Zum Stand der Digitalisierung in Deutschland (4): Technologie und Milchkannen

Der Milchkannen-Spruch „unserer“ Ministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek ist in so vielfacher Hinsicht unsinnig und bezeichnend, dass eine nähere Betrachtung lohnt …

Wer die Äußerung nicht mitbekommen hat, weil er gerade im Funkloch war hinterm Mond lebt: Karliczek hat gesagt, der neue Mobilfunkstandard 5G sei „nicht an jeder Milchkanne“ notwendig. Man könne sich Zeit lassen mit dem Ausbau, so strenge Auflagen bei den Vergaberegeln, wie die Bundesnetzagentur sie fordere, seien nicht notwendig.

Was kann man dagegen einwenden?

5G und die Infrastruktur

Erstens suggeriert die Aussage, dass man heute schon einen guten Level an Netzabdeckung erreicht habe. 5G kommt dann quasi als Luxus oben drauf, in dessen Genuss nun wirklich nicht jeder kommen müsse. Wer so etwas behauptet, lebt entweder unterm Sendemast und geht nie auf Reisen, hat keine Ahnung oder weiß es eigentlich besser und redet die Dinge schön.

Denn es geht natürlich nicht nur um Mobilfunkabdeckung, es geht um die digitale Infrastruktur in Deutschland, und die ist nachgewiesenermaßen in keinem guten Zustand. Ich könnte jetzt drei Stunden lang darüber schreiben, was die Voraussetzungen für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand in einer entwickelten Gesellschaft wie der unseren sind, aber ich kürze ab: Wir brauchen gute Rahmenbedingungen und dazu gehört eine gute, belastbare, zukunftsfähige Infrastruktur, und zwar analog (Stromnetze, Straßen, Schiene …) und digital. Und selbstverständlich sind hier Staat und Politik in der Pflicht.

Lehren aus der UMTS-Versteigerung

Zweitens sollte man aus Fehlern lernen, und bei den letzten Versteigerungen von Mobilfunk-Lizenzen wurden erhebliche Fehler gemacht. Ich weiß es noch wie heute, wir saßen damals, im Jahr 2000 wie die kleinen Kinder vor den Bildschirmen und haben mit großen Augen die UMTS-Versteigerung zu unfassbaren, astronomischen Preisen verfolgt. 50 Milliarden Euro nahm der Staat damals ein – die gemolkenen investierenden Unternehmen haben folgerichtig beim Netzausbau gespart und sich das Geld über horrende Gebühren für mobiles Internet vom Kunden zurück geholt.

Heute hofft die Politik wieder auf hohe Einnahmen durch die Lizenzvergabe, wobei Preise wie im Jahr 2000 keinesfalls mehr zu erzielen sein werden. Das Geld soll – bitte festhalten – unter anderem in einen Digitalfonds fließen, mit dem in Start-Ups investiert werden soll. Das ist wirklich Förderung von hinten durchs Knie, kann man sich nicht ausdenken … Viel wichtiger als Einmalerlöse durch das Verschachern von Lizenzen sind – siehe oben – Rahmenbedingungen und Kontrolle, damit die investierenden Unternehmen auch tatsächlich eine brauchbare Infrastruktur aufbauen (falls der Staat das nicht selbst tun will, wonach es nicht aussieht).

Smart Farming statt Milchkanne

Drittens scheint der Ministerin entgangen zu sein, dass Technologie und Digitalisierung gerade in der Landwirtschaft vorangetrieben werden, weil sie große Chancen bieten. Vom Futtermischroboter bis zum autonom fahrenden Mähdrescher: Moderne Landwirtschaft hat kaum noch etwas mit gemütlichen Bauernhöfen und Karliczeks Milchkannen-Romantik zu tun. Es geht um den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie in der Landwirtschaft, für die es auch einen Begriff gibt, den die Ministerin vermutlich noch nie gehört hat: Smart Farming. Was zum letzten Punkt führt:

Denn viertens fragt man sich, was Frau Karliczek eigentlich qualifiziert, zu solchen Themen zu reden und (viel schlimmer) Entscheidungen zu treffen. Sie hat eine Ausbildung als Bankkauffrau und Hotelfachfrau nebst BWL-Fernstudium absolviert und war im familieneigenen Hotel im Teutoburger Wald tätig. Alles ehrenwerte Tätigkeiten, aber wenn man damit Ministerin für Bildung und Forschung werden kann, kann man auch einen Germanisten und Marketing-Fuzzi wie mich zum Finanzminister und Wächter über die Haushaltsdisziplin machen.

Mehr zum Thema hier im Blog

Zum Stand der Digitalisierung in Deutschland (3): Lagebericht 2018

Zum Stand der Digitalisierung in Deutschland (2): Hilflos im Auto

Zum Stand der Digitalisierung in Deutschland (1): Unterwegs im Internet

6 Gedanken zu “Zum Stand der Digitalisierung in Deutschland (4): Technologie und Milchkannen

  1. Guten Morgen Christian,

    ich möchte Dir an der einen oder anderen Stelle ein bisschen widersprechen. Hier wird teilweise Netzabdeckung und Technologiestandard vermischt.

    „Erstens suggeriert die Aussage, dass man heute schon einen guten Level an Netzabdeckung erreicht habe. 5G kommt dann quasi als Luxus oben drauf, in dessen Genuss nun wirklich nicht jeder kommen müsse.“
    Ich sehe es tatsächlich so, dass 5G ein Luxus ist – wenn auch nicht oben drauf. Wer glaubt, dass mit 5G eine höhere Netzabdeckung einhergehe, naja, Du sagst es ja selbst (unterm Sendemast und so). Gut finde ich, dass die Infrastruktur (also Autobahnen, Schienen und Wasserwege) bessere Netzabdeckung erhalten soll – und damit auch die angrenzenden Flächen. Wie gestern der Lobbyist von Bitkom erklärte, wäre eine flächendeckende 5G Bereitstellung praktisch nicht bezahlbar (1km Reichweite je Funkmast).
    5G ist also nicht das Zugpferd für die Netzabdeckung! Dass die Netzabdeckung notwendig ist, ist unbestritten, da ist es mir egal, ob das 4G oder 5G ist.

    „Wir brauchen gute Rahmenbedingungen und dazu gehört eine gute, belastbare, zukunftsfähige Infrastruktur, und zwar analog (Stromnetze, Straßen, Schiene …) und digital. Und selbstverständlich sind hier Staat und Politik in der Pflicht.“
    Lustig, hier kommt plötzlich wieder Staat und Politik in die Pflicht. Es ist doch offensichtlich: Handy Anwender brauchen kein 5G. Bei 5G geht es um Latenz. Natürlich wäre das cool, könnte doch der Landarzt bei ausreichender Versorgung durch Internet an Kliniken angeschlossen werden und Services von dort nutzen. Aber es wird sich für die Mobilfunkanbieter betriebswirtschaftlich nicht lohnen – wie es halt immer schon so war und sein wird. Der Umsatz wird in den Ballungszentren gemacht.

    „Viel wichtiger als Einmalerlöse durch das Verschachern von Lizenzen sind [..] Rahmenbedingungen und Kontrolle, damit die investierenden Unternehmen auch tatsächlich eine brauchbare Infrastruktur aufbauen“
    Nun, die Rahmenbedingungen wurden ja jetzt festgelegt. Wie wäre es, wenn Staat und Politik den Mobilfunkbetreibern vorschreiben würden, sich um die Flächenabdeckung mit 4G zu kümmern? Aber das wiederum will keiner, der sich für liberal hält – der Markt reguliert sich selbst und so. Also was soll nun Staat und Politik tun? Die Lizenzen verschenken und die Anbieter in die Pflicht nehmen? Da wäre ich dabei. Viel schlimmer sind die ewigen Verfahren, die in Kommunen von bestimmten Personen getrieben werden, die das Aufstellen von Masten verhindern. Ich kenne einen Ort in Oberbayern wo das seit etwa 20 Jahren erfolgreich praktiziert wird.
    Und zum Schluss: Smart Farming funktioniert auch mit 4G – das hat wiederum etwas mit Netzabdeckung und weniger mit 5G zu tun. In diesem Sinne noch eine schöne Woche.

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    • Da hast du sicher mit einigem Recht … Deshalb bezieht sich meine Kritik auch nicht „wörtlich“ auf die 5G-Äußerung (die ist nur Symptom), sondern generell aufs Thema (digitale) Infrastruktur. Und da geht es, und da sind wir uns wohl einig, um den Blick aufs große Ganze. Wie genau die Breitband-Anbindung sagen wir mal in Brandenburg technologisch sichergestellt wird, dürfte dem Start-Up-Gründer, der sich dort ansiedeln will und dem die Großstadt-Preise zu teuer geworden sind, egal sein.

      Was den Staat angeht: Ich kenne einige Liberale, die nicht der Meinung sind, dass der Markt schon alles regelt. Genau genommen kenne ich niemanden, der so denkt – das ist antiliberale Schwarz-Weiß-Malerei. Liberale Auffassung ist, dass der Staat nicht zwingend alles besser macht als die Privatwirtschaft, und diese Auffassung teile ich. Aber dass er Ziele vorgibt und Rahmenbedingungen setzen muss und deren Einhaltung auch kontrolliert, ist doch klar. PS: Genau so hat sich jüngst auch Friedrich Merz geäußert, der vielen ja als der große böse Neoliberale in der Union gilt …

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      • Mein Seitenhieb sei mir verziehen – aber speziell im Finanzsektor (und da war ja das Credo vom sich selbst regulierenden Markt vorherrschend) und ähnlichen Bereichen (z. B. Energiewirtschaft) sind die Produkte mittlerweile so kompliziert und die Einflüsse auf das Wirtschaftsleben so dramatisch, dass ich bezweifle, dass selbst bei vorhandener Kontrolle irgendwer in der Lage ist, das vollumfänglich zu verstehen. Kontrolle bedeutet Geschwindigkeitsverlust und steht damit einem innovatonsgetriebenen Agieren speziell in den hype-Bereichen der sog. Digitalisierung entgegen. D. h. Kontrolle ist nicht gleich Kontrolle. Davor steht das Verstehen – und da hapert es am allermeisten.
        Zu Merz kann ich nichts sagen – ich weiß nicht, was ihn treibt. Ich bin nur immer skeptisch, wenn sich jemand hinstellt und behauptet, dass alles viel einfacher geht (Steuererklärung auf dem Bierdeckel).

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      • Ja. Ein schönes Beispiel für Kontrolle ohne Verstehen ist die DSGVO. Aber ich vermute mal, da sind wir nicht einer Meinung ;-) Und Merz: Der Bierdeckel ist ja nun wirklich lange her. (Ich fand ihn damals aber interessant, weil er ein Modell jenseits aller Steueroptimierung und Schlupflöcher war – die Millionen von Spezialregelungen sind ja nur scheinbar gerecht.) Mal sehen, was ihn heute so umtreibt.

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