Wie aus Influencern Botschafter werden – ein Erfahrungsbericht

Es gibt viele Gründe, warum Unternehmen verstärkt auf Corporate Influencer setzen, also auf Mitarbeiter, die vor allem im Social Web über ihren Arbeitgeber, seine Produkte und Leistungen reden, sich mit Kunden und Interessenten vernetzen, in Diskussionen einsteigen und Fragen beantworten …

Ein Grund: die über Jahre sinkende organische Reichweite von Unternehmensaccounts. Es ist lange her, dass man auf Facebook seine Abonnenten in nennenswertem Ausmaß erreicht hat, ohne sich in ihre Timeline zu kaufen. Persönliche Botschaften, Bilder und Links von echten Menschen werden vom Algorithmus hingegen bevorzugt. Und völlig chancenlos sind Unternehmen in geschlossenen Gruppen, sei es wieder auf Facebook oder im wachsenden Bereich des „Dark Social“, also dort, wo Menschen zunehmend unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit Freunden und Bekannten kommunizieren, etwa auf WhatsApp.

Glaubwürdigkeit – am besten bei allen Beteiligten

Ein anderer Grund: die Glaubwürdigkeit. Anders als bezahlte Testimonials, die via Influencer Marketing auf Instagram, YouTube oder Blogs relativ wahllos Produkte bewerben, traut man Mitarbeitern kaum zu, dass sie blindlings Werbung für ihren Arbeitgeber machen. Zwar sind sie „abhängig beschäftigt“, aber in ihrem Auftreten und ihren Meinungen oft erkennbar frei, teils begeistert, teils konstruktiv kritisch, sachkundig auf ihrem Fachgebiet und zu echtem Dialog fähig, den manche Unternehmen im Social Web immer noch mühsam üben.

Dabei würde ich nicht so weit gehen wollen, die Glaubwürdigkeit der Unternehmenskommunikation gegen die der Mitarbeiter auszuspielen, wie man manchmal lesen kann: Das eine sei ja nur Propaganda und Hochglanz-Marketing, um neue Mitarbeiter oder Kunden zu gewinnen, das andere die Stimme des echten Volkes … Nein, im Idealfall ergänzt sich beides: Ein Unternehmen und seine Mitarbeiter informieren und kommunizieren über das, was es Neues gibt und was die verschiedenen Anspruchsgruppen interessiert.

Influencer – ob man will oder nicht

Ein dritter Grund ist ganz simpel und sollte Anlass für jedes Unternehmen sein, sich mit dem Thema zu beschäftigen: Die Mitarbeiter reden im Social Web über „ihr“ Unternehmen, egal ob man das will oder nicht, ob man ein Corporate Influencer-Programm aufsetzt oder nicht, ob man auch im Jahr 2019 noch glaubt, Kommunikation kontrollieren zu können oder nicht. Die Influencer sind da, sie sind aktiv, und man kann als Unternehmen teilnahmslos zuschauen oder versuchen, dem Ganzen etwas abzugewinnen. Letzteres machen immer mehr Unternehmen, die Telekom, Siemens und Otto sind bekannte Vorreiter, deren Influencer-Strategie in der Fachpresse zuletzt viel Aufmerksamkeit bekam.

Die genannten Gründe waren auch ausschlaggebend dafür, dass wir uns bei DATEV seit einer Weile mit dem Thema beschäftigen und inzwischen erste Erkenntnisse gewinnen und Ergebnisse erzielen konnten. Über einige davon will ich kurz berichten.

1. Miteinander reden

Es nützt nichts, sich eine ausgefeilte Corporate Influencer-Strategie im stillen Kämmerlein auszudenken und dann Unternehmen und Mitarbeiter damit zu beglücken. Was dagegen nützt: auf Empfang schalten und sich einen Überblick verschaffen. Wie gesagt: Kein Unternehmen dürfte bei diesem Thema auf der grünen Wiese anfangen, die meisten verfügen schon über Influencer, sie wissen es nur noch nicht und haben sie bislang nicht so genannt. Am Anfang steht daher die Bestandsaufnahme und am Ende derselben die Erkenntnis, dass die Influencer-Szene im eigenen Unternehmen ausgesprochen bunt ist. Viele Mitarbeiter sind auf vielen Plattformen zu vielen Themen in vielen unterschiedlichen Kontexten unterwegs.

Wenn man das verstanden hat, kann man gezielt Kollegen ansprechen und miteinander vernetzen, herausfinden, was sie tun, warum sie es tun und wie man ihnen dabei helfen kann, falls sie das wollen. Und idealerweise sollte man das nicht einmal tun, sondern regelmäßig, indem man ein starkes, aktives Netzwerk ermöglicht und unterstützt. Wir tun das durch regelmäßige Community-Treffen (einmal im Monat) und durch die virtuelle Vernetzung im Social Intranet (durch Hashtags) und in der Mitarbeiter-App (durch eigene Info- und Austausch-Bereiche).

2. Die Spielregeln klären

Regeln … Das klingt böse nach Kontrolle und Sanktion. Das ist hier aber nicht gemeint. Denn Regeln bedeuten auch Klarheit. Sie geben Sicherheit und Orientierung. Vielleicht reden wir lieber von Leitplanken, wenngleich durch Recht und Gesetz auch echte Regeln existieren, die man kennen muss. Zumindest bei uns gab es ein erhebliches Interesse unter den Influencern, die Regeln zu kennen. Das zeigte sich, als wir begannen Fragen zu sammeln, die unsere Influencer beantwortet haben möchten. Viele der Fragen waren rechtlicher und arbeitsrechtlicher Natur: Gibt es eine Impressumspflicht für Influencer? Wann müssen Beiträge als „Werbung“ gekennzeichnet werden? Wie sollte man sich gegenüber Wettbewerbern verhalten? Dürfen die Influencer während der Arbeitszeit posten? Aber es gab auch Fragen darüber hinaus: Was sind die Unterschiede zwischen offiziellen Unternehmensaccounts und denen von Influencern? Muss, kann oder soll ich unter Klarnamen posten und muss, kann oder soll ich sichtbar machen, dass ich DATEV-Mitarbeiter bin?

Fragen und Antworten haben wir einerseits in einem Workshop mit einem auf Medienrecht spezialisierten Rechtsanwalt und untereinander diskutiert, andererseits in Form von FAQ-Listen allen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. Der Teufel steckt dabei wie so oft im Detail, daher sind weitere Checklisten in Arbeit. Wir wollen dem Thema nicht zu viel Gewicht geben und wir wollen die Dinge keinesfalls verkomplizieren, aber wenn die Leitplanken mal stehen, navigiert es sich für alle leichter.

Wie wichtig das „Miteinander reden“ ist, hat sich übrigens auch bei diesem Handlungsfeld gezeigt. Ein Ergebnis des Workshops ist etwa diese Transparenz-Seite, die im Laufe der Diskussion als Lösungsidee kam und von allen begrüßt wurde. Mit ihr zeigen wir nach außen ganz klar, wer unsere Influencer sind und warum sie tun, was sie tun. Jeder Influencer kann sie verlinken und dadurch schnell und einfach das eigene Tun transparent machen.

3. Trainieren und coachen

Die beste Schule ist das Leben, und das gilt auch für Corporate Influencer. Auch wenn die Leitplanken mal stehen, ist die Welt da draußen so komplex und spannend, dass sich unweigerlich neue Fragen stellen, wenn man im Social Web aktiv ist und (auch) über seinen Arbeitgeber redet. Und diese Fragen sind so vielfältig wie die Influencer. Die einen sind alte Hasen und mit allen Wassern gewaschen, die anderen sind relativ neu dabei und wollen mehr über die Mechanik bestimmter Plattformen wissen oder geraten zum ersten Mal in einen kritischen Dialog, der im Web bekanntlich schnell irgendwohin eskalieren kann.

Was dabei hilft ist: einfach mal machen und im Zweifelsfall jemanden fragen können. Bei uns gibt es daher ein Team von Ansprechpartnern, die im Zweifelsfall und darüber hinaus zur Verfügung stehen. Außerdem die Community der Influencer, die immer ansprechbar und auch digital erreichbar ist. Begleitet wird das Ganze künftig von Schulungs-Bausteinen für diejenigen, die sich in bestimmten Bereichen aufschlauen wollen, und von regelmäßigen Updates bei unseren Community-Treffen zu allen möglichen Themen, die für die Influencer interessant sein können. Subsumieren könnte man das alles unter dem Begriff „Medienkompetenz“, die zu erreichen und auf hohem Niveau zu halten auch alten Hasen wie mir im schnellebigen Social Web nicht immer leicht fällt (und während ich das schreibe, denke ich; … gerade alten Hasen wie mir, weil wir halt nicht mehr die Jüngsten sind).

4. Hindernisse abbauen

Neben der Arbeit mit den Influencern gibt es auch eine Arbeit für die Influencer, die sich die Verantwortlichen fürs Thema im Unternehmen auf die Agenda setzen müssen. Denn machen wir uns nichts vor: Auch Influencer stoßen auf Ahnungslosigkeit und Widerstände. Erstere ist ja nichts Schlimmes. Nicht jeder muss wissen, was ein Influencer ist und warum es ihn gibt. Aber je mehr das wissen und verstehen, desto besser. Also tut man gut daran, das Thema im Haus durch viel interne Kommunikation bekannt zu machen.

Schwieriger wird es bei Widerständen, denen die Influencer begegnen, und auch die wird es praktisch in jedem Unternehmen geben. Wir kommen halt aus jahrzehntelang geordneten Verhältnissen mit kontrollierter Kommunikation und schliddern gerade in eine VUCA-Welt, in der nicht nur alte Gewissheiten pulverisiert werden, sondern auch jeder mit jedem jederzeit reden kann, unabhängig von Hierarchie und Auftrag, und dann auch noch mit potenziell erheblicher Reichweite. Ganz klar, dass das nicht jeder spontan großartig findet. Solche Widerstände – oder sagen wir freundlicher: Bedenken – kann es überall im Unternehmen geben, wobei unser Augenmerk besonders den Führungskräften gelten sollte, die ja als Verstärker in positiver wie negativer Hinsicht besonders wirksam sein können.

5. Den Erfolg messen

Ein bisschen erstaunt über die große Resonanz war ich schon, als wir bekannt gaben, dass wir den Erfolg unseres Influencer-Projekts auch messen wollen. Sowohl Pressesprecher als auch PR Report berichteten darüber, dabei ist es ja ziemlich nahe liegend sich darüber Gedanken zu machen, ob der betriebene Aufwand auch zu (messbaren) Ergebnissen führt.

Details zu unserem Influencer Score könnt ihr in den verlinkten Publikationen nachlesen. Hier nur so viel: Der Score, den wir zusammen mit dem Munich Digital Institute entwickelt haben, basiert sowohl auf Befragungen als auch auf der Auswertung vorhandener Kennzahlen. Er dient vor allem dazu, den Reifegrad des Unternehmens beim Thema Corporate Influencer zu bestimmen und somit den Verantwortlichen Hinweise darauf zu geben, wo sie noch investieren und Schwerpunkte setzen müssen. Er ist also weniger eine Kennzahl für Controller als eine Unterstützung für alle, die sich nicht nur auf ihr Bauchgefühl verlassen wollen und der Meinung sind, dass dieses Influencer-Ding schon ganz sinnvoll ist und bestimmt „irgendwie“ funktioniert.

Vom Influencer zum Botschafter

So viel also zum Stand der Dinge. Fehlt nur noch die Auflösung der Headline. Denn tatsächlich reden wir bei DATEV inzwischen nicht mehr von Corporate Influencern, sondern von Botschaftern. Warum? Weil wir zugehört und miteinander geredet haben. Der Begriff „Influencer“ kam nicht bei allen gut an, hat er doch dank bezahlter Instagram-Stars ein „Geschmäckle“. Wir haben einfach die Community gefragt, welcher Begriff ihr lieber wäre, und heraus kamen, neben vielen weiteren Vorschlägen, aber mit Abstand den meisten Nennungen, die DATEV-Botschafter. Eine, wie ich finde, ausgezeichnete Änderung.

Mehr lesen

Zum Thema gibt es inzwischen jede Menge Lektüre – Google ist euer Freund. Erwähnen möchte ich drei lesenswerte Beiträge aus meinem Netzwerk: von Marie-Christine Schindler, Klaus Eck (über die Telekom-Botschafter) und meinem Kollegen Stefan Scheller. Interessant war auch der Corporate Influencer Day der Quadriga in Berlin, der im Januar aufgrund der großen Nachfrage wiederholt wird.

4 Gedanken zu “Wie aus Influencern Botschafter werden – ein Erfahrungsbericht

  1. Ja, mit der Begeisterung vieler DATEV-Mitarbeiter lässt sich sicher ein gutes Botschafter-Netz aufbauen. Ich wünsche viel Erfolg! Interessieren würde mich, wie der Erfolg gemessen wird. Nicht dass dadurch natürliche Begeisterung in nachweisheischenden Ehrgeiz umschlägt. Auf jeden Fall konnte ich mich mit diesem Beitrag wieder einmal „aufschlauen“.

    Like

Und jetzt sag deine Meinung:

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..