Ach, und übrigens … (39): AfD-Freunde entfreunden und Brexit heißt Brexit

Heute mal Politik: Kaum gewinnt die AfD in Meck-Pomm 20 Prozent, finden auf Facebook wieder große Timeline-Säuberungsaktionen statt. Und England arbeitet mit Hochdruck am Brexit. Oder so ähnlich …

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Neulich las ich auf Facebook mal wieder, dass jemand seinen Freundeskreis kritisch gescannt hat. Alle, die auf der AfD-Seite „Gefällt mir“ geklickt hatten, wurden entfreundet. Die Kommentare zu dieser Aktion waren allesamt zustimmend, es gab zahlreiche Nachahmer und man lobte, dass die Timeline jetzt wieder „sauber“ sei.

Das finde ich aus einer ganzen Reihe von Gründen schwierig, ohne auch nur einen Hauch Sympathie für die AfD zu verspüren.

Erstens gefällt mir schon die ganze „Säuberungsaktion“ an sich nicht. Nach guter und schlechter Gesinnung unterscheiden und dann digitale Verbannung oder nicht? Geht’s noch? Bin ich der einzige, bei dem da historisch und kulturell Alarmglocken schrillen? Die Geschichte der Menschheit ist reich an gesinnungsethischen Säuberungsaktionen, und meist zogen sie nichts Gutes nach sich, sondern schlicht große Scheiße.

Zweitens heißt es noch gar nichts, wenn man auf der AfD-Seite auf „Gefällt mir“ klickt, jedenfalls nicht automatisch, dass einem die AfD gefällt. Facebook hat diesen Abo-Button nun mal „Gefällt mir“ genannt, aber es ist und bleibt ein Abo-Button. Wenn ich, aus welchen Gründen auch immer, gelegentlich wissen will, was diese Partei so von sich gibt, muss ich auf „Gefällt mir“ drücken.

Und drittens halte ich es für einen Fehler, die eigenen Timelines auf Twitter, Facebook und wo auch immer so zu konfigurieren, dass nur noch eigene Positionen bestärkt und andere Meinungen weggefiltert werden. Ich kann im Gegenteil jeden nur auffordern, bewusst konträre Positionen zuzulassen, auch wenn es Facebook weniger kuschelig und Twitter weniger gemütlich macht. Macht Löcher in eure Filterblasen!

Dass das geht, bestätigt Mario Sixtus in einem lesenswerten Beitrag, in dem er klarstellt, dass unsere Filterblasen weniger das Werk „böser Algorithmen aus US-amerikanischer Internet-Konzern-Fertigung“, sondern vor allem auf unserem eigenen Mist gewachsen sind:

Filterbubbles sind handgefertigt, mit Hilfe digitaler Werkzeuge zwar, aber in höchstindividueller Manufaktur. Und das macht die ganze Angelegenheit viel schwieriger als wären die Blasen made in Silicon Valley oder sonstwo. Die Kunst des Blasenbastelns ist nämlich praktisch identisch mit der Kunst des Informationsmanagements im 21. Jahrhundert. Wer seine Nachrichtenfeeds sortiert, seine Expertenbookmarks sammelt, Menschen und Medien folgt, denen er vertraut, Trolle und Hater blockt, sich Communities sucht, die seinen Interessen entsprechen, der kann sich mit genau den gleichen Handlungen eine wunderhübsch kuschelig-dichte Blase basteln – einfach, in dem er all das übertreibt.

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Dazu passt dieser schon etwas ältere ZEIT-Artikel zur Debattenkultur in Deutschland, die dem Autor zufolge zunehmend durch „inflationäres Beleidigtsein“ geprägt ist: „Eine Gesellschaft, die es nicht schafft, in schwierigen Streitfragen miteinander im Gespräch zu bleiben, und die stattdessen mit Anschuldigungen um sich wirft, verhärtet sukzessive ihre ideologischen Fronten und erzeugt ein Klima der Feindseligkeit, das Kompromisse irgendwann unmöglich macht.“ Das ist zweifellos auch eine Folge der zunehmenden Filterblasen-Abschottung: maximale Empfindlichkeit bei der Konfrontation mit anderen Meinungen. Wir öffnen also bitte nicht nur unsere Filterblasen, sondern wappnen uns zusätzlich noch mit Gelassenheit und bekommen nicht gleich Schnappatmung, nur weil jemand eine kleine Delle in unser allzu rundes Weltbild macht. In den Worten der ZEIT:

Wenn wir unsere liberale Normalität und unsere nahezu uneingeschränkte Kunstfreiheit langfristig erhalten wollen, müssen wir endlich zu der Einsicht kommen, dass sich hinter überbordenden Shitstorms und permanent „verletzten Gefühlen“ keine menschlichen Tragödien verbergen, die es zu bedauern gilt. Sondern Belege dafür, dass glücklicherweise immer noch viele Menschen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und unzensierten Humor in Anspruch nehmen.

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Ach, und übrigens: Was macht eigentlich der Brexit? „Brexit heißt Brexit“, wird Premierministerin May nicht müde zu betonen, und die Süddeutsche Zeitung (kostenpflichtig) entdeckt darin zu Recht Poesie:

Neulich ist es May gelungen, das Schöne noch schöner zu machen, indem sie sagte: „Brexit heißt Brexit, weil es genau das heißt.“ Das war in seiner Sinnlosigkeit erhaben, man konnte sich sogleich ein Stück von Samuel Beckett vorstellen, in dem zwei Protagonisten darüber räsonieren, was Brexit heißt, und immer wieder und schließlich zu dem Schluss kommen: Es heißt wohl Brexit.

Und wann kommt es denn nun zum Brexit? Dazu wolle Frau May aktuell keinen Kommentar abgeben, berichtet die Süddeutsche und interpretiert: „Wohlmeinende Beobachter sagen, sie wolle ihr Blatt nicht zeigen. Die Mehrheit der Beobachter ist sich hingegen ziemlich sicher, dass May gar kein Blatt hat. Sprich: Sie weiß selber noch nicht, was sie will.“

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13 Gedanken zu “Ach, und übrigens … (39): AfD-Freunde entfreunden und Brexit heißt Brexit

  1. Gute Freunde – schlechte Freunde? Wir haben freies Wahlrecht und jeder darf wählen was er will. Was passieren kann wenn einem die andere Meinung nicht passt: da braucht man nur mal kurz in die Türkei schauen.
    Nicht jeder, der die AFD wählt ist ein Nazi – genausowenig wie jeder ein Idiot ist, der bei PEGIDA mitrennt. Das ist die politische Freiheit in unserem Land, dass jeder das Recht hat seine Meinung zu sagen – auch wenn Sie anderen nicht gefällt. Das muss eine Demokratie aushalten können – und eine Freundschaft (selbst wenn Sie nur in sozialen Netzwerken existiert) auch!

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    • Vielleicht ist nicht jeder, der AFD wählt, ein Nazi. Aber jeder, der bei Pegida mitrennt, ist ein Idiot, da bin ich mir ziemlich sicher. Zumindest ist das meine Meinung (die anderen vielleicht nicht passt). Und wer AFD wählt, ist auch ein Idiot.
      Jetzt kann man natürlich über die negative Konnotationen und das Diskrimiminierungspotential des Wortes „Idiot“ diskutieren.

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      • Sehen Sie – nehmen wir Ihren Kommentar als Beispiel: obwohl er mir zu wertend ist, akzeptiere ich ihn. Das ist Demokratie und es gehört auch zur Diskussionskultur, dass man sachlich argumentiert.
        Zum Thema Pegida: wenn ich mich an die Zeit Ende 2014 erinnere, dann war defacto JEDER, der etwas gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sagte, mit sofortiger Wirkung ein Nazi – selbst wenn die Argumente durchaus stichhaltig waren.
        Ich habe selber dazu mal meinen eigenen Blogbeitrag geschrieben:
        http://www.nerd-o-mania.de/wordpress/2016/04/17/vom-tod-des-schupos-warum-kssen-in-der-ffentlichkeit-eine-gefahr-fr-den-weltfrieden-ist-und-warum-jussuf-nicht-carlos-ist/
        halten Sie mich jetzt auch für einen Rechtsextremen?
        Ich denke, dass viele Bürger bei der Pegida mitmachten um ihre Bedenken zu multiplizieren – selbst wenn Sie mit der grundsätzlichen Einstellung von Pegida und den Wortführern nicht im mindesten einverstanden waren. Ich denke, dass auch die AFD nur deshalb bei den letzten Wahlen so stark zugelegt hat.

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      • @Peter: ich denke, das Problem ist genau das: Diese Angst vor Wertungen. Oder wenn man Wertungen von anderen moralisch abwertet und nicht bemerkt, dass man dabei selbst wertet. Wertung und Sachlichkeit sind doch gar kein Widerspruch. Oder Sie sind nicht sachlicher als ich, nur weil Sie das Wort Idiot nicht in den Mund nehmen wollen.

        Die Angst vor eindeutigen und klaren Wertungen führt schließlich dazu, dass man sogar AFD aus Protest wählt oder bei Pegida mitläuft, weil man nicht Nazi genannt werden will.
        Ich halte das nicht nur für absurd, dumm oder ungebildet. Ich halte das schlichtweg für idiotisch, da diese Blauäugigkeit äußerst gefährlich ist. Sie ist der Nährboden für den Erfolg dieser gefährlichen Gruppierungen.
        Die Hemmung vor eindeutigen Wertungen führt schließlich dazu, dass die eigentlich offensichtliche Gefährlichkeit gar nicht wirklich wahrgenommen werden kann, da sie in den ganzen Relativierungen verschwimmt.

        Das Schlechte wird nicht dadurch besser, dass man es aus vermeintlich guten Motiven tut. Auch bei Pegida mitlaufen wird dadurch nicht besser.

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  2. Natürlich habe ich meine Freundesliste auch schon auf AfD-Gefällt-mir gescsannt. Jeder neugierige Mensch macht so was. Ich finde z.B. einen guten Freund und Journalisten, dem die AfD-Seite „gefällt“. Warum wohl?
    Es wäre törricht, ihn zu kicken.
    Auf der anderen Seite habe ich reichlich Leute, denen die AfD zwar nicht gefällt, die aber einschlägige obskure bisweilen sehr üble Memes streuen, Hetzberichte teilen etc. aus meiner Freundesliste gewuppt. FB-Freunde sind keine Freunde, und nur weil wir ein Hobby teilen und uns darüber vernetzt haben, muss ich an solchen Leuten nicht festhalten.
    Mir nämlich macht es fortgesetzt schlechte Laune, wenn ich FB öffne und torpediert werde mit Hetze über stehlende, vergewaltigende, bombende Flüchtlinge, die uns alles wegnehmen, Aufrufen zum Deutschtümeln, Rettung der Gipfelkreuze, Burkabedrohung etc.
    Sorry – und ich will nicht permanent dadurch in schlechte Laune versetzt werden. Also entferne ich mich aus ihrem Umfeld.
    Dann lass ich eben meine Facebook-TL eine Filterblase werden – ich würde mich mit solchen Leuten auch nicht in einer Kneipe auf ein Bier zusammensetzen. Warum muss ich sie also dort ertragen?

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  3. Stimme ja bei fast allem zu. Auch, dass es ziemlich dümmlich ist, „gefällt mir“ bei FB als gefällt mir zu lesen.
    Aber diese eher irrational motivierten und harmlosen Löschtätigkeiten der Kommunikationskontakte von nicht befreundeten Freunden mit ethnischen Säuberungen gleichzusetzen (oder auch nur zu vergleichen), ist dann doch reichlich überzogen, oder?

    Eine andere Frage ist, ob jemand, der die objektive Konfrontation mit anderen Meinungen nicht scheut, diese Auseinandersetzung dadurch verhindert, dass er die Facebook-Seite der AFD nicht abonniert?

    Ich muss doch nicht jeden Mist lesen, den Leute schreiben, von denen ich schon weiß, dass sie generell bösen Mist verbreiten!
    Man muss auch mal auf Distanz gehen können. Und dieses Auf-Distanz-Gehen, diese Ablehnung bestimmter Meinungen ist AUCH eine Manifestation einer Meinung.
    Ich muss Meinungen, die ich aufgrund meiner liberalen und demokratischen Gesinnung zulasse, nicht tolerieren. Ich muss offensichtlich Schlechtes nicht gutheißen, und ich muss nicht alles immer weiter relativieren und differenzieren. Sonst bleibt am Ende nur ein grauer Einheitsquark übrig.

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  4. @ Lutz Prauser und pakagunies : Natürlich schmeiße ich auch Leute aus meiner Timeline, die mir dauerhaft auf die Nerven gehen oder allzu viel Unsinn schreiben, und natürlich gibt es keine Pflicht, sich durch ausgewogene, aber dafür höchst nervige Timelines zu quälen. Ich erwische mich nur manchmal dabei, dass ich bei einem Beitrag denke: So ein Quatsch, den „entabonniere“ ich jetzt. Und diesem Impuls sollte man erst mal widerstehen. Wenn es sich um Hetzte oder dauerhaften Schwachsinn handelt: weg damit. Wenn es nur eine andere Meinung ist: aushalten.

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  5. Das Problem ist ja gerade, dass man als Leser und Zensor in Personalunion zur eigenen Selbstzufriedenheit, gerne Meinungen, die einem nicht in den Kram passen, als Hetze und/oder Schwachsinn klassifiziert. Wie sehr darf man seinem eigenen Urteil trauen? Wenn es doch gerade darum geht, die eigene Urteilsfähigkeit zu erweitern, indem man andere Meinungen zulässt. Oder zu beschränken, indem man sie nicht zulässt!

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  6. 1. Wer bitte ist Mario Sixtus?
    2. Was zur Hölle sind Filter Bubbles?
    3. Und was genau ist das Problem?
    Ratlos.
    Ich habe das Gefühl, es ist wie mit dem teuren Berater, von dem ein Kollege sagte: „Wir brauchen ihn dringend. Und zwar, weil er Probleme für uns löst, die wir ohne ihn nicht hätten“.

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  7. 1. Jemand, der keine Angst haben möchte.
    2. Die Filterblase ist die allgemeine menschliche Tendenz, nur Meinungen an sich heranzulassen, die das eigene Meinungsspektrum bestätigen.
    3. Das Problem ist, dass zuviele überhaupt kein Problem sehen.

    „Weil er Probleme löst, die wir ohne ihn nicht hätten.“ – Guter Witz, der oft zutrifft.
    Andererseits gibt es da auch so eine menschliche Neigung: Man beseitigt den Überbringer der schlechten Nachrichten und glaubt damit alle Probleme beseitigt zu haben.

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