Die letzten fünf Serien: ein Desaster, Betrug am Zuschauer – aber auch ein neuer Walter White

Höhen und Tiefen in der heutigen Serien-Rückschau: ein deutsches Desaster,  eine moderne Odyssee, ein Trickbetrüger, der sich mit Bryan Cranston anlegt, ein Kiefer Sutherland, der so tut als wäre er nicht Jack Bauer, und eine merkwürdige Mystery-Serie …

You Are Wanted (Amazon)

Was für ein Desaster: die erste deutsche Produktion von Amazon für den internationalen Markt – und dann das. Was vordergründig sehr stylish und modern daherkommt, ist eigentlich nur ein schrecklich langer Tatort. Eine lahme, völlig überraschungsarme Story, hölzerne Darsteller, Klischees ohne Ende, null Gefühl für Timing und Tempo. Ständig starrt jemand bedeutungsschwanger in die Kamera oder ins Leere. Die Polizisten: ein einziger Haufen Pappnasen. Figuren und Charaktere sind, wie sie sind: keine Komplexität, keine Entwicklung, reine Holzschnitte. Es ist mir ein Rätsel, wie irgendwer das spannend finden kann. Mein Lieblingsdialog gleich in Folge 1: Der Postbote bringt ihr ein Paket. Sie: „Was ist denn das?“ – Er: „Ein Paket.“

American Odyssey (Netflix)

Nein, es geht nicht um einen Krieger aus Ithaka, der auf verschlungenen Wegen versucht, in die Heimat zurück zu kommen. Es geht um eine Kriegerin aus den USA, die auf verschlungenen Wegen versucht, in die Heimat zurück zu kommen. Warum ihr das so schwer fällt: Sie wurde Zeugin einer Verschwörung zwischen islamistischen Terroristen und einem finanzstarken US-Konzern. Daraufhin wird ihre Einheit von Söldnern in die Luft gejagt, sie für tot erklärt und ihr Leben zur Hölle. Während sie durch Nordafrika flieht, kommen ein Ex-Staatsanwalt und ein Journalist den Machenschaften in den USA auf die Spur, was sich als ebenfalls nicht ungefährlich herausstellt. Die Guten: eine Soldatin, ein Drogenschmuggler, die New York Times; die Bösen: das US-Militär, das Big Business – und das lange vor Trump. Flott inszeniert, spannend, manchmal einen Tick zu viel verschwörungskonstruiert. Aber hat Spaß gemacht. Die Cliffhanger am Ende deuten auf eine zweite Staffel hin, aber aufgrund schlechter Einschaltquoten war nach Staffel 1 schon Schluss.

Sneaky Pete (Amazon)

sneaky-peteSneaky Pete ist eine weitere Amazon-Serie, von der zunächst eine Pilotfolge produziert wurde, zu der die Zuschauer sich dann wünschen durften, ob sie die ganze Serie sehen möchten. Das Voting ging positiv aus, die Serie wurde produziert – und macht Spaß. Erstens weil die Idee gut ist: Ein Trickbetrüger kommt aus dem Gefängnis, gibt sich als sein Zellengenosse aus und taucht bei dessen Großeltern auf dem Land unter, die ihn seit Kindertagen nicht mehr gesehen haben. Zweitens weil sich das vordergründig ländliche Familienidyll bei genauerem Hinsehen als spannende Problem- und Konfliktbaustelle entpuppt. Und drittens und wichtigstens weil Bryan Cranston nach Walter White in Breaking Bad endlich wieder einen Bösewicht spielt. Und was für einen …

Designated Survivor (Netflix)

Die Serie ist ein Betrug am Zuschauer. Sie tut anfangs so, als sei sie eine Serie über einen Hinterbänkler aus der US-Regierung (Kiefer Sutherland), der durch widrige Umstände plötzlich zum Präsidenten wird und nun als sympathischer Amateur das Land regieren muss. In Wahrheit ist die Serie ein Neuaufguss von „24“ und der Hinterbänkler mutiert schneller zu einem Jack Bauer-Präsidenten-Verschnitt, als man „Make America Great Again“ sagen kann. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Drehbuchschreiber zusammen saßen und überlegten: Hm, wie machen wir aus dem coolen Jack Bauer-Kiefer Sutherland nur am Anfang einen uncoolen Hinterbänkler-Kiefer Sutherland? Ratloses Schweigen, bis sich irgendwann der Praktikant meldet: Ich hab’s: Wir setzen ihm so eine alberne 60er Jahre Brille auf! Die nimmt er dann später ab und sieht aus wie Jack Bauer. Gesagt, getan. Das eigentlich Ärgerliche an der Serie ist aber das absurde Drehbuch, in dem in bester „24“-Manier Problem an Problem und Verschwörung an Verschwörung gereiht werden, um den Jack Bauer-Präsidenten zum atemlosen, aber heldenhaften Problemlöser machen zu können. Terror, Wikileaks, Austausch von Spionen, Revolte, Mord … Reicht alles nicht, der Sohn vom Präsidenten könnte noch unehelich sein und die Presse bekommt davon Wind … Schrecklich. Ach ja, meistbenutztes Wort in der Serie: „Ehre“. Noch Fragen?

The OA (Netflix)

Hm, eine schwierige Mystery-Serie. Ein paar Ansätze sind wirklich nett: die Rückkehr einer Verschwundenen nach sieben Jahren, das Rätsel um ihre Blindheit, ein verrückter Nahtod-Forscher … Alles in allem war’s mir aber zu esoterisch und zu langatmig. Das Ende hat mir hingegen gut gefallen, weil alles so schön offen bleibt. Engel oder nicht? Magische Sätze oder wirkungslose Rituale? Ursache und Wirkung oder reiner Zufall? Nobody knows …

Bildnachweis: You Are Wanted, Sneaky Pete – © 2017 Amazon.com Inc.; The OA – JoJo Whilden / Netflix

7 Gedanken zu “Die letzten fünf Serien: ein Desaster, Betrug am Zuschauer – aber auch ein neuer Walter White

  1. An „You are wanted“ hatte ich mich noch nicht getraut…nach Deiner Schilderung erspare ich es mir auch, denke ich! Was wir aktuell via Netflix schauen ist die Serie „The Blacklist“, die uns recht gut gefällt. Ich mag aber auch den Schauspieler James Spader sehr :-)

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  2. ,,You are Wanted“ war bemüht. Was ein Werbungsvorlauf. 1/2 Jahr mit Schweighöfer auf der Couch. Zum Glück ohne Werbung. Einzig der Komissar hat mir gefallen. So was von Banane und dann diese Agro Komissarin. Alles in allem zu deutsch.

    Aktuell fröhne ich ,,Hand of God“ davor ,,The Path“ und ,,Start Up“. Spannend finde ich wo all die Schauspieler mitwirkten. ,,Sneaky Pete“ war super. Hatte einen guten Drive.

    Bin ja auch mit Lost, TWD und natürlich Breaking Bad sehr verwöhnt.
    ,,Shamless“ !!! Super Serie. Die Amis könnens einfach.

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