Es ist ein beliebtes Spiel in deutschen Büros. Es ist perfide. Und ihr solltet euch dagegen wehren …
Wir leben in modernen Zeiten. Wir reden von New Work, freuen uns über flexiblere Arbeitszeiten und -orte und profitieren von der Digitalisierung. Aber: Es bleiben Menschen, die da zusammenarbeiten, und nichts Menschliches ist uns fremd, um mal den sehr alten Dichter Terenz zu zitieren. Dazu gehören auch alte, fiese Spielchen im ewigen Kampf ums Rechthaben, um Aufmerksamkeit, Anerkennung und Karrierechancen.
Eines davon ist das Blame Game, das mit „Schuldzuweisung“ nur unzureichend übersetzt ist. Wer das Blame Game spielt, betreibt – um noch einen englischen Begriff zu bemühen – Fingerpointing. Er oder sie zeigt mit dem Finger auf andere: „Der war‘s!“ – „Der hat’s nicht drauf!“ – „Der kann nix!“
Das funktioniert seit Anbeginn der Menschheit im Verborgenen. Hintenrum schlecht über Dritte reden, über Bande spielen, andere anschwärzen – kennt man alles. Ist nicht schön, aber vermutlich irgendwie in der DNA des Menschen verankert. Spannender wird das Blame Game, wenn es die Öffentlichkeit sucht. Dann macht der Spieler vermeintliche Schwächen publik, baut einen Pranger, stellt jemanden dort hin und sorgt für die nötige Aufmerksamkeit (am besten des Managements).
Blame Game für Fortgeschrittene: Tricksen, täuschen, tarnen
Das ist aber immer noch ein bisschen sehr billig und offensichtlich, daher zündet der Profi-Gamer ein paar Nebelkerzen. Beliebt ist es zum Beispiel, das Ganze als kollektiven Auftrag zu tarnen. „Wir wollen ja alle nur, dass wir gemeinsam vorankommen und unsere Ziele erreichen. Dafür müsst ihr aber schon beim Thema X besser werden. Und der Y muss seinen Beitrag dazu leisten. Wir sind doch ein Team. Liebe Grüße!“ Ebenfalls beliebt: die Tarnung als freundliches Hilfsangebot. „Du, ich habe gemerkt, dass ihr beim Thema X echt Nachholbedarf habt, vor allem der Y. Wenn ich da irgendwie helfen kann, sag einfach Bescheid.“
Unausgesprochen dabei bleibt die eigentliche Botschaft des Spielers: Ich bin besser und ich kann es besser. Das Blame Game wird entweder von arroganten Egomanen gespielt, die wirklich glauben, dass sie besser sind als der Rest der Welt; oder von Taktikern ohne moralischen Kompass, die ihre Fähigkeiten ganz realistisch einschätzen, aber entdeckt haben, wie mächtig dieses Spiel ist und wie gut man damit die eigene Agenda vorantreiben kann.
Nun könnte man meinen, dass solche Spielchen in unseren modernen Zeiten schwieriger geworden sind. In Unternehmen wird über Haltung diskutiert, man positioniert sich zu gesellschaftsrelevanten Themen, Nachhaltigkeit, auch soziale, ist vom Buzzword zum Schwerpunktthema geworden, viele Unternehmen machen sich gründlich Gedanken darüber, wie man miteinander umgehen will und soll. Zauberwort: Wertschätzung.
Doch das öffnet dem Blame Gamer eine neue Tür: „Du, wir wollen hier ja alle die Transparenz fördern, und Feedback ist wichtig, daher muss ich einfach mal sagen, dass der X beim Thema Y echt besser werden muss. Lass uns da mal im Rahmen unserer Fehlerkultur offen darüber reden …“ Und wehe, man verweigert sich diesem freundlichen Ansatz – dann ist es echt schade, dass man nicht offen ist für Feedback ist und dass es mit der Fehlerkultur im eigenen Bereich wohl auch nicht zum Besten bestellt ist.
Blame Game vs. Feedback
Um aus dieser Nummer rauszukommen, ist es wichtig sich einmal klar zu machen, warum das Blame Game nichts mit Feedback zu tun hat und was die Unterschiede sind. Offenes und ehrliches Feedback ist wichtig, keine Frage, vor allem wenn wir uns von Phrasen verabschieden: Wenn ihr ungewollt Mist baut und es nicht merkt, aber jemand es euch sagt, kann das eine große Hilfe sein. Wenn euch mal was wirklich gut gelungen ist, und ihr nicht die einzigen seid, denen das auffällt, kann das wahnsinnig motivierend sein.
Feedback zu geben erfordert Mut, vor allem in hierarchischen Strukturen (vor allem „nach oben“). Feedback hat das Ziel, dem anderen wirklich mit einer weiteren Perspektive zu helfen, ihn voranzubringen, indem es ihn bestärkt oder zu Veränderungen bewegt. Daher sucht Feedback in der Regel keine Öffentlichkeit, sondern findet unter vier Augen statt. Feedback drängt man niemandem auf, man gibt es sinnvoller Weise nur, wenn es erwünscht ist oder eingefordert wird. Und es ist konkret und unmittelbar, es verzichtet auf Mutmaßungen, es wärmt keine alten Geschichten auf.
Das Blame Game ist dagegen ein feiges Spiel. Es will niemandem helfen außer dem Spieler selbst. Das funktioniert am besten auf einer Bühne, der Spieler sucht daher die Öffentlichkeit, für den Pranger braucht es ein Publikum. Der Blame Gamer verzichtet bewusst aufs zeitnahe, konkrete Feedback unter vier Augen, damit würde er ja sein Pulver verschießen. Er hält es lieber trocken bis zum geeigneten Moment. Wenn der gekommen ist, sind die Anschuldigungen unkonkret, vage und verallgemeinernd. Sie kommen natürlich ungefragt, ob man will oder nicht. Und sie beziehen sich gerne auf Ereignisse, die schon eine Weile her sind. Keiner weiß mehr genau, was damals war, also kann man sich schlecht dagegen wehren. Bis man halbwegs rekonstruiert hat, was wirklich geschah, haben die Vorwürfe längst Wirkung entfaltet, und jeder Versuch, sich zu wehren, sieht nach Rechtfertigung aus.
Weil die Unterschiede so wichtig sind, hier nochmal kompakt im Überblick:
Feedback | Blame Game |
Unter vier Augen | Öffentlich |
Konkret | Vage |
Spezifisch | Verallgemeinernd |
Zeitnah | Mit Abstand |
Konstruktiv | Destruktiv |
Erwünscht | Unerwünscht |
Ziele: altruistisch | Ziele: egoistisch |
Und wie wehrt ihr euch nun gegen Blame Gamer? Wie könnt ihr das unschöne Spiel unterbrechen und abbrechen? Ich gebe zu, dass ich selbst eine Weile mit dieser Frage gerungen habe. Vielleicht ist ja was dran an den Vorwürfen? Vielleicht meint‘s der andere ja doch gut mit euch? Vielleicht klingt Gegenwehr nach Rechtfertigung und Sturheit?
Heute bin ich der Meinung: Das ist alles egal. Ihr müsst sofort und hart intervenieren, in derselben Öffentlichkeit, in der ihr angegriffen wurdet. Verzichtet auf Diskussionen, verweigert euch dem Spiel, weist die Methode als unfair zurück. Und wenn im Nachgang nicht jeder versteht, warum ihr so gehandelt habt: Verweist auf diesen Beitrag :-)
Und noch was: Sucht euch Verbündete. Das ist nicht schwer. Blame Gamer gibt es wahrscheinlich in jedem Unternehmen und an jeder Arbeitsstätte. Aber es sind wenige (zumindest in coolen Unternehmen, in denen ihr sicher alle arbeitet). Bildet ein Netzwerk, findet Menschen, denen ihr vertraut, tauscht euch aus. Und überlegt euch gemeinsam eine Spielverderber-Strategie.
Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Und wie seid ihr damit umgegangen?
Lieber Herr Buggisch, ich gehe davon aus, dass Sie die Kenntniss zum Blame Game einschlägiger Literatur entnommen haben. Ihre Ratschläge dazu sind aber sehr praxisgerecht. So muss man es machen. Wehret den Anfängen heißt es da! Je länger man sich nicht wehrt, desto schwieriger wird es.
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Lieber Christian,
in der Theorie sind die Grenzen klar zu ziehen – siehe Deine Tabelle. In der Praxis ist es aber oft nicht so einfach, sich abzugrenzen. Wir kämpfen seit Jahren gegen bestimmte Vorurteile ein bestimmtes Software-Produkt betreffend, das wir für die Anwender konfigurieren. In diesem Kontext gibt es zahlreiche Stakeholder-Gruppen, die alle unterschiedliche Ziele verfolgen. Projektleitung, Product Owner, Anwender, Team-, Abteilungs- und Bereichsleiter, IT-Rechenzentrum, Betriebsunterstützung, etc. pp. Wir – das sog. Entwicklungsteam und das Produkt als solches stehen aber immer im Fokus, wenn irgendwas schief geht. Auch dann, wenn wir gar nicht die Verursacher sind. Das negative Image bekommen wir trotzdem aufgestempelt.
Zum Glück haben wir eine Projektleitung, die ganz klar kommuniziert, dass wir (das Entwicklungsteam) nur vollständige fachliche Anforderungen umsetzen, und dass wir auf keinen Fall beraten dürfen (sic!). Heißt auf Deutsch: wir setzen den größten Unsinn um, wenn das Fachbereich sich das so einbildet. Wir weisen ggf. freundlich auf Kosten und Aufwand hin und auf ggf. zusätzliche Aufwände für den Rückbau bzw. für erheblich mehr Aufwand bei der Wartung. Eine andere Art von Blaming? ;-)
Aber dadurch, dass wir nichts sagen dürfen / sollen (Ross und Reiter beim Namen nennen?) ändert sich leider nichts. Konstruktive Kritik resp. Feedback findet nicht statt, weil wir teilweise die veranwortlichen Stakeholder gar nicht zu Gesicht bekommen – der Irrsinn wird häufig auf dem Off ins Projekt geschossen, der arme PO wird dazu verdonnert, den Schwachfug zu beauftragen, ohne davon überzeugt zu sein und reagiert mit Schulterzucken auf berechtigte Einwände unsererseits und lässt den Karren gegen die Wand fahren.
Beliebtes Mittel in diesem Kontext ist übrigens, in verantwortlicher Position (TL, AL und BL) Entscheidungen einfach nicht zu treffen (oder Wochen und Monate zu diskutieren, ohne wirklichen Erkenntnisgewinn) – frei nach dem Motto: wer gar nichts tut, macht nichts verkehrt.
Das ist Projektalltag – da würde man sich schon mal wünschen, mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die dafür verantwortlich sind. ;-)
Beste Grüße vom Raul
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Dazu mache ich mir keinen Plan, in dem ich alle Faktoren von vornherein einzukalkulieren, für ein Verhalten, das dazu dienen soll, ein psychologisches o. ä. Ziel mir gegenüber zu erreichen. Solche Übergriffe treffen mich urplötzlich. Ich muss nicht müssen. Ich kann andere nicht ändern. Was ich nicht ändern kann, das will ich ertragen. Meine Antwort in so einem Fall: „Sie sagen es!“ und damit dem anderen, so gut es geht aus dem Weg gehen.
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[…] Das Blame Game — Christian Buggischs Blog […]
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Lieber Christian,
ein wunderbares Wrap up zum Thema und eine schöne Gegenüberstellung vom erwünschten Feedback und unerwünschten Blame Game. Und ich kann mich selber gut an solche Erfahrungen erinnern und lieber @derlesekoch, ich denke das sind leider keine Ergebnisse eines Literaturstudiums, sondern Erfahrungen aus einem System mit mehr als 8500 Mitarbeitenden.
Ich selbst arbeite im gleichen wie der Christian und habe immer schon gesagt, dass das System eine gleiche Verteilung von Typen hat wie die Gesellschaft an sich. Es gibt Alkohol- und Drogenabhängige, Männer die Ihre Frauen verprügeln, Mörder, Menschen die sexuell übergriffig werden, Egoisten, Lügner, neben den ehrlichen Menschen die für ihre Kollegen und ihr System arbeiten, sich aufopfern, zugewandt sind – eben alles.
Und ich könnte die Fälle von Christian auch mit Namen hinterlegen – also hätte zumindest blame gamer vor Augen. Ob wir wohl an die gleichen denken ?
Warum aber gibt es diese blame gamer, diese toxischen Typen? Weil es sie einfach gibt, da wo es um Macht und Privilegien geht.
Armin Falk, Volkswirt und Verhaltensökonom, Professor an der Universität Bonn, hat in seinem 2022 erschienenen Buch „Warum es so schwer ist ein guter Mensch zu sein“, zum einen darauf hingewiesen, das es in jedem System zwischen 20 bis 30 % Egoisten gibt, die durchgängig nicht prosozial agieren, egal ob sich ihr Gegenüber so verhält. Die ausschliesslich ein Interesse an sich selbst haben. Da brauchen wir nicht über den Purpose einer Organisation zu philosophieren, diesen Menschen ist ihr eigener Vorteil Purpose genug. Und sie arbeiten dann auch rücksichtslos für sich mit allen Mitteln.
Dazu kommt das in grossen Organisationen Verantwortung diffundiert und verloren geht.
Armin Falk: „In unserer komplex organisierten Arbeitswelt ist es typisch, dass sich die Verantwortung und damit die Moral auf ihrem langen Weg zwischen Hierarchiestufen, Teamkollegen, Beratern, Subunternehmen, Abteilungen, Filialen und Tochterunternehmen auflösen. Es ist eine zentrale Einsicht der Moralforschung, nach der das Verhalten in Gruppen besonders anfällig für moralisch fragwürdige Handlungen ist.“
Ich empfehle dazu auch einen Beitrag von Sebastian Wolking in „people & work“ unter dem schönen Titel „Arschlöcher im Business – Umgang mit toxischen Typen“.
Auch hier gibt es leider keine praktische Handreichung, kein Patentrezept.
Und ich kann zu Christians Empfehlung nichts ergänzen.
Stabile Netzwerke aufbauen, sofort intervenieren wenn es zu unfairen Verhalten kommt, aber auch die verantwortlichen aus HR und „People & Culture“ informieren, einbinden, sie nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.
Und so wie es Christian hier richtig getan hat, immer wieder ansprechen, thematisieren und bewusst machen. Und das Problem nicht leugnen.
Denn jede Therapie und Veränderung beginnt mit der Anerkennung des Problems. Wenn wir anerkennen das wir toxische Typen auf verschiedenen Verantwortungsebenen haben, dann können wir mit der Arbeit beginnen. Auch wenn wir kein Patenrezept haben – wir können gemeinsam versuchen in einem interaktiven und agilen Prozess einen Weg aus den Dilemmata zu finden.
Wenn wir das Problem verleugnen, passiert nichts.
Reden & Handeln wir also.
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