Kügelchen von der Krankenkasse

Ach, ich habe schon so lange nicht mehr über Homöopathie geschrieben, dabei war das früher ein Dauerthema hier im Blog. Aber es war halt alles gesagt. Jetzt liefert mir der Gesundheitsminister eine Steilvorlage, indem er die Homöopathie als Kassenleistung abschaffen will. Eine gute Gelegenheit, mal wieder einen gewohnt liebevollen Blick aufs Thema zu werfen …

Aderlass, Brechmittel und Homöopathie

1796 – das waren noch Zeiten! Napoleon lag mit halb Europa im Krieg, in Venedig gab es noch einen Dogen und John Adams wurde zum Nachfolger von George Washington gewählt. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, geprägt von kleinstaatlicher Zersplitterung, feudalen Agrarstrukturen und einem handwerklichen Zunftwesen, pfeifte auf dem letzten Loch. Hier gab es noch keine einzige Eisenbahnstrecke; wer sich fortbewegen wollte, tat das zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes. Wer im Dunkeln etwas sehen wollte, zündete eine Kerze an. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug 30 Jahre.

Und jetzt mal Hand aufs Herz: Wie viele medizinische Anwendungen aus dem 18. Jahrhundert kennt ihr, die heute noch up to date sind? Oder anders gefragt: Wenn ihr auch nur ein klein wenig ernsthaft krank seid, würdet ihr sagen: Ja, bitte behandelt mich, aber so wie 1796!? Es waren die Zeiten der „Vier-Säfte-Lehre“, Krankheit galt als ein Missverhältnis von Blut, Schleim, Schwarzer und Gelber Galle. Erste Wahl zur Heilung: Aderlässe, Abführ- und Brechmittel, um das ganze Durcheinander wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Auch Arsen und Quecksilber waren in der Anwendung beliebt. 30 Jahre Lebenserwartung – gar nicht so schlecht vor diesem Hintergrund.

1796 war auch das Jahr, in dem Samuel Hahnemann sein Ähnlichkeitsprinzip formulierte und damit die Homöopathie erfand. Im Vergleich zu Arsen und Aderlass damals zweifellos eine attraktive Behandlungsmethode, immerhin fielen die Patienten nicht gleich tot um. Und dennoch eine Schnapsidee aus der Vormoderne, eine Pferdekutschen- und Kerzen-Medizin, ein schrulliges Phantasie-Heilmittel, an das man glauben kann wie an den schicksalhaften Einfluss der Sterne auf unser Leben, für das es aber nur eine glasklare Evidenz gibt: Homöopathie wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus.

Zuckerarme Monokultur

228 Jahre später besteht das eigentliche Rätsel nicht in der Frage, warum Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Homöopathie aus dem Katalog der Krankenkassen-Leistungen streichen will, sondern darin, dass sie dort noch enthalten sind. Aber zum Glück gibt es ja auch für Nichtigkeiten wie die Homöopathie Lobbyisten, die uns erklären können, warum das so ist und natürlich unbedingt so bleiben muss. 

Da wäre zum Beispiel der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), dessen Vorsitzende verlauten lässt, die Streichung der Homöopathie als Kassenleistung würde „das Therapieangebot in der ärztlichen Versorgung einschränken“ und es würde „eine therapeutische Monokultur in den Praxen entstehen – die Leidtragenden wären die Patienten“.

Das ist als würde man davon ausgehen, dass Augenärzte bei Kurz- und Weitsichtigkeit keine Brille mehr empfehlen, nur weil die Krankenkassen sie seit 2003 nicht mehr bezahlen. Und dass Brillen im Gegensatz zu Homöopathie eine nachweisbare Wirkung haben, müssen wir, glaube ich, nicht diskutieren. Das „Therapieangebot“ Homöopathie kann nach wie vor jeder Arzt machen, nur zahlt halt nicht mehr die Allgemeinheit dafür, sondern der einzelne, der dieses Therapieangebot aus welchen rätselhaften Gründen auch immer annehmen will.

Sanfte Impulse im Krankenkassen-Marketing

Kritisch meldet sich auch die eine oder andere Krankenkasse zu Wort, etwa die Securvita, nach eigenen Angaben „Vorreiter bei der Naturheilkunde“, und wirft dem Gesundheitsminister Aktionismus vor. Nun ist Homöopathie keine Naturkeilkunde, aber auf ihrer Website schwurbelt die Securvita von der Homöopathie als „ganzheitlicher Medizin mit sanften Impulsen“ und positioniert sich gegenüber dem Mitbewerb: Viele Krankenkassen würden Homöopathie nicht anerkennen, „die Versicherten dieser Kassen müssen dafür aus der eigenen Tasche zuzahlen“. Nicht so bei der Securvita, die die Kosten für ihre Versicherten übernimmt.

Nun könnte man fragen, warum „viele Krankenkassen“ im Gegensatz zur Securvita für Homöopathie nicht bezahlen, ebenso wie immer mehr Ärztekammern die Homöopathie aus ihrer Weiterbildungsordnung streichen. Der Grund ist bekannt, und im Falle der Securvita ist der Protest ja verständlich: Hier geht ein schönes Marketing-Argument verloren, mit dem man bestimmte Patientengruppen an sich binden konnte.

Übrigens, damit keine Missverständnisse entstehen: Für die homöopathischen Kapriolen der Securvita zahlen nicht nur die Securvita-Beitragszahler, sondern alle Versicherten in Deutschland, auch diejenigen, die von ihrer Kasse keine Homöopathie erstattet bekommen. Denn in Deutschland gibt es seit 2009 den Gesundheitsfonds, in den alle Beitragszahler einzahlen und aus dem alle Krankenkassen ihre Mittel verteilt bekommen.

Globuli-Konzern mit Herz für die Patienten

Apropos verloren gehen: Homöopathie ist ein einträgliches Geschäft, schließlich verkauft man Zuckerkügelchen als Medizin, da ist die Gewinnspanne erheblich. Insofern ist verständlich, dass auch Homöopathie-Hersteller unter leichten Verlustängsten leiden. „Globuli-Konzern kritisiert Streichung homöopathischer Kassenleistungen“, lautet wenig überraschend eine entsprechende Schlagzeile. Mit Konzern ist die DHU, die Deutsche Homöopathie Union aus Karlsruhe gemeint. Man wiederholt das Argument des DZVhÄ, dass die Streichung als Kassenleistung „die Patientenautonomie“ einschränke. Zudem sei der Umsatzanteil der Homöopathie, der von den Krankenkassen erzielt wird, sehr niedrig. Lohnt sich also gar nicht, der ganze Aufwand.

Ist es nicht schön zu hören, dass auch ein Konzern wie die DHU sich Sorgen um die Patienten macht? Vielleicht gelten die Sorgen aber auch dem eigenen Umsatz und Gewinn. Zwar ist es richtig, dass sich durch die Streichung der Homöopathie als Kassenleistung nicht allzu viel einsparen lässt – die Schätzungen reichen von 10 bis 50 Millionen Euro im Jahr. Aber hey, zum einen sind das 10 bis 50 Millionen Euro pro Jahr, die buchstäblich für nichts ausgegeben werden (ok: für Zucker). Zum anderen könnte das die Homöopathie insgesamt an Popularität verlieren lassen, und genau das scheint auch das Ziel des Gesundheitsministers zu sein, wenn er betont, es gehe ihm ums Prinzip und man könne nicht wissenschaftliche Erkenntnisse derart ignorieren.

Der DHU geht es auch ums Prinzip, nämlich um das Prinzip, jährlich weiterhin über 9 Milliarden Globuli produzieren zu wollen und u.a. damit einen Umsatz von 900 Millionen Euro im Jahr zu machen.

Aber gut, ein jeder möge nach seiner Fasson selig werden. Wer will, soll Stroh zu Gold spinnen oder Zucker als Medizin verkaufen. Wer möchte, soll Globuli kaufen und an ihre Wirkung glauben. Nur bitte nicht auf Kosten der Allgemeinheit.

Ja, aber …

Aber Moment, Christian, du stellst hier einfach Behauptungen zur Homöopathie auf, dabei hat mir doch meine Hebamme Globuli empfohlen | habe ich doch selbst erlebt, wie sie mir geholfen haben | sind sie doch viel ganzheitlicher als diese technokratische Schulmedizin | muss es doch einen Grund haben, dass sie in der Apotheke statt im Süßwarenregal des Supermarkts verkauft werden | gibt es doch Ärzte, die sie anwenden, und die müssen es doch wissen … HAST DU DICH ÜBERHAUPT MAL AUSFÜHRLICHER MIT DER HOMÖOPATHIE BESCHÄFTIGT?!

Habe ich. Ich lade euch herzlich zur Lektüre meiner fünfteiligen Serie „Homöopathie verstehen“ ein:

Quellen


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9 Gedanken zu “Kügelchen von der Krankenkasse

  1. Lieber Herr Buggisch, volle Zustimmung, wie immer.
    Wie der ApothekerDer und Herr Hans-Werner Bertelsen auf X jedoch nicht müde werden zu schreiben, muss die „Besondere Therapierichtung“ gestrichen und der Homöopathie der Arzneimittelstatus gestrichen werden. Stattdessen soll jetzt lediglich die Kassenfinanzierung wegfallen und der Murks über Zusatzversicherungen finanziert werden. Das sei in der Zahnmedizin bereits so und führe dazu, dass H. den Nimbus der „nobleren“ und „besseren“ Medizin, „die man sich leisten können“ muss, erhält. „Feiger und unaufrichtiger Schachzug von Karl Lauterbach“ (Bertelsen).

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  2. Für Freunde der sanften Heilkunst biete ich übrigens homöopathische Rechtsberatung und Prozessführung an.

    In einer klaren Vollmondnacht lege ich ein leeres Papier in ein Gesetzbuch, denke ganz intensiv an Euren Fall, und faxe am nächsten Morgen das Papier zu Gericht.

    Allein durch die Schwingungen wird Euch Gerechtigkeit zuteil werden!

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  3. Zum Thema Homöopathie habe ich nichts beizutragen.
    Worüber ich aber stolpere ist die Aussage „30 Jahre Lebenserwartung“ – das stimmt, ist aber ohne Kontext missverständlich.
    Wenn man da mal die Säuglings- und Kindersterblichkeit rausrechnet, kommt man auf Werte die gar nicht so sehr von denen Mitte des 20igsten Jahrhunderts abweichen. Die Quelle habe ich gerade leider nicht zur Hand, aber mir ist folgende Aussage im Kopf geblieben „wenn man erst mal das Grundschulalter erreicht hat, dann war die Wahrscheinlichkeit, dass man 60 wird gar nicht so schlecht..“

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    • Das ist sicher richtig. Ich musste auch nochmal nachschauen, wo ich die Zahl herhatte – es war Wikipedia. Da heißt es ergänzend: „Mehr als die Hälfte der Menschen erreichten nicht das Erwachsenenalter.“ Man kann natürlich fragen, wie sinnvoll es ist, Kinder aus der Rechnung rauszunehmen. Aber auf jeden Fall sollte nicht der Eindruck entstehen, dass der durchschnittliche Mensch nur 30 Jahre alt wurde, das wäre falsch. Beim Max Planck Institut habe ich die interessante Zahl der „verbleibenden Lebenserwartung für 30-jährige Gelehrte in Mitteleuropa“ gefunden. Die lag während des 30-jährigen Krieges bei 27 Jahren, sprich die Gruppe wurde rund 57 Jahre alt. Mitte des 18. Jahrhunderts lag sie bei 30 Jahren (-> Alter um die 60 Jahre). Bis 1918 stieg sie auf 69 Jahre an. Heute sind wir bei 78 Jahren (Männer) bzw. 83 Jahren (Frauen), gelehrt oder nicht. Langer rede kurzer Sinn: Wenn man um 1800 kein Opfer von Säuglings- und Kindersterblichkeit geworden ist und ein „hohes“ Alter erreicht hat, starb man trotzdem rund 20 Jahre früher als heute. Quelle: https://www.demogr.mpg.de/de/news_events_6123/news_pressemitteilungen_4630/presse/lebenserwartung_kontinuierlicher_anstieg_seit_1750_9387/

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  4. Im Agenturleben läuft man ja vielen komischen Vögeln und Vögelinnen über den Weg, unter anderem auch einer solchen, die es gut mit einem (mir) meinte und zur morgendlichen Schale rechtsdrehenden basischen Kräutertee auch zwei Beruhigungs-Globuli C30 vom eitrigen Kuheuter auf den Schreibtisch stellte.
    Bis auf den heutigen Tag glaubt meine einstige Mitarbeiterin, dass ihre Behandlung bei mir wirkte … Tja, wofür hat man einen Abfalleimer im Büro? Und ein Waschbecken auf der Toilette?

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  5. Ich bin vorhin, bei einem Spaziergang rund ums Hotel in Bengaluru böse umgeknickt, nun kühle ich das Gelenk ganz homöopathisch mit einer Bier-Dose aus dem Kühlschrank ;-)

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  6. Als ich mir vor ein paar Jahren bei einer Werbeagentur ein Glas Wasser holte, bemerkte ich ein auf den Hahn geschraubtes Messingteil. Durch die transparente Hülle waren ein paar wild verschlungene Kanäle zu sehen, durch die das Wasser verwirbelt wurde.
    Auf die Frage an den Chef, ob das ein Filter sei, gab er mir zur Antwort, es handle sich um einen ‘Wasserenergetisierer’, der dem Wasser seine Urenergie zurück gäbe. Seit seiner Verwendung sei ‘die ganze Mannschaft viel besser drauf’, und er könne mir zum Sonderpreis von 69,95 statt 149 € auch einen besorgen.
    Woher da die gute Laune seiner ‘Mannschaft’ herkam konnte ich mir vorstellen…

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