Homöopathie verstehen (3): Wasser, das sich erinnert

Mit homöopathischen Grundstoffen und der Potenzierung oder Verdünnung haben wir uns bereits beschäftigt. Nun wird es magisch: Es geht um Schütteln, Dynamisieren, den Erdmittelpunkt, eine alte Bibel und Wasser mit Gedächtnis …

In homöopathischen Globuli ist nicht der geringste Hauch des ursprünglichen Wirkstoffs enthalten, das haben wir geklärt. Das bestreiten Homöopathen auch gar nicht. Sie glauben aber, dass sich das von ihnen verdünnte Wasser an den Wirkstoff erinnert. Ernsthaft. Und zwar dank einiger Rituale, die sie beim Verdünnen praktizieren und die ein wenig an die Beschwörungsformeln eines Medizinmanns erinnern, der ums Lagerfeuer tanzt und den nächsten Regen herbeimurmelt.

Schütteln mit der alten Bibel

Homöopathisches Verschütteln mit der King James BibelSo wird die homöopathische Lösung bei jedem Verdünnungsschritt nicht nur verdünnt, sondern zusätzlich „verschüttelt“. Bedeutet: Man schlägt mit der Hand gegen die Flasche mit der Lösung. Oder man schlägt die Flasche rhythmisch gegen ein Lederkissen. Und zwar in Richtung Erdmittelpunkt, was natürlich einen erheblichen Unterschied ausmacht. Noch besser: Man schlägt die Flasche gegen eine alte, ledergebundene King-James-Bibel. So macht das die größte homöopathische Apotheke in Großbritannien. Ich weiß nicht, ob die dabei produzierten homöopathischen Mittel für Christen besonders optimiert und wirksam sind und ob es so etwas auch für Moslems gibt, indem zum Verschütteln eine alte, ledergebundene Koran-Ausgabe genutzt wird. Müsste ich mal recherchieren.

Da die Homöopathie inzwischen ein umsatzträchtiger Zweig der Medizin-Industrie ist, werden natürlich auch Maschinen zum Verschütteln genutzt, gleichwohl betonen Homöopathen gerne, dass diese Arbeit auch heute noch traditionelles Handwerk sei. Wie zu Samuel Hahnemanns Zeiten, der sich das Ganze vor 200 Jahren ausgedacht hat und seinen Jüngern im „Organon der Heilkunst“ mitgab, dass das Schütteln die in einer Substanz „verborgen liegenden Kräfte enthüllt“ und „die Materie selbst vergeistigt, wenn man so sagen darf“. Ja, darf man schon so sagen. Man darf ja auch sagen, dass Skorpion-Aszendenten unter dem Einfluss von Mars und Uranus besonders willensstark sind. Oder dass bei einer Chakra-Massage die astral blockierte Prana-Licht-Energie wieder freigesetzt wird.

Wasser mit selektivem Gedächtnis

Wasser mit GedächtnisDoch zurück zur Homöopathie. Durch magische Rituale sorgt man dafür, dass sich das Wasser erinnert. Ein Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatome erinnern sich an das, was in ihnen herumgeschwommen ist. Während ich persönlich große Probleme habe, mir Namen zu merken, und meine Kinder seltsamerweise große Erinnerungslücken haben, wenn es darum geht, wann sie ihr Zimmer aufräumen sollten, glänzen die drei Atome durch ein ausgezeichnetes Gedächtnis.

Durch ein ausgezeichnetes selektives Gedächtnis, muss ich hinzufügen, denn homöopathisch verschütteltes Wasser erinnert sich ausschließlich an den einen Stoff, von dem sich Homöopathen Wirkung erhoffen. Alles andere vergisst das Wasser praktischerweise. Sein Leben als Gletschereis, dass mal eine Bergziege reingepinkelt hat, die Sonnencreme im Badesee – alles vergessen. Nur das dem Homöopathen so wichtige Arnica-Molekül, bevor es final wegverdünnt wurde, das ist unvergesslich. Ab einer C3-Verdünnung sind im Wasser übrigens mehr Verunreinigungen als ursprüngliche Wirkstoffe enthalten, aber an die erinnert sich das Wasser trotzdem nicht.

Je dünner desto stärker

Ähnlich rätselhaft ist der Glaube der Homöopathen, dass die Wirkung ihrer Mittel um so stärker ist je mehr sie verdünnt wurden. Arnica C30 ist angeblich viel wirkungsvoller als Arnica C3, obwohl in Letzterem die Pflanze chemisch noch nachweisbar ist, in Ersterem jedoch, wie wir bereits geklärt haben, definitiv nicht.

Belladonna oder TollkirscheDas ist einerseits ein bisschen gefährlich, denn dieser Logik zufolge ist das von Homöopathen verwendete Belladonna (Tollkirsche) oder Arsenicum album (Arsenoxid) wenig verdünnt „nicht so wirksam“. Kann schon sein, es ist, wenig verdünnt, aber vor allem giftig und/oder tödlich. Und andererseits müssten Menschen, die zu viel von den hoch potenten weil maximal verdünnten Mitteln zu sich nehmen, große Probleme wegen schlimmster Überdosierungen bekommen. Tun sie aber nicht.

Aber halt, werdet ihr sagen. Alles schön und gut. Aber bei mir hat’s trotzdem schon mal geholfen. Keine Ahnung warum, ist mir auch egal, aber es ist so!

Dazu mehr in Teil 4 dieser kleinen Serie …

tl;dr

Dass Wasser ein Gedächtnis hat, ist Quatsch. H2O erinnert sich an gar nichts. „So ein Molekül ist kein Mensch“, wie Harald Lesch es mal schön auf den Punkt gebracht hat, und deshalb hat Wasser natürlich auch kein Gedächtnis, genauso wenig wie Apfelsaft, Stroh, Polyvinylchlorid oder Vanilleeis mit heißen Himbeeren.

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22 Gedanken zu “Homöopathie verstehen (3): Wasser, das sich erinnert

  1. Ab einer C3-Verdünnung sind im Wasser übrigens mehr Verunreinigungen als ursprüngliche Wirkstoffe enthalten, aber an die erinnert sich das Wasser trotzdem nicht.
    Dann ist es offenbar gut informiertes und intelligentes Wasser…

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  2. „Da die Homöopathie inzwischen ein umsatzträchtiger Zweig der Medizin-Industrie ist (…)“

    Noch so ein fieser Seiten- bzw. Humbugverstärkungseffekt: Wenn es am Markt läuft, wird es von allen Profiteuren (und Placebogeheilten) zum (Behandlungs-) Erfolg geschrieben. Das beweist der Kapitalismus u.a. eindrucksvoll bei den „Schlankmachern“. Im Kern sind das wertschöpfende Schneeballsysteme, nur das die Verlierer sich i.d.R.nicht als solche fühlen …

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  3. Wenn ich also einen Mini-Tropen Arnica C3 in den Bodensee kippe und nachher einen Schluck Nordseewasser trinke, werde ich gesund? Klar, es wurde noch weiter verdünnt und am Rheinfall ordentlich geschüttelt. Und ich schüttel weiter mit dem Kopf. Kranke Welt…. Es ist 2016 und Menschen glauben so einen Quatsch noch immer…

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    • Aber nicht auf die richtige Art geschüttelt. Wo ist am Rheinfall die ledergebundene Bibel? Und man soll ja auch nicht auf einen Schlag von C0 auf C[kurz-vor-unendlich] verdünnen, sondern immer schön in Literschritten. Nordseewasser ist also sicher!

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      • Außerdem sind wir bei einem Tropfen im Bodensee (48km³, also 9,6*10^17 Tropfen) erst im Bereich von C9. Kippen wir das in die Nordsee (54.000 km³, also 1,08*10^21 Tropfen), haben wir irgendwas um C10 oder C11. Verrührt man das mit dem Atlantik (354,7 Mio. km³ oder 7,094*10^24 Tropfen), sind wir glücklich bei C12, mit dem Rest der Weltmeere (insgesamt 1,4 Mrd. km³ oder 2,8*10^25 Tropfen) reicht es vielleicht gerade so für C13.

        Gut, sagen wir C15, weil ich mir bei meiner schnell hingeschluderten Rechnerei nicht wirklich sicher bin und schonmal um die eine oder andere Größenordnung verrutschen kann. Dann ist das aber nach homöopathischem Verständnis immer noch viel zu schwach und kann eigentlich gar nicht wirken!

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  4. Der Tankwagen fährt gerade an die niederländische Atlantikküste um mit Excrementum Caninum gefüllt zu werden.
    In New York scheissen ja Hunde in den Hudson River.

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  5. Naja, einem Heilverfahren das auf die Seele zielt mit Naturwissenschaft zu begegnen ist ein wenig billig. Vieles in der Achso fortschrittlichen „klassischen“ Medizin ist auch Vodoo, Geschäftemacherei, Statistikfälschung und Marketing. Im Gegensatz zu diesem Sektor ist die Homöopathie wenigstens harmlos (aber natürlich auch nicht billiger).

    Wer noch nie erlebt hat wie Menschen aus Abrechnungsgründen zu Tode operiert wurden der kann meinetwegen weiter exotische Heilverfahren analysieren.

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    • Zielt die Homöopathie auf die Seele? Die maßt sich doch an, handfeste körperliche Leiden zu behandeln. Wo da die Seele ins Spiel kommt? Keine Ahnung.

      Dass in der evidenzbasierten Medizin auch gemauschelt, geschummelt, betrogen und gerafft wird stellt niemand in Abrede. Im Gegenteil, es gibt genug Leute, die darüber schreiben, die Big Pharma auf die Finger schauen und nötigenfalls öffentlich draufklopfen.

      Homöopathie ist insofern harmloser als sie keinerlei Wirkstoffe verwendet und daher niemanden vergiften kann. Dafür kann der Glaube an die Homöopathie verhindern, dass man eine ernsthafte Erkrankung nicht behandelt und in der Folge ernsthafte gesundheitliche Schäden davonträgt. Wer sich auf homöopathischen Impfersatz einlässt, pokert viel zu hoch. Wer auf homöopathische Krebsbehandlung setzt, unterschreibt im Prinzip das eigene Todesurteil, Steve Jobs lässt grüßen. Auch gegen Malaria et al. hat die Homöopathie nichts zu bieten, usw.

      Außerdem bietet der willkürlich zusammengeschusterte pseudomedizinische Überbau der Homöopathie (Simile-Prinzip, Potenzierung, Miasmen, Erstverschlimmerung usw.) viel Gelegenheit zum Einstieg in esoterische Labyrinte, aus denen mancher nicht mehr herausfindet. Wer an die Homöopathie nach Hahnemann glaubt, ist im Prinzip bereit, alles zu glauben. Mit Vernunft kann man da ja nicht mehr kommen.

      Und was die Fehlentwicklungen in den Gesundheitssystemen angeht, die haben wenig mit der evidenzbasierten Medizin an sich zu tun, sondern mehr damit, wie sie abgerechnet und bezahlt wird. Dass da einiges schiefläuft ist richtig, dass da teils ethisch-moralische Katastrophen passieren, leider auch. Ändert aber nichts daran, dass die evidenzbasierte Medizin eben an sich nachweislich funktioniert, die Homöopathie nur mit dem Plazeboeffekt winken kann und ansonsten Mumpitz ist.

      Stohmanndiskussionen des Musters „die anderen sind aber auch nicht ganz sauber“ helfen jedenfalls nicht.

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  6. Meine Partnerin ist leider der Homöopathie verfallen.
    Jetzt sollte ich ihr eigentlich ein homöopathisches Verhütungsmittel reichen.
    Mal sehen, wie sie dann über Homöopathie denkt…

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  7. @gnaddrig
    „Wer an die Homöopathie nach Hahnemann glaubt, ist im Prinzip bereit, alles zu glauben.“
    Diese Schlussfolgerung ist einfach unzulässig. Ich habe genug Menschen trotz (oder gerade wegen?) Operation, Chemotherapie und Bestrahlung jämmerlich sterben sehen und in anderen Fällen von Menschen gehört, die von der Schulmedizin aufgegeben wurden und durch alternative Methoden geheilt wurden.
    „Ändert aber nichts daran, dass die evidenzbasierte Medizin eben an sich nachweislich funktioniert, die Homöopathie nur mit dem Plazeboeffekt winken kann und ansonsten Mumpitz ist.“
    Stimmt einfach nicht. Homöopathie wirkt auch bei kleinen Kindern und Tieren . Mit Placebo-Effekt hat es da überhaupt nichts zu tun. Dieser Fakt wird nur gerne immer wieder unterschlagen!
    „Zielt die Homöopathie auf die Seele? Die maßt sich doch an, handfeste körperliche Leiden zu behandeln. Wo da die Seele ins Spiel kommt? Keine Ahnung.“
    Die Homöopathie maßt sich da garnichts an. Sie betrachtet nur den Menschen als Ganzes. Und dieser besteht eben nicht nur aus dem Materiellen, dem Körper, sondern auch aus dem Geistigen, der Seele. Und diese beiden existieren nicht unabhängig voneinander, sondern interagieren miteinander. Das jetzt hier ausführlich zu erklären, ginge zu weit. Wenn man sich aber dieser Tatsache bewusst ist, so ist es auch klar, daß Krankheiten durchaus auch im Seelischen beginnnen können und sich dann im Körper auswirken, aber auch umgekehrt.

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