Die Ehe für alle in der Filterblase Zwei

Wir erinnern uns: Das Experiment um die „Filterblase Zwei“ dient dazu, auch andere, abweichende Meinungen vom rechten Rand der Gesellschaft aus erster Hand mitzubekommen. Das funktioniert beim Thema „Ehe für alle“ leider sehr gut …

Ich betrete meine Filterblase Zwei inzwischen seltener, weil die dort behandelten immergleichen Themen ermüden und partiell schlechte Laune verursachen. Das Thema „Ehe für alle“, dachte ich, könnte einen Blick in die Parallelwelt wert sein, denn hier geht es auf den ersten Blick weder um Ausländer noch den Islam noch um die böse Lügenpresse, sondern um ein gesellschaftliches Thema, das ja auch in bürgerlichen Kreisen kontrovers diskutiert wird.

Und siehe da: Das Thema ist in der Filterblase Zwei sehr präsent. Natürlich dominieren wie immer (Fake) News aus dem ausländerfeindlichen Deutungsrahmen, mit dessen Hilfe die rechtspopulistische Community die Komplexität der Wirklichkeit so lange vereinfacht, bis sie ins eigene Weltbild passt:

Doch auch die Ehe für alle wird intensiv diskutiert … oder besser gesagt: dient dazu, Statements abzugeben, denn echte Kommunikation findet in der Filterblase Zwei auch zu diesem Thema nicht statt.

Gefahr für das deutsche Volk

Bei diesen Statements gibt es vor allem zwei Schwerpunkte. Erstens: Die Ehe für alle bedroht das „deutsche Volk“. Ich hatte ja schon mehrfach im Blog und auf meinen Vorträgen erläutert, dass Rechtspopulismus keine inhaltsreiche Ideologie mit eigenem Wertesystem ist, sondern sich im Wesentlichen durch Abgrenzung von all jenem definiert, was als Bedrohung des „Volkes“ wahrgenommen wird: Ausländer, politische Eliten, „Systemmedien“ … und offenbar auch Homosexualität. Ich zitiere einen Nutzer:

Wie verkommen ist Deutschland? Wie verkommen ist diese Welt? Wie groß soll dieser Saustall in diesem Land bzw. in unserer vermeintlichen modernen Welt noch werden? (…) Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Ehe hat es ausschließlich zwischen Mann und Frau zu geben. Alles andere ist entsetzlich falsch und widerlich. Lässt man „Alle“ miteinander eine Ehe schließen, ist dies der Anfang eines entsetzlich Problem-behafteten Saustalls. Was kommt nach diesem Gesetz „Ehe für Alle“? Vögeln mit Kindern für Alle? Ehe unter Geschwistern? Ehe mit der eigenen Mutter? Ehe mit geistig Behinderten? (…) Mit solchen Aktivitäten im Bundestag zwingt man den ordnungsliebenden Deutschen Bürger, der mit Recht jeglichen Saustall kategorisch ablehnt, quasi mit Nachdruck mehr und mehr nach „Rechts“ zu rücken. (…) Ich gebe offen zu: Ich verachte Schwuchteln, Lesben und alle Abartigen. Die sollen sich endlich mal zügeln und wieder, wie es früher war, in die Anonymität zurücktreten und die normalen Bürger nicht mit Ihrer Abartigkeit in der Öffentlichkeit belästigen.

Das Klischee des „normalen“, guten, traditionellen, heterosexuellen Deutschen, dessen geordnetes Leben durch die Ehe für alle bedroht ist, wird in vielen Kommentaren bestätigt. Und natürlich wird der Bogen zur anderen großen „Bedrohung“, zu Ausländern geschlagen. Der Untergang des Abendlands steht bevor, und schuld sind Schwule, Lesben und Moslems:

Beleg für arrogante Machteliten

Zweitens: Die Ehe für alle ist Beleg dafür, dass das System kaputt ist und die etablierten Politiker nicht mehr die Interessen des „Volkes“ vertreten. Diesem für den Rechtspopulismus typischen Deutungsrahmen begegnen wir immer wieder, er macht Merkel zur Katastrophe für Deutschland und Trump, Putin und Orban zu den neuen starken Männern, die gegen die „Eliten“ und für ihr „Volk“ eintreten:

Den Grundstein für diesen Frame hat die AfD-Vorsitzende Frauke Petry selbst gelegt, die in einem viel geteilten Statement die Ehe für alle wie folgt kommentiert:

Der Bundestag hat sich dem Wunsch einer opportunistischen Kanzlerin gebeugt und damit die christlich-abendländischen Kultur verraten, die der Ehe zwischen Mann und Frau als gesellschaftlicher Instanz einen besonderen Schutz einräumt. Merkel stellt ihren persönlichen Machterhalt über alles. In vorauseilendem Gehorsam biederte sie sich potenziellen Koalitionspartnern an. Die Ehe für alle höhlt den Artikel 6 des Grundgesetzes aus und verbiegt damit die Verfassung. (…) Wer den Artikel 6 GG angreift, begeht Verfassungsbruch. (…) Wir von der AfD sehen die Ehe in der Tradition der christlich-abendländischen Kultur, die die Völker Europas nach wie vor prägt und in der die Ehe seit Jahrtausenden zwischen Mann und Frau als erstrebenswerter Bund ein zentrales gesellschaftliches Element darstellt. Daher fordert die AfD statt einer beliebigen Ehe für alle, eine Förderung der traditionellen Familie mit Kindern als Kernstütze unserer Gesellschaft.

Dass nach Umfragen 80 Prozent des „Volkes“ die Ehe für alle gegenüber dem traditionellen Familienbild der AfD bevorzugen – geschenkt.

tl;dr

Auch ein gesellschaftspolitisches Thema wie die Ehe für alle wird in der Filterblase Zwei in die üblichen Deutungsrahmen einsortiert. Sie ist Beleg für die Bedrohung des deutschen Volkes durch „abartige“ Fremde und für die Arroganz des politischen Establishments.

Mehr lesen

5 Gedanken zu “Die Ehe für alle in der Filterblase Zwei

  1. Das letzte Argument ist allerdings selbst ein „argumentum ad populum“ und zieht daher nur, wenn du auch bereit wärst, etwa bei der Frage der Todesstrafe einer eventuellen 80% Mehrheit im Volk zu folgen. :)

    Gefällt 1 Person

    • Stimmt. Es ist nicht mein Argument, sondern soll nur zeigen, dass Rechtspopulisten und AfD sich zwar gerne als Volkes Stimme ausgeben, ihnen dieselbe in der Regel aber ziemlich egal ist …

      Like

Und jetzt sag deine Meinung:

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..