dass es zu deinem Krieg werden könnte, liegt nicht daran, dass die Ukrainer sich wehren und wir sie dabei unterstützen. Das Gegenteil ist der Fall: Würden wir die Menschen in der Ukraine ihrem Schicksal überlassen, dann könnte das ziemlich schnell zu deinem Krieg werden. Oder zumindest könnte der Krieg erst mal ein gutes Stück näher an deine gemütliche Wohlstandswelt heranrücken. Frag mal die Polen oder die Menschen in den baltischen Staaten, wie groß ihr Vertrauen in russische Zurückhaltung ist, wenn Russland in der Ukraine ein flotter Durchmarsch gelungen wäre, bei dem der Westen nur zugesehen hätte (denn der Westen hätte ja wie du sagen können: Das ist nicht unser Krieg!). 

Aber wahrscheinlich bist du auch kein Freund der NATO, denn hey, wenn sich dann eines Tages, durch westliche Tatenlosigkeit ermutigt, Russland ein kleines Stück von Polen oder dem Baltikum einverleiben will (und wer weiß, wenn‘s gut läuft auch ein großes Stück), dann ist das natürlich auch nicht dein Krieg.

Ach ja, ich bin übrigens auch nicht im Krieg mit Russland, keiner von uns ist das. Aber ich trage diesen Satz nicht wie eine Monstranz vor mir her, ich drucke ihn nicht auf Buttons und T-Shirts und vor allem erspare ich den Opfern des Krieges in meiner Nachbarschaft, ihn lesen zu müssen. Denn für sie ist dieser Satz reiner Hohn, ein Schlag ins Gesicht, ein pseudo-friedensbewegtes „Leck mich“. Jeder kann sich solidarisieren mit wem er will, mit Tätern oder Opfern. Und jeder hat das Recht, sich nur um seinen Kram kümmern zu wollen, Aber dann sei bitte so ehrlich und schreib genau das in deine Timeline: „Lasst mich in Ruhe mit diesem Krieg, er geht mich nichts an, und was da passiert, ist mir komplett egal.“

Mein lieber Freund, der Friedenstauben und wirklich dumme Sprüche auf russischen Flaggen postet: Bitte verschone uns mit deinem als Friedensbotschaft getarntem Zynismus. Sascha Lobo würde dich einen Lumpen-Pazifisten nennen, und er hat Recht, denn bei deiner Haltung handelt es sich „um eine zutiefst egozentrische Ideologie, die den eigenen Befindlichkeitsstolz über das Leid anderer Menschen stellt. Lumpen-Pazifisten mögen mit der Realität nicht besonders viel anfangen können, aber sie sind nicht in erster Linie naiv, wie ihnen oft vorgeworfen wird. Naivität ist unangenehm, aber keine Schande. Lumpen-Pazifisten sind zuvorderst selbstgerecht. Es sind Menschen, die sich eine Jacke anziehen und sofort vergessen, was es heißt zu frieren. Menschen, die ihren Stuhlkreis-Prinzipien auch um den Preis des Lebens Dritter folgen. Menschen, die im Angesicht des russischen Angriffshorrors in der Ukraine nichts tun wollen, genau: nichts.“ 

Lies das mal. Du wirst dich wiedererkennen. 

16 Gedanken zu “Nicht im Krieg mit Russland

  1. Das ist schon erschütternd, mit welchem hirnlosen Unfug, diese „Ist nicht mein Krieg“ Leute argumentieren. Da könnte ich gar nicht so viel essen, wie ich kot… könnte. Solchen Leute würde ich zu gerne ein oneway-Ticket an die ukrainische Ostfront spendieren. Meiner Meinung nach wird’s schon sehr schwierig, wenn sich laute Dummheit hinter dem Recht auf Meinungsfreiheit verschanzt, wie das ja auch Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer auf ihrer Demo in Berlin inbrünstig taten. Einige der dort interviewten Demonstranten sollten wg Dummheit eigentlich nicht mal eine Kassette nach vorne spulen dürfen. Zu offensichtlich war, dass sie nicht den Hauch einer Ahnung davon hatten, wovon sie da fabulierten. Und wie gesagt, das hat für mich einfach nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun, nur mit blanker Dummheit. Aber wir haben eben das große Glück, in einem Rechtsstaat zu leben, in dem auch das Recht auf Dummheit im Grundgesetz abgedeckt ist. Auch wenn das für mich manchmal nur sehr schwer zu ertragen ist .

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  2. Wenn denn _diese Leute_ läsen, was du (so richtig) schreibst und ihr Verhalten reflektierten, ach was wäre das schön…!
    Ich verstehe dein „Dampfablassen“ (so interpretiere ich das) – und begebe mich soifzend in das nächste dieser nervenaufreibenden, den-Glauben-in-die-Menschheit noch ein bisschen mehr verlierende, Gespräch.

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  3. Chapeau!, danke für diese deutlichen Worte!
    Der Sticker ist mir noch nicht begegnet, aber vielleicht schaue ich nicht genug hin. Dafür sprayed man das hier an Häuserwände, was nicht weniger dumm ist, wenn man bedenkt, dass die polnische Grenze gerade mal eine Auto-Stunde von hier weg ist. Und Kriege heute werden immer seltener mehr per Auto geführt

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